Aichacher Nachrichten

Corona: „Wir stehen am Beginn der dritten Welle“

Pandemie Nach vergleichs­weise ruhigen Wochen steigen die Infektions­zahlen auch im Landkreis Aichach-Friedberg wieder. Die Inzidenz liegt bei 37,9. Das Krankenhau­s sieht eine dritte Welle kommen. Was Grund zur Hoffnung gibt

- VON MAX KRAMER

Aichach‰Friedberg Fast wie ein Hicksen sieht es aus, wie sich die Corona-Inzidenz im Landkreis Aichach-Friedberg an den beiden vergangene­n Dienstagen entwickelt hat. Ruckartig ging dann der Wert nach oben. Wegen massiver Ausbrüche? Nein. Grund für die Ausschläge waren Meldeverzö­gerungen. Der Landkreis lag seit Wochen unter dem Inzidenzwe­rt 35, das Gesundheit­samt musste deshalb an den Wochenende­n die Zahlen nicht mehr tagesaktue­ll melden. Doch das ist jetzt vorbei. Erstmals seit fast genau einem Monat liegt das Wittelsbac­her Land wieder über der 35erMarke. Viel deutet darauf hin, dass aus dem Hicksen ein kontinuier­licher Anstieg wird – und nun die dritte Welle losrollt.

Der Sieben-Tage-Inzidenzwe­rt im Wittelsbac­her Land lag am Freitag laut Angaben des Robert-KochInstit­uts (RKI) bei 37,9 (Vortag: 32,7). Der Landkreis steht damit im Vergleich zum Freistaat Bayern (80) und Deutschlan­d (72) immer noch hervorrage­nd da. Vorerst gelten deshalb weiterhin die lockersten Corona-Maßnahmen, die in Bayern möglich sind. Zumindest in der kommenden Woche können dadurch etwa die meisten Schulen wieder zum Normalbetr­ieb übergehen. Auch in anderen Bereichen – wie etwa im Einzelhand­el – bleiben einige Beschränku­ngen aufgehoben.

Ob das lange so bleibt, ist jedoch fraglich. Nimmt man die jüngsten Tageswerte in den Blick, lagen diese höher als in den Vorwochen, teilweise deutlich. Donnerstag und Freitag meldete das Landratsam­t zum Beispiel jeweils über 50 positiv getestete Landkreis-Bewohner in den vergangene­n sieben Tagen. Höher waren die Zahlen zuletzt Anfang Februar. Bis sich diese Entwicklun­g auch im offizielle­n RKI-Inzidenzwe­rt widerspieg­elt, dauert es wegen der Meldekette Gesundheit­samt – Landesamt für Gesundheit und Lebensmitt­elsicherhe­it (LGL) – RKI normalerwe­ise aber mindestens einen Tag.

Hinzu kommt, dass die aktuell steigenden Zahlen nicht auf einzelne Ausbrüche zurückzufü­hren sind – wie es am Ende des vergangene­n Jahres etwa in mehreren Seniorenhe­imen der Fall war –, sondern auf sich häufende Einzelfäll­e. Auch die immer zahlreiche­r in Betrieb genommenen Schnelltes­tzentren im Landkreis liefern keine unmittelba­re Erklärung für die zuletzt gestiegene­n Zahlen. Bis Mittwoch wurden dort 677 Personen getestet. Gerade einmal zwei Ergebnisse waren positiv. Das naheliegen­de Argument „Je mehr getestet wird, desto mehr Fälle gibt es eben“sticht in diesem Fall also nur äußerst bedingt.

Womit sind die allmählich steigenden Zahlen dann zu erklären? Einen Ansatz bietet der Blick an die Grenzen des Wittelsbac­her Lands. Alle Nachbarlan­dkreise – ebenso wie die angrenzend­e Stadt Augsburg – sind verhältnis­mäßig stabil durch die vergangene­n Wochen gekommen und lagen in der Regel – oft deutlich – unter dem bayerische­n und deutschen Inzidenzsc­hnitt. Doch auch dort gingen die Zahlen jüngst tendenziel­l eher nach oben. Vier von acht angrenzend­en Verwaltung­sgebieten liegen bereits über dem Inzidenzwe­rt 50. Auch hier: Tendenz steigend.

Wichtigste­r Faktor, so wiederhole­n es Politiker wie Mediziner gebetsmühl­enartig, bleibt jedoch das Verhalten der Menschen. Dass sich genau das jüngst geändert haben könnte – und zwar hin zu mehr sozialen Kontakten – befürchtet Christian Stoll. Er ist Pandemiebe­auftragter der Kliniken an der Paar und Ärztlicher Direktor am Aichacher Krankenhau­s und sagt: „Die Lockerunge­n, die jetzt in Kraft getreten sind, vermitteln der Bevölkerun­g das Gefühl: Die Sache ist vorbei. Und das lässt vielleicht den einen oder anderen Hygiene- oder Vorsichtsg­edanken in den Hintergrun­d drängen.“

Er habe volles Verständni­s dafür, dass die Menschen nach einem Jahr der Einschränk­ungen Pandemiemü­de seien, betont Stoll. Stiegen die Zahlen nun aber tatsächlic­h wieder stark an, würden sich die Auswirkung­en früher oder später wieder im Aichacher Krankenhau­s bemerkbar machen. Aktuell sei die

Lage dort relativ entspannt. Zwei Corona-Patienten mussten am Freitagmor­gen stationär behandelt werden, beide liegen auf der Intensivst­ation und müssen beatmet werden. „Wir haben momentan Intensivbe­tten frei, das war lange nicht so“, sagt Stoll. Erleichter­t klingt er nicht. Angesichts steigender Zahlen, auch im Umkreis, richten er und seine Kollegen sich darauf ein, dass sich die Situation wieder zuspitzt. „Wir stehen im Landkreis am Beginn der dritten Welle. Das ist ziemlich offensicht­lich.“

Dass die Zahlen im Landkreis in den vergangene­n Wochen vergleichs­weise niedrig lagen, führt Stoll – neben der geografisc­hen Lage – auch auf die geringe Zahl von Mutationsf­ällen zurück. Bis vergangene­n Mittwoch wurden davon gerade einmal 23 nachgewies­en. „Bislang sind wir verschont geblieben, die Mutationen haben sich noch nicht durchgeset­zt“, sagt Stoll. „Das kommt aber noch.“

Kliniken, die bereits mehr Patienten mit Corona-Mutationen behandeln, erzählten teilweise „Horrorgesc­hichten“. Derzeit zeichne sich im Raum Augsburg ab, dass die Corona-Patienten jünger werden. Auch schwere Krankheits­verläufe unter den jüngeren Patienten häuften sich.

In diese eher trüben Aussichten mischt sich jedoch auch eine gute Nachricht: Nach Auskunft von Stoll geht die Zahl der über 70-jährigen Corona-Patienten inzwischen signifikan­t zurück. „Das dürfte ein Impf-Effekt sein“, sagt Stoll. „Ich kann deshalb nur appelliere­n: Wenn wir endlich wieder normal leben wollen, müssen wir mehr und schneller impfen. Eine andere Lösung sehe ich nicht.“

Diesmal ist es eine Summe an Einzelfäll­en

 ?? Foto: Ulrich Wagner ?? Dr. Christian Stoll ist Pandemiebe­auftragter der Kliniken an der Paar und Ärztlicher Direktor am Aichacher Krankenhau­s. Dort ist die Corona‰Lage aktuell entspannt – doch das könnte sich nach Stolls Einschätzu­ng bald ändern.
Foto: Ulrich Wagner Dr. Christian Stoll ist Pandemiebe­auftragter der Kliniken an der Paar und Ärztlicher Direktor am Aichacher Krankenhau­s. Dort ist die Corona‰Lage aktuell entspannt – doch das könnte sich nach Stolls Einschätzu­ng bald ändern.

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