Der neue Pop ist endlich Frauensache
Womit hier gar nicht die vielleicht wohlfeil auf Skandal ausgelegte Diez-Debatte (RassismusVorwürfe, führt hier zu weit) gemeint ist, sondern Krachts Hinweise zu den seine männlichen Romanfiguren umgebenden „Körperpanzern“, eine Beschreibung, die auf den Literaturwissenschaftler Klaus Theweleit zurückgeht. Die nun wieder – zumindest einen – Zugang zu „Eurotrash“erleichtern.
Denn die so verrückte wie hellsichtige Mutter im Buch trägt keinen Panzer. Sie kennt ihren wohlstandsverwahrlosten Sohn und dessen Schwächen allzu gut. Sie weiß warum er sie auf seinen nächsten, diesmal kathartischen Roadtrip durch die Schweiz mitnimmt, eine „Tragödie mit komödiantischen Elementen“. Es sind die rasanten, sehr lustigen Wort-Scharmützel, die die tödliche Traurigkeit, die auch diesen Kracht-Roman immer wieder überkommt, erträglich macht.
Also. Es gäbe noch manches zu sagen, über das autofiktionale Konstrukt, über Krachts Sprache, die so wunderbar Nähe erzeugen kann, in der aber immer wieder der kalte Stahl aufblitzt. Die man mögen oder manieriert finden kann. Über den Autor Kracht, der vor langen Jahren mit „Tristesse Royal“zum „popkulturellen Quintett“gehörte. Eine Marke, von dessen Etikett er länger etwas haben sollte, als ihm lieb war.
Wenn Popliteratur auch die Fortsetzung des Schreibens mit oberflächlich Mitteln (gewesen) sein sollte, dann war diese Zuschreibung für Krachts Romane eigentlich nie griffig. Und dass er sich in „Eurotrash“einen dunkelbraunen, etwas groben, in einer Nazi-Kommune gefertigten No-Name-Pullover kauft, ist eher kein Zufall. Dass seine famos-biestig-rührende Frau Mama findet, dass er in seiner Barbourjacke früher immer so „manierlich“ausgesehen habe, auch nicht.
Kracht selbst hat sich ohnehin längstens vom Pop distanziert. Seine große Literatur braucht kein Label.
Rebekka Kricheldorf: Lustprinzip Rowohlt, 240 Seiten, 20 Euro
Ruth Herzberg: Wie man mit einem Mann unglücklich wird Microtext, 176 Seiten, 14,99 Euro
Ob es mit „Feuchtgebiete“begann? 13 Jahre liegt der dann auch verfilmte und in „Schoßgebete“fortgesetzte Bestseller zurück. Und zumindest was die öffentliche Aufmerksamkeit und die heiß debattierte Frage angeht, ob es denn emanzipatorisch sei, so offen und unmittelbar die Lust einer jungen Frau zu beschreiben, markiert Charlotte Roche einen Einschnitt. Das war jedenfalls ganz anders als der aufgepeitschte Aschenputtel-Kitsch von „Fifty Shades of Grey“: Pop. Und im Gegensatz zu dem sehr männlich geprägten 90er sehr explizit weiblich.
Gefolgt sind hierzulande reichlich wuchtige Stücke wie „M“der Autorinnen Anna Gien und Marlene Stark und internationale Bestseller wie die fulminante „Vernon Subutex“-Trilogie der Französin Virginie Despentes. Zum Herz dieses Trends führen zwei aktuelle Bücher, sie führen von den Ursprüngen der Pop-Literatur zu ihrer heute häufigsten Erscheinungsform als literarischer Grenzfall.
Da ist zum einen: „Lustprinzip“, das Romandebüt von der als Dramatikerin längst etablierten Rebekka Kricheldorf. Wie ein doppeltes Korrektiv zu den Bürschchen-Büchern der Pop-90er führt es exakt in jene Zeit zurück, aber auf die weibliche Seite und die anti-bürgerliche. Die 22-jährige Larissa treibt sich in der Kapitalismus-Brache im Berliner Nachwende-Osten herum. Und knüpft in Leseleidenschaft und Lebensentwurf an die Beat-Poeten an: Ginsberg, Burroughs, Kerouac, Bukowski. Es geht mit mächtigem Drive um Identitäts- und Intensitätssuche, um Sex und Drogen, Liebe und Freiheit, in Klamotten vom Straßenmarkt statt in Barbour-Jacke, auf dem Frühstückstisch Discounter-Fusel statt Nutella.
Und „Lustprinzip“(bloß stilisiert mit v statt u): So heißt ja auch der größte deutschsprachige Sexblog. Dessen Gründerin Theresa Lachner empfiehlt aktuell „Wie man mit einem Mann unglücklich wird“. Zum anderen also: die Autorin Ruth Herzberg. Gesetzt wie in Blogbeiträgen berichtet bei ihr die Ich-Erzählerin in körperlich und seelisch schonungsloser Offenheit von einer geradezu psychotischen Beziehung. Zwischen Tinder-Sex und Erlösungsromantik, Freiheitssehnsucht und Einsamkeitsdepression – das ist der Pop-Sound von Lust, Leid und Liebe in der Berliner Hipster-Bürgerlichkeit des 21. Jahrhunderts. Kaum auszuhalten – aber alles andere als kaum zu glauben.
Und Charlotte Roche? Macht heute „Paardiologie“, einen Beziehungs-Podcast mit Ehemann Martin Keß-Roche. Wolfgang Schütz