Aichacher Nachrichten

Die FDP wittert Morgenluft

Seit dem Wahlsonnta­g ist die Ampel-Koalition auch im Bund Gesprächst­hema. Und die Liberalen könnten im September wieder werden, was sie lange waren: Zünglein an der Waage

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin Die Landtagswa­hlen in Baden-Württember­g und RheinlandP­falz kann die FDP wieder zu dem machen, was sie früher einmal war: zum sprichwört­lichen „Zünglein an der Waage“der deutschen Politik. Weil in Mainz alles auf eine Fortsetzun­g der rot-grün-gelben Koalition deutet und eine solche auch in Stuttgart möglich ist, wird die „Ampel“nun plötzlich in der Bundespoli­tik ernsthaft diskutiert. Der badenwürtt­embergisch­e FDP-Chef Michael Theurer jedenfalls ist überzeugt: „Spitzentec­hnologien, innovative mittelstän­dische Weltmarktf­ührer, Klimaschut­z und Soziale Marktwirts­chaft – das kann nicht nur in Baden-Württember­g funktionie­ren. Das kann sogar ein globaler Exportschl­ager werden.“

Zwar ist weder im „Ländle“noch im Bund klar, wie wahrschein­lich Ampel-Regierunge­n wirklich sind. Sicher aber ist, dass die Chancen der FDP mit dem Wahlsonnta­g gestiegen sind, mal wieder Mehrheitsb­eschaffer zu sein. Eine Rolle, die den Liberalen historisch bestens vertraut ist.

Mal verhalfen sie der Union zur Regierung, mal der SPD. Mit dem Dreipartei­ensystem der alten Bundesrepu­blik jedoch verschwand die Sonderroll­e der FDP, denn Grüne,

Linke und die AfD traten auf den Plan. Für die FDP schienen die Aussichten zuletzt sogar ausgesproc­hen düster. 2013 aus dem Bundestag geflogen, schafften sie 2017 den Wiedereinz­ug. Sogar für eine Regierungs­beteiligun­g hätte es gereicht. Doch dann ließ Christian Lindner, der Vater des Comebacks im Parlament, die bereits weit gediehenen Gespräche mit Union und Grünen überrasche­nd platzen. Zur JamaikaKoa­lition kam es nicht, worüber mancher Liberale bis heute grollt. Seither heißt es, Lindner werde kein zweites Mal eine Chance aufs Regieren vergeben. Zumal sich die Opposition­sbank für die FDP als überaus hart erwies. In den Umfragen zur Wählerguns­t rutschte sie bis an den Rand der Fünfprozen­thürde – während die Grünen stetig zulegten.

Als Corona zum bestimmend­en Thema der politische­n Debatte wurde, ging die FDP auf Konfrontat­ionskurs zur Regierung und hinterfrag­te kritisch den Sinn vieler Eingriffe in die bürgerlich­en Freiheitsr­echte. Da viele Bürger aber gerade in der ersten Phase der Pandemie dem Regierungs­kurs fast uneingesch­ränkt zustimmten, fand die FDP aus ihrem Tief nicht heraus. Das hat sich inzwischen geändert. Immer mehr Bürger teilen die Besorgnis vor den wirtschaft­lichen und sozialen Folgen zu heftiger Lockdown-Maßnahmen. Im Bundestag liefern sich FDP und Union regelmäßig heftige Scharmütze­l um den richtigen Pandemie-Kurs.

Weil die Umfragen bis vor kurzem ohnehin auf ein Regierungs­bündnis von Union und Grünen deuteten, sahen die Strategen von CDU und CSU wohl auch keinerlei Notwendigk­eit, sich die Liberalen gewogen zu halten. Das könnte sich nach den Bundestags­wahlen im September bitter rächen. Nicht zuletzt mehrere Korruption­saffären haben die Union auf Talfahrt geschickt. Sowohl in Baden-Württember­g als auch in Rheinland-Pfalz fuhr die CDU ihr jeweils schlechtes­tes Ergebnis

aller Zeiten ein. Dabei müsste gerade CDU-Chef Armin Laschet ja wissen, wie wichtig die Liberalen als Mehrheitsb­eschaffer sind.

Er regiert in Düsseldorf zusammen mit der FDP. Setzt sich die Schwäche der Union fort, könnte es für Schwarz-Grün allein nicht reichen und wiederum wäre Jamaika der Ausweg. Vorausgese­tzt natürlich, die Grünen und Liberalen wollen das überhaupt noch. Zwar betont FDP-Chef Christian Lindner, eine Ampel im Bund sei nicht das

Ziel und die inhaltlich­e Nähe zur Union weiter groß. Doch gleichzeit­ig sagen führende Liberale, dass es nicht auf altes Blockdenke­n, sondern auf die Inhalte ankomme. Michael Theurer etwa meint nicht nur Baden-Württember­g, wenn er als FDP-Ziel die „Verzahnung von Ökonomie, Ökologie und sozialen Aspekten“nennt.

Während die Ampel für die Union zum Albtraum werden könnte, gilt sie den Parteistra­tegen von Grünen und SPD zunehmend als lockende Option. Für eine gemeinsame Regierung wird es wohl allenfalls mit einem dritten Partner reichen. Die Vorbehalte gegenüber einer Regierungs­beteiligun­g der Linksparte­i, die etwa die deutsche Nato-Mitgliedsc­haft aufkündige­n will, sind in der Bevölkerun­g aber nach wie vor groß.

Ein liberales Korrektiv könnte wohl viele Sorgen zerstreuen, dass ein solches Bündnis zu weit nach links abdriftet und die Interessen der Wirtschaft zu wenig berücksich­tigt. Die FDP wittert nach dem Auftakt des Superwahlj­ahres Morgenluft. Standen die Liberalen gerade noch im bundespoli­tischen Abseits, sind sie nun zurück auf dem Feld: Als Kraft, die im Endspiel um das Kanzleramt womöglich das alles entscheide­nde Gewicht in die Waagschale werfen kann.

Noch aber sind Vorbehalte gegen ein Mitregiere­n groß

 ?? Foto: Kay Nietfeld, dpa ?? Baden‰Württember­gs FDP‰Landesvors­itzender Michael Theurer hat am Sonntag ein gutes Ergebnis eingefahre­n, da geht der Blick von Liberalen‰Chef Christian Lindner schon mal hoffnungsv­oll in Richtung Bundestags­wahl im September.
Foto: Kay Nietfeld, dpa Baden‰Württember­gs FDP‰Landesvors­itzender Michael Theurer hat am Sonntag ein gutes Ergebnis eingefahre­n, da geht der Blick von Liberalen‰Chef Christian Lindner schon mal hoffnungsv­oll in Richtung Bundestags­wahl im September.

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