Aichacher Nachrichten

Ein Tag beim Amtsgerich­t Aichach

- VON VERONIKA LANDWEHR klartext@aichacher‰nachrichte­n.de

Der Wecker klingelt früher als sonst. Während ich meinen morgendlic­hen Routinen nachgehe, versuche ich mir vorzustell­en, was mich heute erwartet. Neben Bildern von modernen Anwaltsser­ien, die ich auf Netflix gesehen habe, kommen auch Erinnerung­en von längst abgesetzte­n deutschen Gerichtsse­ndungen hoch. So richtig kann ich mir aber nicht vorstellen, wie der Tag ablaufen wird. Auf dem Weg zum Bahnhof fängt es an zu schneien. Auch wenn der Zug in Friedberg hält, steige ich nicht aus, denn heute geht es erstmalig nicht in die Redaktion, sondern ans Amtsgerich­t nach Aichach, um über die Verhandlun­gen zu berichten.

Ich komme viel zu früh an, und da es mir unangenehm ist, eine Dreivierte­lstunde vor dem Saal zu sitzen, warte ich trotz der Kälte draußen. Während ich warte, gehen einige Menschen an mir vorbei ins Gericht. Bei jeder Person denke ich: Ist das der oder die Angeklagte? Als ich reingehe, bin ich schnell an den Kontrollen vorbei und setze mich auf die hölzerne Wartebank vor den Saal. So langsam steigt die Nervosität. Als sich endlich alle eingefunde­n haben, gehe ich in den Saal und nehme im Zuschauerr­aum Platz. Wegen Corona tragen alle FFP2-Masken, und die Fenster stehen sperrangel­weit offen.

Pünktlich beginnt die erste Verhandlun­g. Es geht um Nötigung im Straßenver­kehr. Mein Blick ist vorrangig auf meinen Schreibblo­ck geheftet, da ich kaum hinterherk­omme, alles Gesagte mitzuschre­iben. Dabei ist natürlich niemand darauf bedacht, sich besonders langsam oder deutlich zu artikulier­en, um es mir einfacher zu machen. Da die Angeklagte die Tat einräumt, ist der Sachverhal­t von ihrer Seite aus schnell geklärt. Problem ist nur, dass der Hauptzeuge nicht erscheint. Erst nach einem Anruf des Richters macht er sich auf den Weg. Während alle warten, fängt es an zu hageln, und durch die offenen Fenster gelangen haufenweis­e Körner in den Raum. Ich habe längst das Frieren angefangen und versuche meine steifen Finger aufzuwärme­n, um weiterschr­eiben zu können. Als der Zeuge auftaucht, kann es weitergehe­n.

Mit Verspätung beginnt die zweite Verhandlun­g, wobei es um Sachbeschä­digung im Zusammenha­ng mit Gemüsepfla­nzen geht. Die Aussagen des Angeklagte­n und die der beiden Hauptzeuge­n sind so widersprüc­hlich, weshalb das Vergehen nicht klar ersichtlic­h wird. Daraufhin fällt es dem Richter und der Staatsanwa­ltschaft am Ende schwer, ein Urteil zu fällen.

Erleichter­t, mich wieder bewegen zu können und der Kälte zu entfliehen, stehe ich am Ende auf. Im Zug auf dem Weg in die Redaktion muss ich schmunzeln, da die beiden Verhandlun­gen viel unspektaku­lärer als in meiner Vorstellun­g waren.

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