Rona den Konsum verändert
Elt damit antun. Dann kam die Pandemie und plötzlich scheint alles anders. Die Deutschen sparen doppelt so viel wie bisher – unkt – oder verprassen wir die Reserven bald noch hemmungsloser?
Flugzeuge dahin ausgebucht waren. Ähnlich sehen es Marktforscher. Handelsexperte Rolf Bürkl von der Nürnberger GfK etwa erinnert an die Situation im Frühsommer 2020: „Auch nach dem ersten Lockdown hat sich der Einzelhandel nach einem tiefen Einbruch schnell wieder erholt.“
Insgesamt, auch das eine der scheinbar widersprüchlichen Erkenntnisse der Krise, war das Jahr 2020 für vereinzelte Handelsbranchen – insbesondere für Fahrräder, Möbel/Einrichten und Garten – sogar ein überdurchschnittlich gutes Jahr. Über 4 Prozent Umsatzwachstum im Handel insgesamt – und trotzdem hat die Mehrheit der Händler Angst, die Krise nicht zu überstehen. Einen wahren Boom erlebt hat vor allem der Onlinehandel. 14,6 Prozent Wachstum in einem Jahr meldet der Bundesverband E-Commerce und Versandhandel Deutschland (BEVH).
Handelsexperte Ralf Deckers vom Institut für Handelsforschung IFH Köln sieht vor allem die großen Plattformen wie Amazon, Ebay oder Zalando als Gewinner: „Die Leute haben jetzt zum Teil online eingekauft, weil sie keine andere Wahl hatten. Die Zufriedenheit war dann aber relativ hoch: Einfach, unkompliziert, auch die Lieferung hat meist gut funktioniert. Wir gehen davon aus, dass einige der Umsätze wieder in den stationären Handel zurückfließen – aber längst nicht alle.“Das bestätigt auch GfK-Experte Bürkl: „Zwei Drittel der Haushalte haben während des ersten Lockdowns im Frühjahr mindestens einmal online eingekauft. Das ist ein sehr hoher Wert. Die Krise hat da einen Prozess beschleunigt, der bereits vorher lief.“
Alles wird digitaler also. Aber kann das schon alles sein? War da nicht mehr?
Ein höherer Stellenwert für die Nachhaltigkeit zum Beispiel? Nein, sagen Hannes Fernow und Michael Mletzko. Die beiden haben sich für die Zukunftsforschung der Gesellschaft für innovative Marktforschung (GIM foresight) intensiv mit der Frage beschäftigt, wie sich unsere Werte und Einstellungen durch die Krise verändert haben. Megatrends wie die Digitalisierung prägen demnach unsere Zeit – schon vor Corona und auch danach. Die Krise hat diese Trends nicht gebrochen, sondern eher beschleunigt. Fernow warnt daher auch vor der Erwartung radikaler Umbrüche: „Die angeblich neue Ernsthaftigkeit und große Transformation unseres Wertegefüges wird aktuell überschätzt.“In der Krise gebe es Ängste und Unsicherheiten, aber: „Oftmals ist danach aber doch vieles wieder so, wie es einmal war“, so Fernow weiter.
Was es aber durchaus gebe, seien Verschiebungen bei der Bedeutung von Werten. Ein Beispiel: „Die Sehnsucht nach einer Relokalisierung, einer Rückbesinnung und Rückbindung an die lokale Umwelt, ist in der Krise noch größer geworden“, sagt Mletzko.
Viele vor allem junge Menschen, stellen vermehrt kritische Fragen zum Konsum. „Wir befinden uns nicht mehr in der Zeit des Entweder-oder, sondern des Sowohl-als-auch. Die Menschen wollen konsumieren, aber ein gutes Gewissen haben“, sagt Fernow. Nach dem Ende der Pandemie rechnen die beiden erst einmal mit einem Rückschlageffekt und einer Art „Hypersehnsucht“: Weil plötzlich wieder alles möglich ist, werden die Menschen ihrer Meinung nach in einer kurzen Phase ausgeprägten Hedonismus’ alle wiedergewonnen Freiheiten und Konsummöglichkeiten exzessiv nutzen. Dann aber, nach einer Reflexionsphase, wird die Verschiebung in der Werteordnung deutlich zutage treten.
Die Erwartung, dass Unternehmen auf die Nachhaltigkeit achten, wird noch deutlich steigen. „Man sollte sich aber nicht der Illusion hingeben, dass durch die Pandemie plötzlich alle Menschen stark moralisch handeln. Nachhaltigkeit hat auch mit egoistischen Motiven zu tun, mit der Frage nach dem eigenen Nutzen: „Man will gesunde Produkte für seine Kinder oder gut dastehen bei seinen Freunden und Bekannten“, erklärt Fernow. Und Mletzko ergänzt: „Die Krise war ein Crashkurs für die junge Generation. Sie hat gelernt, wie man trotz hoher Unsicherheit handlungsfähig bleibt. Das wird sie stark machen für die Zukunft.“
393 Milliarden Euro. Dafür kann man auf jeden Fall mehr als nur einmal schick essen gehen. Wird die erzwungene Kaufpause zu Kompensationsverhalten führen? Wie oft wollen wir künftig im Restaurant sein? Was macht so eine Summe überhaupt in den Köpfen?
Sie gibt, klar, zunächst ein gutes Gefühl. Allerdings wird das von dem Gefühl kontrastiert, es nicht ausgeben zu können. Maria-Christina Nimmerfroh ist Wirtschaftspsychologin an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg. Sie erklärt dieses Dilemma so: „Geld ist ein generalisierter Sekundärverstärker, sprich: Alleine, wenn die Freiheit fehlt, sich dafür etwas gönnen zu können, ist es nichts wert.“Umgekehrt wird also das, was man nicht darf, aufgewertet und bekommt eine neue Bedeutung. Das Einkaufserlebnis wird erhöht, wenn man es nicht haben darf. Auch Nimmerfroh rechnet folglich damit, dass die Deutschen sehr viel Geld ausgeben werden, sobald sie ihre Freiheit zurückbekommen.
Sie geht aber nicht davon aus, dass neu oder anders konsumiert wird, sondern mehr in bewährten Mustern. Viel mehr: „Die Leute haben alle einen Überblick über ihre mentalen Konten, die vollgelaufen sind. Jeder weiß, was er sonst für Reisen, Kleider oder Restaurant-Besuche ausgegeben hat. Von diesen Konten wird sich bedient. Eine Umschichtung aber findet nicht statt.“Man werde sich belohnen wollen, für den Verzicht, die Einschränkungen.
Aber was ist dann mit dem Klimawandel? Wird er die absehbare Konsum-Orgie bremsen? Wahrscheinlich nicht, sagt Nimmerfroh. Klar, alle fänden Nachhaltigkeit, Klimaschutz gut, wollen die Natur schützen. Aber: „Es gibt eine Differenz zwischen der Einstellung und dem Verhalten. Denn die Marktanteile von biologischen Lebensmitteln oder ökologisch und nachhaltig produzierten Kleidern sind extrem gering.“Die Leute wüssten, dass so manche Lieferkette nicht menschenrechtlichen Standards entspreche, aber sie redeten sich das im Nachhinein schön. Keine guten Nachrichten für den Planeten. Nimmerfroh rechnet nicht damit, dass das Bedürfnis nach nachhaltigem Konsum größer wird. „Viele werden vielmehr denken: Jetzt bin ich mal dran.“
Für Nimmerfroh ist aus konsumpsychologischer Sicht allerdings etwas anderes besonders faszinierend, was der Erde umgekehrt Hoffnung machen könnte. „Es ist erstaunlich, wie leicht die Leute sich anpassen. Das menschliche Verhalten ist extrem flexibel und zugleich gewöhnungsfähig. Wir sehen im Augenblick keine Demonstrationen für Ladenöffnungen. Wenn man sich zum Einkaufen einen Termin geben lassen und sich in die Schlange stellen muss, machen die Leute das halt so. Wenn das volkswirtschaftlich kein Problem wäre, könnte das ewig so weitergehen.“Heißt: Aus konsumpsychologischer Sicht kann man Menschen durch drastische Maßnahmen recht schnell an neue Verhaltensweisen gewöhnen. Es bleibe, so Nimmerfroh, schon ein defizitäres Gefühl, aber: „Erst mal läuft das“.
Den Menschen falle auch gar nicht mehr auf, ob sie vier, acht oder zwölf Wochen schon in einer Schlange zum Einkaufen anstehen müssten. „Das wird schnell die neue Normalität.“Wenn man also durch staatliche Maßnahmen drastisch etwas verändern wollen würde, bestimmte Produktgruppen verbieten etwa, bedeutet das: „Da gewöhnen sich die Leute ruckzuck dran. Konsumenten sind sehr anpassungsfähig an veränderte Bedingungen.“Noch besser als Zwang wäre natürlich, was verhaltenspsychologisch unter „Nudging“läuft, zum Beispiel beim Buffet das Gesunde näher in Reichweite positionieren als die Süßigkeiten, die Leute ein bisschen in die richtige Richtung stupsen.
Luft nach oben bleibt: 2019 fielen in Deutschland pro Kopf 72 Kilogramm Verpackungsmüll an, vier Kilo mehr pro Person als 2018. Diesen Wert dürfte 2020 erneut übertroffen haben.