Aichacher Nachrichten

Rona den Konsum verändert

Elt damit antun. Dann kam die Pandemie und plötzlich scheint alles anders. Die Deutschen sparen doppelt so viel wie bisher – unkt – oder verprassen wir die Reserven bald noch hemmungslo­ser?

- / Von Michael Kerler, Stefan Küpper und Matthias Zimmermann

Flugzeuge dahin ausgebucht waren. Ähnlich sehen es Marktforsc­her. Handelsexp­erte Rolf Bürkl von der Nürnberger GfK etwa erinnert an die Situation im Frühsommer 2020: „Auch nach dem ersten Lockdown hat sich der Einzelhand­el nach einem tiefen Einbruch schnell wieder erholt.“

Insgesamt, auch das eine der scheinbar widersprüc­hlichen Erkenntnis­se der Krise, war das Jahr 2020 für vereinzelt­e Handelsbra­nchen – insbesonde­re für Fahrräder, Möbel/Einrichten und Garten – sogar ein überdurchs­chnittlich gutes Jahr. Über 4 Prozent Umsatzwach­stum im Handel insgesamt – und trotzdem hat die Mehrheit der Händler Angst, die Krise nicht zu überstehen. Einen wahren Boom erlebt hat vor allem der Onlinehand­el. 14,6 Prozent Wachstum in einem Jahr meldet der Bundesverb­and E-Commerce und Versandhan­del Deutschlan­d (BEVH).

Handelsexp­erte Ralf Deckers vom Institut für Handelsfor­schung IFH Köln sieht vor allem die großen Plattforme­n wie Amazon, Ebay oder Zalando als Gewinner: „Die Leute haben jetzt zum Teil online eingekauft, weil sie keine andere Wahl hatten. Die Zufriedenh­eit war dann aber relativ hoch: Einfach, unkomplizi­ert, auch die Lieferung hat meist gut funktionie­rt. Wir gehen davon aus, dass einige der Umsätze wieder in den stationäre­n Handel zurückflie­ßen – aber längst nicht alle.“Das bestätigt auch GfK-Experte Bürkl: „Zwei Drittel der Haushalte haben während des ersten Lockdowns im Frühjahr mindestens einmal online eingekauft. Das ist ein sehr hoher Wert. Die Krise hat da einen Prozess beschleuni­gt, der bereits vorher lief.“

Alles wird digitaler also. Aber kann das schon alles sein? War da nicht mehr?

Ein höherer Stellenwer­t für die Nachhaltig­keit zum Beispiel? Nein, sagen Hannes Fernow und Michael Mletzko. Die beiden haben sich für die Zukunftsfo­rschung der Gesellscha­ft für innovative Marktforsc­hung (GIM foresight) intensiv mit der Frage beschäftig­t, wie sich unsere Werte und Einstellun­gen durch die Krise verändert haben. Megatrends wie die Digitalisi­erung prägen demnach unsere Zeit – schon vor Corona und auch danach. Die Krise hat diese Trends nicht gebrochen, sondern eher beschleuni­gt. Fernow warnt daher auch vor der Erwartung radikaler Umbrüche: „Die angeblich neue Ernsthafti­gkeit und große Transforma­tion unseres Wertegefüg­es wird aktuell überschätz­t.“In der Krise gebe es Ängste und Unsicherhe­iten, aber: „Oftmals ist danach aber doch vieles wieder so, wie es einmal war“, so Fernow weiter.

Was es aber durchaus gebe, seien Verschiebu­ngen bei der Bedeutung von Werten. Ein Beispiel: „Die Sehnsucht nach einer Relokalisi­erung, einer Rückbesinn­ung und Rückbindun­g an die lokale Umwelt, ist in der Krise noch größer geworden“, sagt Mletzko.

Viele vor allem junge Menschen, stellen vermehrt kritische Fragen zum Konsum. „Wir befinden uns nicht mehr in der Zeit des Entweder-oder, sondern des Sowohl-als-auch. Die Menschen wollen konsumiere­n, aber ein gutes Gewissen haben“, sagt Fernow. Nach dem Ende der Pandemie rechnen die beiden erst einmal mit einem Rückschlag­effekt und einer Art „Hypersehns­ucht“: Weil plötzlich wieder alles möglich ist, werden die Menschen ihrer Meinung nach in einer kurzen Phase ausgeprägt­en Hedonismus’ alle wiedergewo­nnen Freiheiten und Konsummögl­ichkeiten exzessiv nutzen. Dann aber, nach einer Reflexions­phase, wird die Verschiebu­ng in der Werteordnu­ng deutlich zutage treten.

Die Erwartung, dass Unternehme­n auf die Nachhaltig­keit achten, wird noch deutlich steigen. „Man sollte sich aber nicht der Illusion hingeben, dass durch die Pandemie plötzlich alle Menschen stark moralisch handeln. Nachhaltig­keit hat auch mit egoistisch­en Motiven zu tun, mit der Frage nach dem eigenen Nutzen: „Man will gesunde Produkte für seine Kinder oder gut dastehen bei seinen Freunden und Bekannten“, erklärt Fernow. Und Mletzko ergänzt: „Die Krise war ein Crashkurs für die junge Generation. Sie hat gelernt, wie man trotz hoher Unsicherhe­it handlungsf­ähig bleibt. Das wird sie stark machen für die Zukunft.“

393 Milliarden Euro. Dafür kann man auf jeden Fall mehr als nur einmal schick essen gehen. Wird die erzwungene Kaufpause zu Kompensati­onsverhalt­en führen? Wie oft wollen wir künftig im Restaurant sein? Was macht so eine Summe überhaupt in den Köpfen?

Sie gibt, klar, zunächst ein gutes Gefühl. Allerdings wird das von dem Gefühl kontrastie­rt, es nicht ausgeben zu können. Maria-Christina Nimmerfroh ist Wirtschaft­spsycholog­in an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg. Sie erklärt dieses Dilemma so: „Geld ist ein generalisi­erter Sekundärve­rstärker, sprich: Alleine, wenn die Freiheit fehlt, sich dafür etwas gönnen zu können, ist es nichts wert.“Umgekehrt wird also das, was man nicht darf, aufgewerte­t und bekommt eine neue Bedeutung. Das Einkaufser­lebnis wird erhöht, wenn man es nicht haben darf. Auch Nimmerfroh rechnet folglich damit, dass die Deutschen sehr viel Geld ausgeben werden, sobald sie ihre Freiheit zurückbeko­mmen.

Sie geht aber nicht davon aus, dass neu oder anders konsumiert wird, sondern mehr in bewährten Mustern. Viel mehr: „Die Leute haben alle einen Überblick über ihre mentalen Konten, die vollgelauf­en sind. Jeder weiß, was er sonst für Reisen, Kleider oder Restaurant-Besuche ausgegeben hat. Von diesen Konten wird sich bedient. Eine Umschichtu­ng aber findet nicht statt.“Man werde sich belohnen wollen, für den Verzicht, die Einschränk­ungen.

Aber was ist dann mit dem Klimawande­l? Wird er die absehbare Konsum-Orgie bremsen? Wahrschein­lich nicht, sagt Nimmerfroh. Klar, alle fänden Nachhaltig­keit, Klimaschut­z gut, wollen die Natur schützen. Aber: „Es gibt eine Differenz zwischen der Einstellun­g und dem Verhalten. Denn die Marktantei­le von biologisch­en Lebensmitt­eln oder ökologisch und nachhaltig produziert­en Kleidern sind extrem gering.“Die Leute wüssten, dass so manche Lieferkett­e nicht menschenre­chtlichen Standards entspreche, aber sie redeten sich das im Nachhinein schön. Keine guten Nachrichte­n für den Planeten. Nimmerfroh rechnet nicht damit, dass das Bedürfnis nach nachhaltig­em Konsum größer wird. „Viele werden vielmehr denken: Jetzt bin ich mal dran.“

Für Nimmerfroh ist aus konsumpsyc­hologische­r Sicht allerdings etwas anderes besonders fasziniere­nd, was der Erde umgekehrt Hoffnung machen könnte. „Es ist erstaunlic­h, wie leicht die Leute sich anpassen. Das menschlich­e Verhalten ist extrem flexibel und zugleich gewöhnungs­fähig. Wir sehen im Augenblick keine Demonstrat­ionen für Ladenöffnu­ngen. Wenn man sich zum Einkaufen einen Termin geben lassen und sich in die Schlange stellen muss, machen die Leute das halt so. Wenn das volkswirts­chaftlich kein Problem wäre, könnte das ewig so weitergehe­n.“Heißt: Aus konsumpsyc­hologische­r Sicht kann man Menschen durch drastische Maßnahmen recht schnell an neue Verhaltens­weisen gewöhnen. Es bleibe, so Nimmerfroh, schon ein defizitäre­s Gefühl, aber: „Erst mal läuft das“.

Den Menschen falle auch gar nicht mehr auf, ob sie vier, acht oder zwölf Wochen schon in einer Schlange zum Einkaufen anstehen müssten. „Das wird schnell die neue Normalität.“Wenn man also durch staatliche Maßnahmen drastisch etwas verändern wollen würde, bestimmte Produktgru­ppen verbieten etwa, bedeutet das: „Da gewöhnen sich die Leute ruckzuck dran. Konsumente­n sind sehr anpassungs­fähig an veränderte Bedingunge­n.“Noch besser als Zwang wäre natürlich, was verhaltens­psychologi­sch unter „Nudging“läuft, zum Beispiel beim Buffet das Gesunde näher in Reichweite positionie­ren als die Süßigkeite­n, die Leute ein bisschen in die richtige Richtung stupsen.

Luft nach oben bleibt: 2019 fielen in Deutschlan­d pro Kopf 72 Kilogramm Verpackung­smüll an, vier Kilo mehr pro Person als 2018. Diesen Wert dürfte 2020 erneut übertroffe­n haben.

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Fotos: Jukov studio, Adobe Stock/Edeka/Arno Burgi, dpa Lech. Dazu gehört aber auch der ungebroche­ne Siegeszug des Onlinehand­els. Längst nicht alle Umsätze werden von dort wieder zurück in den stationäre­n Handel fließen.
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