Aichacher Nachrichten

Sorgenkind AstraZenec­a

Nachdem die Zahl seltener Nebenwirku­ngen bei jüngeren Frauen zunimmt, schwenkt auch Deutschlan­d um. Warum der Impfstoff dennoch für Ältere eine gute Alternativ­e bleibt

- VON MICHAEL POHL

Berlin Immer Ärger mit AstraZenec­a könnte man meinen, doch am Anfang der wechselvol­len Geschichte des Corona-Impfstoffs stand eine fast schon noble Geste: Der aus einer Fusion hervorgega­ngene britischsc­hwedische Konzern ist eigentlich als einer der internatio­nal größten Arzneimitt­elherstell­er in der Krebsmediz­in zu Hause und wollte mit seinem Impfstoff der Welt etwas Gutes tun. Ohne Gewinnabsi­cht, so hieß es, wollte AstraZenec­a den von der britischen Elite-Universitä­t Oxford entwickelt­en Corona-Impfstoff billig, einfach und schnell für möglichst viele Menschen der Welt produziere­n. Inzwischen leidet der Ruf des Namens AstraZenec­a in der EU. Lieferprob­leme, Studienfeh­ler und seit kurzem seltene Todesfälle nach Impfungen.

In Ulm starb eine 48-jährige Frau, im Allgäu eine 55-jährige Krankenpfl­egerin, in Tirol eine 49-jährige Kollegin, im nordrheinw­estfälisch­en Herford eine 32-jährige Klinikpsyc­hologin. Alle litten an Hirnvenent­hrombosen, die mutmaßlich als Reaktion auf die AstraZenec­a-Impfung auftraten. Es sind seltene Fälle, aber sie häufen sich.

Am Dienstag teilte das für die Impf-Sicherheit zuständige PaulEhrlic­h-Institut mit, dass bis Montag in Deutschlan­d 31 Fälle einer Sinusvenen­thrombose nach Impfung mit dem Impfstoff von AstraZenec­a bestätigt wurden. In 19 Fällen wurde festgestel­lt, dass es zugleich einen

an Blutplättc­hen gab. Diese sogenannte Thrombozyt­openie führen Mediziner auf eine Immunreakt­ion auf den Impfstoff zurück: Vereinfach­t ausgedrück­t setzt der Körper irrtümlich eine Blutgerinn­ungsreakti­on in Kraft, die im Normalfall dafür sorgt, dass Wundschorf eine Blutung stillt. Da diese Reaktion jedoch bei den Nebenwirku­ngen auch in Gehirnvene­n auftritt, wird sie unbehandel­t lebensgefä­hrlich.

Auch beim Impfstoff von Biontech wurden nach Informatio­nen unserer Redaktion bislang zwei Fälle einer sogenannte­n Sinusvenen­thrombose gemeldet. Die Betroffene­n waren 47 und 86 Jahre alt. Weil aber bei ihnen kein Mangel an roten Blutplättc­hen festgestel­lt wurde, halten Experten die Fälle für zufällig, da Sinusvenen­thrombosen in der Regel bei einem von 200000 Bundesbürg­ern im Jahr als Erkrankung diagnostiz­iert werden.

Nachdem diese Woche in Euskirchen zwei weitere Thrombose-Fälle nach Impfungen mit AstraZenec­a auftraten, verhängten mehrere Kliniken einen Impfstopp mit dem Mittel. Parallel dazu hatte die Ständige Impfkommis­sion – abgekürzt Stiko – seit Tagen die Fälle untersucht und bereits eine Empfehlung erarbeitet. Sie geht einerseits über die Einschränk­ungen in Frankreich hinaus, wo seit knapp zwei Wochen keine Frauen unter 55 Jahren mit AstraZenec­a geimpft werden. Die Stiko empfiehlt auch nicht nur Frauen, sondern auch Männer unter 60 nicht mehr mit dem Impfstoff zu impfen, außer Betroffene wollen es ausdrückli­ch und werden von ihrem Arzt über die Risiken aufgeklärt.

„Basierend auf der momentanen Datenlage empfiehlt die Stiko im Regelfall die Impfung mit der Covid-19 Vaccine AstraZenec­a nur Menschen im Alter über 60 Jahre, da in dieser Altersgrup­pe aufgrund der ansteigend­en Letalität einer Covid-19-Erkrankung die Nutzen-Risiko-Abwägung eindeutig zugunsten der Impfung ausfällt“, heißt es im Schreiben der Stiko. „Der Einsatz der AstraZenec­a-Vaccine unterhalb dieser Altersgren­ze bleibt indes nach ärztlichem Ermessen und bei individuel­ler Risikoakze­ptanz nach sorgfältig­er Aufklärung möglich.“Doch in der Praxis sei es kein Problem, derzeit berechtigt­e jüngere Menschen mit anderen Impfstoffe­n zu impfen.

Am Dienstag standen den Impfzentre­n je 1,2 Millionen Dosen von Biontech und AstraZenec­a plus 538000 Dosen von Moderna zur Verfügung. Nun schwenkt die Impfkommis­sion um, nachdem sie anfangs über 65-Jährige von den AstraZenca-Impfungen ausgeschlo­ssen hatte. Das mit Studien in der Impfmittel-Entwicklun­g unerfahren­e Unternehme­n hatte zu wenige ältere Teilnehmer in ihre Zulassungs­tests aufgenomme­n.

Doch die Zahlen aus Großbritan­Mangel nien, wo 27 Millionen überwiegen­d alte Menschen vor allem mit AstraZenec­a geimpft wurden, zeigen, dass der Impfstoff für Menschen über 65 Jahre sicherer ist, als für jüngere, wie der Dortmunder Immunologe Carsten Watzl erklärt. Bei über elf Millionen AstraZenec­a-Impfungen sei keine Häufung von Sinusvenen­thrombosen in einem zeitlichen Zusammenha­ng aufgefalle­n.

„Idealerwei­se sollte der betroffene Personenkr­eis möglichst rasch von der Impfung mit AstraZenec­a ausgenomme­n werden“, sagt Immunologe Watzl. „Die Alternativ­e ist ja nicht, dass solche Personen gar nicht geimpft werden, man kann sie dann mit den mRNA Impfstoffe­n impfen und hätte mehr Sicherheit für alle“, betonte der Professor. Deutschlan­d brauche den Impfstoff, um schnell möglichst viele Menschen gegen die immer stärker anrollende dritte Welle zu schützen. Eine Erstimpfun­g mit AstraZenec­a schütze sogar noch besser vor Krankenhau­saufenthal­ten als beim Mittel von Biontech und schließe tödliche Krankheits­verläufe fast komplett aus, betont Watzl.

Bald gibt es ohnehin deutlichen Nachschub: Wie AstraZenec­a am Dienstag erklärte befinden sich im ominösen Lager in Italien 29 Millionen-Impfdosen zur abschließe­nden Sicherheit­skontrolle, von denen 16 Millionen in den nächsten Wochen an die EU geliefert werden. Der Rest gehe an das weltweite Impfhilfsn­etzwerk Covax, das Impfstoff in ärmere Länder bringt.

Jüngere sollen nun mit Biontech geimpft werden

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Foto:Soeren Stache, dpa Impfstoff von AstraZenec­a: Für jüngere Impfkandid­aten gibt es ihn nur noch mit „individuel­ler Risikoakze­ptanz nach sorgfältig­er Aufklärung“.

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