Aichacher Nachrichten

Wie liest sich Amanda Gormans Gedicht?

„The Hill We Climb“, vorgetrage­n zu Bidens Amtseinfüh­rung, ist jetzt übersetzt

- VON RICHARD MAYR

Vor gut zwei Monaten schuf die junge US-amerikanis­che Lyrikerin Amanda Gorman einen perfekten Moment: zur rechten Zeit am rechten Ort mit dem rechten Gedicht. Gut sechs Minuten dauerte der Vortrag ihres Gedichts „The Hill We Climb“. Bei der Amtseinfüh­rung des neuen US-Präsidente­n Joe Biden wollte sie aufrütteln und gleichzeit­ig versöhnen, geschockt immer noch von den Bildern des gestürmten Kapitols. Wie das Gegenereig­nis dazu wirkte Gorman an diesem Tag. „Wir treten das Erbe eines Landes und einer Zeit an,/ da ein kleines, dünnes Schwarzes Mädchen,/ Nachfahrin von Sklavinnen, Kind einer/ alleinerzi­ehenden Mutter,/ davon träumen kann, Präsidenti­n zu werden, und/ nun hier, heute, für einen Präsidente­n vorträgt.“

So heißt das jetzt in der deutschen Übersetzun­g ihres Gedichts „The Hill We Climb“, das soeben erschienen ist. In der Zwischenze­it allerdings haben sich über die Lockerheit dieses Auftritts die lautstarke­n Diskurse der Gegenwart gelegt, zum Beispiel, wer dieses Gedicht übersetzen sollte und wer nicht. Da brach ein Sturm der Empörung über der Niederländ­erin Marieke Lucas Rijneveld herein, weil sie als privilegie­rte Weiße die Verse einer Person of Color übersetzen sollte, woraufhin sich Rijneveld zurückzog. Spätestens da war das Gedicht in der Gegenwart angekommen – als neues Futter für die Vorkämpfer linker Identitäts­politik.

Der Hoffmann und Campe Verlag schlug von Anfang an einen ungewöhnli­chen, aber wohlüberle­gten

Weg ein und engagierte drei Frauen – Uda Strätling, Hadija HarunaOelk­er und Kübra Gümüsay – für die Übersetzun­g. Nun kann man in der zweisprach­igen Ausgabe, die das Gedicht großzügig auf 64 Seiten verteilt, nachlesen, dass ein magischer Moment schlecht zwischen zwei Buchdeckel passt. Denn Gormans Verse sind für den mündlichen Vortrag geschriebe­n, sie haben dabei ihre Magie entfaltet, mit Binnenreim­en und gutem Rhythmus, ein bisschen pathetisch, vorgetrage­n von dieser selbstbewu­ssten jungen Frau. Jedes Wort meint das, was es bedeutet – Poetry Slam eben. Gedruckt und des besonderen Rahmens beraubt, wirkt das Gedicht aber schlicht. „Ein neuer Morgen dämmert herauf, indem wir/ es sagen./ Denn Licht ist immer,/ wenn wir es nur in uns zu finden wagen.“Das muss man nicht mehrmals lesen, das muss man nicht gedruckt vor sich sehen, da schaut man sich besser diesen Vortrag von Amanda Gorman im Original an.

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Foto: Patrick Semansky, dpa Diese Bilder von ihr gingen um die Welt: Amanda Gorman am 20. Januar bei der Amtseinfüh­rung des US‰Präsidente­n Joe Biden.

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