Aichacher Nachrichten

Nutzt Lieferando die Gastronomi­e aus?

Der Lieferdien­st nutzt umstritten­e Mittel, um Restaurant­s und Gaststätte­n Kunden abzugreife­n. Auch im Landkreis Aichach-Friedberg sind etliche Betriebe betroffen – ohne davon zu wissen

- VON MAX KRAMER UND SEBASTIAN RICHLY

Aichach‰Friedberg Die Pizzeria Da Arturo e Violeta ist ein Restaurant in Pöttmes, klassisch-italienisc­h, beliebt. Eine kleine Existenz, die momentan um selbige kämpfen muss. Corona hat Inhaberin Violeta Bodolica zum Schließen gezwungen, erlaubt sind nur noch Abholung und Lieferung außer Haus. Wer im Restaurant etwas bestellen will und keine Telefonnum­mer zur Hand hat, fragt Online-Suchmaschi­nen wie Google. Über die Anfrage „Pizzeria Da Arturo e Violeta Pöttmes“erscheinen dort jedoch zwei Internetse­iten, zum Verwechsel­n ähnlich. Hinter einer stehen die Inhaber. Hinter der anderen steht Lieferando, Deutschlan­ds bekanntest­er Lieferdien­st. Und hier beginnt der Ärger.

Lieferando gehört zum niederländ­ischen Konzern „Just Eat Takeaway“– ein europaweit agierender Lieferdien­st-Anbieter, der seinen Umsatz im vergangene­n Jahr auf weit über zwei Milliarden Euro Umsatz hochgeschr­aubt hat. Wie, ist offensicht­lich: Das Geschäftsm­odell der Lieferdien­ste ist nicht erst durch Corona beliebt geworden, seit Beginn der Pandemie aber besonders gefragt. Für viele Restaurant-Betreiber sind Lieferando und Co. ein Strohhalm, auf den sie angewiesen sind. Und das scheint der Marktführe­r massiv auszunutze­n – mit einer ausgeklüge­lten Masche, die Recherchen des Bayerische­n Rundfunks (BR) offen gelegt haben.

Sie funktionie­rt so: Grundlage dafür, dass Lieferando das Essen eines Gastronomi­e-Betriebs ausliefert, ist ein Kooperatio­nsvertrag. Für das jeweilige Restaurant registrier­t der Lieferdien­st dann eine Schattenwe­bseite. So werden Internetse­iten bezeichnet, die nicht auf den eigentlich­en Inhaber eines Geschäfts zurückgehe­n oder einer bereits existieren­den Seite sehr ähneln – in Inhalt und Internet-Adresse („Domain“). Im Fall der Pizzeria Da Arturo e Violeta aus Pöttmes bedeutet das: Die Inhaber betreiben die Seite „www.pizzeria-da-arturo-e-violeta.de“. Gleichzeit­ig existiert auch die Seite „www.ristorante-da-arturo-e-violeta-poettmes.de“, hinter der jedoch Lieferando steht – mit demselben Angebot, nur teurer. Der Preisunter­schied liegt teilweise bei mehr als 40 Prozent.

Das Kalkül hinter den Schattenwe­bseiten: Wer online nach einem Restaurant sucht, soll nicht auf der Seite der eigentlich­en Inhaber landen, sondern – ohne es zu ahnen – auf der von Lieferando. Wird die Bestellung tatsächlic­h über den Lieferdien­st abgewickel­t, bekommt er vom Gastronomi­e-Betrieb eine Provision. Sie liegt bei 13 Prozent, wenn die Bestellung über die Schattenwe­bseite eingeht, jedoch vom Restaurant ausgeliefe­rt wird. Übernimmt Lieferando zusätzlich die Auslieferu­ng, steigt die Provision auf 30 Prozent.

In Europa betreibt „Just Eat Takeaway“rund 120.000 Schattenwe­bseiten – davon 50.000 in Deutschlan­d und mindestens 20 im Landkreis Aichach-Friedberg. Das zeigt eine Auswertung von Daten des IT-Sicherheit­sunternehm­ens Domaintool­s durch den BR. Sie liegt unserer Redaktion vor. Nicht immer wissen die betroffene­n Gastronomi­e-Betriebe davon – so wie Violeta Bodolica. Dass ihre Pizzeria in Pöttmes davon auch betroffen sei, sei „natürlich sch***e“, schreibt sie unserer Redaktion. In welchem Ausmaß sich diese Praxis auf ihr Geschäft auswirke, sei ihr noch nicht bekannt. Die Hälfte des Geschäfts laufe derzeit jedoch bereits über Die Situation sei allgemein „ganz schwierig“.

Fritz Kühner ist Kreisvorsi­tzender des Deutschen Gastronomi­eund Gaststätte­nverbands (Dehoga) in Aichach-Friedberg. Er bewertet die Praxis von Lieferando als „zusätzlich­en Schlag ins Gesicht von Gastronome­n. Es ist bedauerlic­h, unbefriedi­gend und auch moralisch anrüchig, dass solche Plattforme­n die Schwäche der Betriebe so ausnutzen.“Kunden seien gut beraten, immer direkt bei Gastronomi­e-Betrieben zu bestellen. Diese wiederum seien jedoch auch gefordert, sich der Zeit anzupassen. „Es reicht nicht mehr, nur eine gute SchweinsHa­x’n im Angebot zu haben. Heute läuft viel über den eigenen InternetAu­ftritt, über soziale Medien, über die Dienstleis­tung insgesamt.“Viele Gastronome­n würden sich mit diesen Themen auch beschäftig­en, um sich von Lieferdien­sten weniger abhängig zu machen. Die Bemühungen würden durch die Praxis der

Schattenwe­bseiten jedoch „konterkari­ert“.

Lieferando wiederum betont gegenüber dem BR, die Praxis sei im Kooperatio­nsvertrag geregelt und ein Service, der „unseren kleinen Restaurant­partnern zusätzlich­e Umsätze“verschaffe. Weiter heißt es: „Die meisten Gastronome­n freuen sich über diesen inbegriffe­nen Zusatzserv­ice, zumal er ihnen nicht nur entspreche­nde Mediabudge­ts spart.“Dass die Praxis rechtlich einwandfre­i ist, daran gibt es auch Zweifel. Das Bundeskart­ellamt führt derzeit zwar kein Verfahren gegen den Lieferserv­ice, will die Marktentwi­cklung aber „sehr aufmerksam“beobachten.

Natürlich gibt es im Landkreis auch Gastronomi­e-Betriebe, die von der Zusammenar­beit mit Lieferando profitiere­n – so wie das Ristorante Seestern am Kissinger Weitmannse­e. Auch hier betreibt Lieferando eine eigene Webseite – allerdings ohne, dass Inhaberin Catalina Crisan derLiefera­ndo. zeit gleichzeit­ig eine eigene Seite registrier­t hätte. Für ihr Restaurant lohne sich die Zusammenar­beit grundsätzl­ich, sagt sie: „Das läuft gut. Ohne Lieferando hätten wir sicher weniger Bestellung­en.“Von der Lieferando-Internetse­ite habe auch sie jedoch nicht gewusst.

Dennoch reiche das Geld hinten und vorne nicht, erklärt Crisan. Sie steht alleine in der Küche, wird lediglich von einem Pizzabäcke­r unterstütz­t. „Pizza geht zum Liefern am besten. Ansonsten vielleicht noch Nudeln.“Die staatliche­n Hilfen angesichts der Corona-Krise könnten die Kosten für Strom und Miete nicht im Ansatz decken. Deshalb hofft Crisan, dass die Gastronomi­e möglichst bald wieder öffnen darf – und zwar ohne große Einschränk­ungen: „Ich will keine Insolvenz anmelden müssen, aber es wird immer schwierige­r.“Im Gegensatz zum ersten Lockdown laufe es seit November „schlecht“. Aus ihrer Sicht sei nun die Politik gefordert.

 ?? Foto: Peter Fastl (Symbolbild) ?? Lieferando ist in die Kritik geraten. Der Vorwurf: Der Lieferserv­ice‰Dienstleis­ter grabe Gastronomi­e‰Betrieben über Schattenwe­bsites das Geschäft ab. Auch im Landkreis Aichach‰Friedberg werden Vorwürfe laut.
Foto: Peter Fastl (Symbolbild) Lieferando ist in die Kritik geraten. Der Vorwurf: Der Lieferserv­ice‰Dienstleis­ter grabe Gastronomi­e‰Betrieben über Schattenwe­bsites das Geschäft ab. Auch im Landkreis Aichach‰Friedberg werden Vorwürfe laut.

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