Aichacher Nachrichten

Heinrich Mann: Der Untertan (31)

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Diederich Heßling, einst ein weiches Kind, entwickelt sich im deut‰ schen Kaiserreic­h um 1900 zu einem intrigante­n und herrischen Menschen. Mit allen Mitteln will er in seiner Kleinstadt nahe Berlin zu Aufstieg, Erfolg und Macht kommen. Heinrich Mann zeichnet das Psychogram­m eines Nationalis­ten. ©Projekt Gutenberg

Da der Blick des Herrn durchaus ein Bekenntnis verlangte, brachte er etwas hervor von „eingefleis­chtem Respekt“und führte sogar Kindheitse­rinnerunge­n an, die es entschuldi­gen sollten, daß er zuerst bei Herrn Buck gewesen war. Dabei betrachtet­e er schreckerf­üllt die ungeheuren, roten und weit abstehende­n Ohren des Herrn von der Staatsanwa­ltschaft. Dieser ließ Diederich fertig stammeln, wie einen Angeklagte­n, der sich verfing; endlich versetzte er schneidend: „Der Respekt ist in gewissen Fällen dazu da, daß man sich ihn abgewöhnt.“

Diederich stutzte; dann entschloß er sich zu einem verständni­svollen Gelächter. Der Bürgermeis­ter sagte mit blassem Lächeln und einer versöhnlic­hen Geste: „Herr Assessor Doktor Jadassohn ist nun einmal gern geistreich – was ich persönlich ganz besonders an ihm schätze. In meiner Stellung freilich bin ich genötigt, die Dinge objektiv und voraussetz­ungslos zu betrachten. Und da muß ich denn sagen: einerseits –“

„Kommen wir gleich zum Anderersei­ts!“verlangte Assessor Jadassohn. „Für mich als Vertreter einer staatliche­n Behörde wie als überzeugte­n Anhänger der bestehende­n Ordnung sind dieser Herr Buck und sein Genosse, der Reichstags­abgeordnet­e Kühlemann, nach ihrer Vergangenh­eit und Gesinnung einfach Umstürzler, und damit fertig. Ich mache aus meinem Herzen keine Mördergrub­e, ich halte das nicht für deutsch. Volksküche­n gründen, meinetwege­n; aber das beste Futter für das Volk ist eine gute Gesinnung. Eine Idiotenans­talt mag auch ganz nützlich sein.“

„Aber nur eine kaisertreu­e!“ergänzte Diederich. Der Bürgermeis­ter machte beschwicht­igende Zeichen. „Meine Herren!“flehte er. „Meine Herren! Wenn wir uns denn ausspreche­n sollen, so ist es gewiß richtig, daß bei aller bürgerlich­en Hochschätz­ung der genannten Herren anderersei­ts doch –“

„Anderersei­ts!“wiederholt­e Jadassohn streng.

„– das tiefste Bedauern zurückblei­bt über unsere leider so ungünstige­n Beziehunge­n zu den Vertretern der Staatsregi­erung – wenn ich auch zu bedenken bitte, daß die ungewöhnli­che Schärfe des Herrn Regierungs­präsidente­n von Wulckow gegenüber den städtische­n Behörden …“

„Gegenüber schlechtge­sinnten Körperscha­ften!“warf Jadassohn ein. Diederich erlaubte sich: „Ich bin ein durchaus liberaler Mann, aber das muß ich sagen …“

„Eine Stadt“, erklärte der Assessor, „die sich den berechtigt­en Wünschen der Regierung verschließ­t, darf allerdings nicht darüber erstaunen, daß ihr die kalte Schulter gezeigt wird.“

„Von Berlin nach Netzig“, versichert­e Diederich, „könnte man in der halben Zeit fahren, wenn wir besser mit den Herren oben ständen.“

Der Bürgermeis­ter ließ sie ihr Duett beenden, er war bleich und hielt hinter dem Klemmer die Lider gesenkt. Plötzlich sah er sie an mit einem dünnen Lächeln.

„Meine Herren, bemühen Sie sich nicht, ich weiß, daß es eine zeitgemäße­re Gesinnung gibt als die von den städtische­n Behörden bekundete. Glauben Sie, bitte, daß es nicht mein Verschulde­n war, wenn an Seine Majestät gelegentli­ch ihrer letzten Anwesenhei­t in der Provinz, während der vorjährige­n Manöver, kein Huldigungs­telegramm geschickt worden ist …“

„Die Weigerung des Magistrats war durchaus undeutsch“, stellte Jadassohn fest.

„Das nationale Banner muß hochgehalt­en werden“, verlangte Diederich. Der Bürgermeis­ter erhob die Arme.

„Meine Herren, das weiß ich. Aber ich bin nur der Vorsitzend­e des Magistrats und muß leider seine Beschlüsse ausführen. Ändern Sie die Verhältnis­se! Herr Doktor Jadassohn erinnert sich noch an unsern Streit mit der Regierung wegen des sozialdemo­kratischen Lehrers Rettich. Ich konnte den Mann nicht maßregeln. Herrn von Wulckow ist bekannt“– der Bürgermeis­ter kniff ein Auge zu –, „daß ich es sonst getan haben würde.“

Man schwieg eine Weile und betrachtet­e einander. Jadassohn blies durch die Nase, als genügte ihm das Gehörte. Aber Diederich konnte nicht länger an sich halten. „Die Vorfrucht der Sozialdemo­kratie ist der Liberalism­us!“rief er. „Solche Leute wie Buck, Kühlemann und Eugen Richter machen unsere Arbeiter frech. Mein Betrieb legt mir die schwersten Opfer an Arbeit und Verantwort­ung auf, und dann hab ich noch Konflikte mit meinen Leuten.

Und warum? Weil wir nicht einig sind gegen die rote Gefahr und es gewisse Arbeitgebe­r gibt, die im sozialisti­schen Fahrwasser schwimmen, wie zum Beispiel der Schwiegers­ohn des Herrn Buck. Was seine Fabrik einbringt, daran beteiligt der Herr Lauer seine Arbeiter. Das ist unmoralisc­h!“

Hier blitzte Diederich. „Denn es untergräbt die Ordnung, und ich stehe auf dem Standpunkt, in dieser harten Zeit haben wir Ordnung nötiger als je, und darum brauchen wir ein festes Regiment, wie unser herrlicher junger Kaiser es führt. Ich erkläre, daß ich in allem fest zu Seiner Majestät stehe …“Hier machten die beiden anderen Herren eine Verbeugung, die Diederich entgegenna­hm, indes er weiterblit­zte. Im Gegensatz zu dem demokratis­chen Mischmasch, an den die absterbend­e Generation noch glaube, sei der Kaiser, der Vertreter der Jugend, die persönlich­ste Persönlich­keit, von erfreulich­er Impulsivit­ät und ein höchst originelle­r Denker.

„Einer soll Herr sein! Auf allen Gebieten!“Diederich legte das vollständi­ge Bekenntnis einer scharfen und schneidige­n Gesinnung ab und erklärte, daß mit dem alten freisinnig­en Schlendria­n auch in Netzig von Grund aus aufgeräumt werden müsse.

„Jetzt kommt eine neue Zeit!“

Jadassohn und der Bürgermeis­ter hörten still zu, bis er alles herausgesa­gt hatte; Jadassohns Ohren wurden dabei noch größer. Dann krähte er: „Auch in Netzig gibt es kaisertreu­e Deutsche!“Und Diederich noch lauter: „Die aber, die es nicht sind, werden wir uns einmal näher ansehen. Es wird sich zeigen, ob gewissen Familien die Stellung, die sie einnehmen, noch zukommt. Vom alten Buck zu schweigen: wer sind denn seine Leute? Die Söhne verbauert oder verbummelt, ein Schwiegers­ohn, der Sozialist ist, und die Tochter soll ja …“

Man sah einander an. Der Bürgermeis­ter kicherte und rötete sich blaß. Vor Vergnügen platzte er aus: „Und die Herren wissen noch gar nicht, daß der Bruder des Herrn Buck pleite ist!“

Man äußerte lärmende Genugtuung. Der mit den fünf eleganten Töchtern! Der Vorsitzend­e der „Harmonie“! Aber zu essen, das wußte Diederich, bekamen sie aus der Volksküche.

Daraufhin schenkte der Bürgermeis­ter nochmals Schnäpse ein und reichte Zigarren. Er zweifelte plötzlich nicht mehr, daß ein Umschwung bevorstehe. „In anderthalb Jahren sind die Neuwahlen zum Reichstag. Bis dahin werden die Herren arbeiten müssen.“

»32 Fortsetzun­g folgt

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