Als Papst und LudwigI. einen Künstler umwarben
Zu ihrer Wiedereröffnung nach zweijähriger Sanierung widmet sich die Glyptothek in München dem großen dänischen Bildhauer Bertel Thorvaldsen. Dank seiner Kunst konnte sich dieser unerhört viel erlauben
„Es wäre so schön gewesen!“Dieser bedauernde Ausruf, im Zusammenhang mit Raffaels 500. Todestag und der Stadt Rom hier vor einem Jahr zu lesen, gilt auch 2021.
Es wäre so schön gewesen, rund um Ostern die Spanische Treppe hinaufzusteigen, einen Blick auf den Obelisco Sallustiano zu werfen und wenigstens zwei Blicke auf Santissima Trinità dei Monti, um sich dann rechterhand einzufädeln in die Via Sistina hin zur Piazza Barberini. Welch klangvolle Namen mitten im einstigen Bildhauerviertel Roms mit seinen Dutzenden von Werkstätten und Ateliers rund um das Jahr 1800!
Es wäre so schön gewesen, all das in überkommener Gestalt zu sehen; nun aber muss uns das innere Auge bei einer Geschichts- und Gedankenreise in eines der berühmtesten Bildhauerateliers des Klassizismus die nötige Anschauung verschaffen. Es gehörte Bertel Thorvaldsen, dem großen, europaweit bewunderten dänischen Künstler, der 1797 in wild bewegter Zeit als Stipendiat der dänischen Akademie an den Tiber gekommen war und sich hier unter zunächst widrigen Umständen zum Erfolg hin durchbiss. Später bezeichnete er selbst seine Ankunft am 8. März 1797 als seine zweite, als seine römische Geburt.
1798 hatten Napoleons Truppen die Stadt eingenommen, dann in jeder Hinsicht gewichtige Kunstwerke wie die Laokoon-Gruppe abtransportiert – an denen sich doch der junge Thorvaldsen schulen sollte und wollte. Puccinis Oper „Tosca“berichtet aus eben jenen Jahren. Hinzu kamen die Seeblockade von Marmorlieferungen aus Carrara, Depression, Krankheit, die kurzzeitige Inhaftierung Thorvaldsens – mal ganz abgesehen davon, dass ihm mangelnde Bildung und mangelnde Sprachkenntnisse im Wege standen, dazu Schreibprobleme selbst in der Muttersprache.
Aber er war eben auch hoch talentiert. Und das brachte ihm 1803 anhand seiner „Jason“-Marmorskulptur den Durchbruch sowie den Beginn einer Erfolgslaufbahn, auf deren Höhepunkt Thorvaldsen neben 40 Mitarbeitern in diversen Studios und Ateliers, neben einem Ausbildungsbetrieb, auch eine – nun ja – geräumige Halle des Palazzo Barberini als Depot und Ausstellungsraum anmietete (Bild oben).
Das war 1822. Thorvaldsen war längst eine Instanz auch in der Beurteilung antiker Bildwerke geworden, und seine Studios waren geführte Anlaufstätten für Bildungsreisende in Italien. „Er gab wenig auf seine Haltung, seine Kleidung… Seine Art war es nicht, sich bemerkbar zu machen, und er vermied es absichtlich, um zudringlichen Gästen nicht noch mehr Zeit zu opfern“– so wurde Thorvaldsen beschrieben. 1822: Dies war auch das Todesjahr Antonio Canovas, des anderen hochrespektierten Bildhauers in Rom – und nun fiel der Auftrag für das Grabmal von Papst Pius VII. im Petersdom an den Protestanten, an den „Häretiker“Thorvaldsen.
1826 besuchte Papst Leo XII. den Künstler in seinem großen Studio, um sich über den Fortschritt des Grabmals zu erkundigen. Das half nicht viel, die Fertigstellung sollte weitere vier Jahre dauern – auch wenn unser Bild oben den Papstbesuch von 1826 mit dem fertigen Grabmal links der Tür kombiniert. In seinem Gemälde von 1830 beabsichtigte nämlich der Maler Hans Detlev Christian Martens die bis zu diesem Zeitpunkt entstandenen bedeutenden Arbeiten Thorvaldsens mit der Papstvisite zu dokumentieren. Er konstruierte eine Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen.
war die Zeit ja noch nicht vorbei, als Künstler sich um feste Hofanstellung bewarben, ja bewerben mussten, weil freie, selbstständige, unternehmerische Tätigkeit zu wenig abwarf. Selbst Beethoven, derselbe Jahrgang 1770, hatte 1808 noch geliebäugelt, an den Hof in Kassel zu gehen. Thorvaldsen indessen brauchte dahingehend keinen Gedanken verschwenden. Im Gegenteil: Er konnte seine Kunden, selbst die Mächtigen und die Herrscher, geradezu warten lassen …
Dazu gehörte auch der Kronprinz und spätere König Ludwig I. von Bayern, der Thorvaldsen und seine Kunst tief verehrte – was ja enormen Einfluss besonders auf die Glyptothek in München hatte, die jetzt anlässlich ihrer Wiedereröffnung nach Generalsanierung die Beziehung Thorvaldsen – Ludwig I. ins Zentrum rückt.
1808 schon hatte Ludwig I. die Marmorstatue „Adonis“in Auftrag gegeben – 23 Jahre musste er auf sie warten. Ein Jahr später trat er in brieflichen Kontakt mit dem Bildhauer, der dann – neben anderen Experten – immerhin regelmäßiger Ratgeber in Sachen Ankauf antiker Skulpturen und deren möglicher Rekonstruktion wurde – voran die berühmten, restauratorisch langjährig diskutierten Tempelgiebel mit den Ägineten in der Glyptothek.
Recht eigentlich war es zumeist Ludwig I., der sich um Thorvaldsen bemühte. 1818 trafen sich die beiden erstmals, nicht in München, sondern in Rom, und dann dort wieder 1824 – nachdem Thorvaldsen 1819 auf einer Reise in die dänische Heimat München links liegen gelasLange einer
Ausstellung sen hatte: Seine Auftragslage war ohnehin prächtig. Wobei bis heute in der wissenschaftlichen Debatte bleibt, wie viel er bei einzelnen Werken – nach seinem Entwurf in Ton – selbst noch Hand anlegte zur Fertigstellung der Skulpturen. Der Carrara-Marmor bei Canova ist deutlich glatter geschliffen und poliert als bei Thorvaldsen, der einer matten, raueren Oberfläche den Vorzug gab.
1842 kehrte Thorvaldsen, der Bildhauer, der Antiken-Ergänzer, der Ratgeber und Altertumssammler, von Rom endgültig nach Dänemark zurück, wo er in Kopenhagen ein Museum ausschließlich für sein OEuvre erhielt. Zweimal zumindest hatte er in seinem Leben München besucht, 1830 und dann noch einmal 1841, als er auch seinen einstigen Studenten und Mitarbeiter Ludwig Schwanthaler wiedersah.
Das älteste Fotoporträt Skandinaviens zeigt übrigens Thorvaldsen 1840 vor seinem Atelier in Kopenhagen. Als er 1844 starb, ging ein Teil jenes Goldenen Zeitalters Dänemarks verloren, in dem auch Hans Christian Andersen und Søren Kierkegaard wirkten. Was folgte, war für viele Jahrzehnte die durchaus kritische kunsthistorische Betrachtung der Antiken-Ergänzung und des Klassizismus, der ja auch wieder eine Art Renaissance war. ⓘ
Ausstellungsdauer bis 25. Juli. Der 244seitige, reich bebilderte und infor mative Katalog kostet 29,90 Euro