Aichacher Nachrichten

„Die kleine Chinesin“von St. Othmar

Porträt Lian Lei-Schruff stammt aus einem Dorf in Zentralchi­na. Sie lebt aber seit über 30 Jahren in St. Othmar bei Pöttmes. Als sie krank wurde, befasste sich die Ingenieuri­n intensiv mit Qigong. Heute gibt die 56-Jährige als Qigong-Meisterin in Steingri

- VON MANFRED ZEISELMAIR

Pöttmes „Ich habe im Leben viel Glück gehabt“, findet die gebürtige Chinesin Lian Lei-Schruff. Und erzählt in perfektem Deutsch ihre Geschichte. Dabei trägt sie einen traditione­llen Tai-Chi-Übungsanzu­g. Es ist ihre Arbeitskle­idung, denn Lian ist Qigong-Meisterin. Aufgewachs­en in einem armseligen Dorf in Zentralchi­na, hat die mittlerwei­le 56-Jährige vor mehr als 30 Jahren in St. Othmar bei Pöttmes eine zweite Heimat gefunden.

Im Kurzdurchl­auf erklärt sie die wichtigste­n Stationen ihres bewegten Lebens: „Im Alter von vier Jahren wollte ich noch Ärztin werden – nur um meiner schwerkran­ken Mutter helfen zu können“, beginnt sie. Später habe sie sich für ein Metallurgi­e-Studium entschiede­n und sei im großen Stahlwerk der chinesisch­en Millionen-Metropole Xi An ins Berufslebe­n gestartet. „Ich war damals schon fasziniert von Deutschlan­d, weil es als kleines Land weltweit führend in der Stahlindus­trie war“, erzählt Lei-Schruff.

Als fertige Diplominge­nieurin hatte sie viel mit dem deutschen Stahlunter­nehmen Krupp Mannesmann zu tun und lernte dabei auch ihren späteren Ehemann kennen. Seit der Heirat lebte sie in Deutschlan­d, in St. Othmar. Nach der Geburt ihrer beiden Kinder und einem intensiven Berufsjahr als selbststän­dige Metallbaui­ngenieurin sei sie sehr krank geworden, erzählt sie weiter. „Heute würde man wohl Burn-out dazu sagen“, beschreibt es Lei-Schruff. Die junge Familie entschloss sich zu einem längeren Aufenthalt in Lians Heimat. Obwohl sie als Technikeri­n anfangs sehr skeptisch gewesen sei, habe sie sich auf Anraten ihres Onkels intensiver mit Qigong befasst. „Ich hatte diese uralte chinesisch­e Lehre zwar schon als Kind erlebt, konnte sie aber nie richtig wertschätz­en“, erzählt sie.

Nach ihrer Rückkehr nach Bayern folgten zwei Jahre lang weitere Ausbildung­seinheiten. Die große Kunst des Qigong erlernte Lian schließlic­h bei drei chinesisch­en Großmeiste­rn in Peking und der Region Xi An. Als frischgeba­ckene Internatio­nale Meisterin gab sie im Jahr 1997 ihre ersten eigenen Kurse in Pöttmes und betrieb dort auch bis Ende 2002 ihr eigenes Qigong-Institut. 2003 kehrte Lei-Schruff gestärkt in die Stahlindus­trie zurück. Ihre erste Ehe wurde nach 20 Jahren geschieden. Um ihre Eigenständ­igkeit zu bewahren, war sie weiterhin bis 2010 weltweit als selbststän­dige Ingenieuri­n tätig.

Ihr heutiges Gesundheit­s- und Qigong-Zentrum im Schrobenha­usener Ortsteil Steingriff betreibt Lian Lei-Schruff, mit Unterstütz­ung ihres zweiten Ehemanns, seit 2013. Am Eingang des modernen Gebäudes empfangen den Besucher zwei große chinesisch­e Steinfigur­en, die mit orangefarb­enen Tüchern bedeckt sind. Wer jedoch hier einen versteckte­n chinesisch­en Tempel erwartet, liegt falsch. Im Inneren beherrscht ein großer lichtdurch­fluteter Seminarrau­m mit Flipchart und Besprechun­gstisch das Erdgeschos­s. Einzig zwei Lithografi­en mit chinesisch­en Schriftzei­chen an den Wänden erinnern an chinesisch­e Traditione­n. Zahlreiche Notizblöck­e liegen bereit. Auf einem davon skizziert die Meisterin während des Gesprächs ihre Lehr- und Leitsätze.

Sie schreibe sehr gerne, erzählt sie lächelnd. Und zeigt auf einen Stapel ihrer gesammelte­n Notizen, die sie in einem Regal aufbewahrt. Darunter befinden sich sowohl zu Papier gebrachte Träume als auch ein ganz besonderes Manuskript. Unter dem Titel „Die Wiege des Seins“hat Lian Lei-Schruff die Geschichte(n) ihrer Kindheit zusammenge­schrieben. Sie erzählt darin von der schweren Arbeit auf den Getreideun­d Baumwollfe­ldern, von hoher Kinderster­blichkeit und „BarfußÄrzt­innen“ohne jegliche akademisch­e Ausbildung, von der Rikscha als einzigem Transportm­ittel, von gegenseiti­ger Hilfe und einer Dorfgemein­schaft, in der sie trotz der großen Armut Harmonie und Geborgenhe­it verspürte.

Im Dorf wurden sowohl die Lehren der traditione­llen chinesisch­en gong‰Übungen können. Sie setze dabei auf die Kräfte der Selbstheil­ung, erklärt sie, „sowohl bei körperlich­en als auch bei seelischen Erkrankung­en.“Viele Menschen seien auf der Suche nach alternativ­en Heilmethod­en, so LeiSchruff. Qigong sei nur eine davon und könne als Lehre zudem die Antwort sein auf Fragen wie: Können wir gesünder und mit mehr Lebensfreu­de leben? Wie geht es mit unserer Gesellscha­ft weiter, wenn das Vertrauen zwischen den Menschen immer schwächer wird? Wie können wir unseren Kindern die Werte des Lebens vermitteln und wonach sollen sie sich orientiere­n? Warum gibt es trotz intensiver Forschunge­n mehr Erkrankung­en, trotz höherem Wohlstand mehr Sorgen? Wie findet man den Weg zu sich selbst?

In den vergangene­n 20 Jahren hat die zertifizie­rte Meisterin nach und nach ihre eigene Lehre entwickelt und vervollstä­ndigt: „Di Tian Gong“sei eine moderne Art von Qigong, die neue Übungen und Theorien sowie unterschie­dliche Heilmethod­en umfasse, erklärt sie. In ihrer Lehre verbindet Lei-Schruff uralte chinesisch­e Tradition mit eigenen Lebenserfa­hrungen und moderner westlicher Moralität. Schon in ihrer Kindheit hätten Werte wie Ethik, Tugend und Moral als eine Art Religionse­rsatz für sie eine große Rolle gespielt, erzählt Lian Lei-Schruff. Sie sehe und verstehe das Leben als besten Lehrmeiste­r, die Natur als den besten Unterricht­ssaal und den Menschen als lernenden Schüler. Ihre Erkenntnis­se gibt sie in Kursen und Seminaren an ihre Schüler weiter. Lei-Schruff ist überzeugt, dass jeder Mensch ein großes Potenzial an Energie in sich trage. Den meisten Leuten sei dies nur nicht bewusst. Sie helfe den Menschen, ihr eigenes Potenzial in sich zu entdecken und schließlic­h ganzheitli­ch gesund zu werden und zu bleiben. Der Ausdruck „unheilbar“sei ihr fremd.

Das Problem vieler Leute sei, dass sie ihre Körperwahr­nehmung verloren haben. „Sie wissen nicht mehr, was ihr Körper wirklich braucht.“Das eigene Immunsyste­m sei der beste Arzt, sagt sie. Ihre „äußere Hilfe“diene lediglich dazu, diese innere Hilfe zu aktivieren. Zu ihren traditione­llen Heilmethod­en zählen unter anderem die Stimulieru­ng der sogenannte­n Meridiane durch Akupressur und die Anleitung zur Selbstmass­age. Grundsätzl­ich ist Lian Lei-Schruff der Meinung, es sei sinnvoller, sich mehr mit der Gesundheit als mit Krankheite­n zu befassen.

Abschließe­nd gibt „die kleine Chinesin“, wie sie sich selbst bescheiden nennt, noch eine ihrer zahlreiche­n Lebensweis­heiten mit auf den Weg: „Jeder Mensch ist eine Blüte vom Lebensbaum und hat die Möglichkei­t eine Frucht zu werden, wenn er das Leben versteht.“Die Qigong-Meisterin Lian Lei-Schruff hinterläss­t den bleibenden Eindruck, als habe sie den Sinn des Lebens verstanden.

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Foto: Wolfgang Sellmeier (Archivbild) In einem Dorf in Zentralchi­na geboren, lebt Qigong‰Meisterin Lian Lei‰Schruff heute in Sankt Othmar bei Pöttmes.
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Fotos: Manfred Zeiselmair Zwei traditione­lle chinesisch­e Steinfigur­en empfangen den Besucher am Eingang des Gesundheit­s‰ und Qigong‰Zentrums von Lian Lei‰Schruff. Wer hier jedoch einen versteckte­n chinesisch­en Tempel erwartet, irrt sich.
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Lian Lei‰Schruff in tiefster Entspannun­g zu Beginn einer Meditation­sübung.
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Entspannun­g findet Lian Lei‰Schruff auch mit ihren Zauberwürf­eln.

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