Auf der Schulbühne entdeckt
Im theter Ensemble arbeitete Schauspielerin Daria Welsch schon in verschiedenen Funktionen, am wohlsten fühlt sie sich auf der Bühne. Das hat auch mit ihrer Schüchternheit zu tun
Sie sind jung, kommen aus der Region und haben ihre Karriere noch vor sich: „Junge Künstler“heißt unsere Serie, die dem kreativen Nachwuchs aus der Region auf den Spuren ist.
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In einer Polemik über die Nutzlosigkeit des Theaters schrieb der streitbare Publizist Joachim Fest einmal von vergeudeten Abenden, enttäuschten Erwartungen und gähnender Langeweile. Damit konfrontiert blitzt für einen Moment Irritation in Daria Welschs Augen, dann begegnet die junge Schauspielerin dem Frustausbruch aber mit einem schönen Bild: Theater sei „wie ein Ball aus Gummibändern, es vereint Handwerk, Musik, Literatur, Sprache, Körperlichkeit, Geschichte, wir brauchen es als Diskussionsfläche und Alltagsflucht“.
Daria Welsch brennt für das Theater und ihr Ensemble, das im City Club beheimatete Kollektiv theter. Als sie dessen Aufführung der Tragödie „Bahnwärter Thiel“besuchte, war es ihr erster Kontakt mit der Kunstform Theater, doch der anarchische Geist des Ensembles, die popkulturellen Einflüsse in den Inszenierungen und die unverputzte Wand des City Clubs zogen sie sofort in ihren Bann.
Dann ging es plötzlich sehr schnell. Welsch stand bei einer Aufführung im Rahmen eines P-Seminars an ihrer Schule auf der Bühne, an der das theter ensemble der Regie assistierte. Der künstlerische Leiter Leif Eric Young holte sie von der Schulbühne herunter und besetzte sie in der allerletzten Aufführung von „Bahnwärter Thiel“und warf sie praktisch ins kalte Wasser. Seitdem war Daria Welsch in den verschiedensten Funktionen bei jedem Stück seit 2017 dabei, in der Requisite, der Organisation, als Regieassistenz oder eben auf der Bühne. Dort fühlt sie sich am wohlsten.
Und am sichersten, ist doch die Bühne für Daria Welsch auch eine Flucht vor einer steten Begleiterin ihrer Kindheit, der Schüchternheit. Sie tritt den Beweis an, dass Schüchternheit eben kein Hindernis für ein Leben auf der Bühne ist – im Gegenteil: „Weil ich weiß, wie es ist, schüchtern zu sein, kann ich für meine Rollen einen Katalog an Gefühlen auspacken. Ich gehe Rollen so an, dass ich mir dazu die ganze Hintergrundgeschichte ausdenke“. In der Theorie nennt man diese Herangehensweise Method Acting. In der Praxis bedeutet das, sich in die Rolle einzufühlen, eigene Erinnerungen einzuflechten und ganz naturalistisch zu spielen. So entwickelte sich die Studentin der Theaterwissenschaften zu einer aufblühenden Bühnenpersönlichkeit, eine Entwicklung, die auch den Juroren des Kunstförderpreises der Stadt Augsburg 2020 nicht entgangen ist.
So profitieren heute das theter Ensemble und das Augsburger Publikum von einer facettenreichen Schauspielerin, die selbst den Zwängen der aktuellen Situation einiges abgewinnen kann, auch „wenn die Empathie, die man als Schauspielerin braucht, natürlich fehlt, genauso wie die Spannung vor und den Spannungsabfall nach dem Auftritt“. Die Produktionen des Ensembles werden nun aufgezeichnet, das TheaterIch wird ins Film-Ich übertragen. Während auf der Bühne groß gespielt werden muss, um alle Nuancen eines Charakters bis in die letzte Reihe zu transportieren, verlangt die Kamera ein kleineres, stilleres Spiel.
Wenn Daria Welsch im Beitrag des Ensembles zum diesjährigen Brechtfestival der Begleiterin von Brecht, Ruth Berlau, ihre Stimme leiht, kündigt sich der kurze, aber heftige Wutausbruch über die ihr von Brecht gestohlenen Jahre in einem kleinen Zucken um die Mundwinkel an, das ganz leise Zittern in der Stimme prophezeit die kurz darauf folgende Eruption. Ein beeindruckender Moment in einem intensiven Film – auch wenn dieses Format nicht die Spezialität von theter ist. Aber das ist es, was Daria Welsch so schätzt an dieser Gruppe: „Wir sind zwar nicht alle ausgebildet, aber wir kriegen alles hin, weil wir sehr viel Arbeit reinstecken“. Und Herzblut. Was ist also dieses Theater nun, Herr Fest? Daria Welsch zögert keine Sekunde: „Theater ist mein Leben“.