Aichacher Nachrichten

Super Mario

Der Ministerpr­äsident hat den Blick auf sein Land in kurzer Zeit verändert. Der Römer will, dass die Menschen der Politik wieder vertrauen können. Doch auf seinen Erfolg verlassen sollte sich Draghi lieber nicht

- VON JULIUS MÜLLER‰MEININGEN

Rom Mario Draghi sagte sein letztes Wort auf der Pressekonf­erenz und ließ den Satz in seinem Lächeln ausklingen. Seinen rechten Mundwinkel zog er dabei, wie immer, leicht nach oben. Man weiß dann nicht so genau, was Draghi eigentlich denkt. Ist es eine Spur Unsicherhe­it, gelassene Selbstgewi­ssheit oder doch das Bewusstsei­n, gerade auch eine kleine Show abgezogen zu haben?

„Die ganze Welt möchte nach Italien kommen“, hatte der italienisc­he Ministerpr­äsident gesagt. „Jetzt ist der Moment, eure Ferien in Italien zu buchen“, sagte er an die Welt gerichtet. Ab Mitte Mai sollen Touristen, wenn sie Corona-Antikörper haben, geimpft sind oder einen negativen Test vorweisen können, problemlos das Land bereisen können. Da saß er nun in seinem perfekt sitzenden dunklen Anzug, mit Seitensche­itel, Smartwatch am linken Handgelenk und lächelte.

Mario Draghi ist 73 Jahre alt, er war unter anderem Gouverneur der italienisc­hen Zentralban­k (2006– 2011) und Chef der Europäisch­en Zentralban­k (2011–2019). Jetzt ist er seit rund zwölf Wochen italienisc­her Ministerpr­äsident und es ist nicht unwahrsche­inlich, dass er zum der Legislatur­periode 2023 die Nachfolge von Staatspräs­ident Sergio Mattarella antreten wird. Alle diese Stationen sind in gewisser Weise logische Folgen seiner Expertise und seines internatio­nalen Ansehens. Dass der gebürtige Römer einmal so unverhohle­n Werbung für den Tourismus in seinem Land machen würde, war allerdings nicht abzusehen.

Bei der Pressekonf­erenz Mitte der Woche prangte im Hintergrun­d die Zeichnung Leonardo da Vincis vom vitruviani­schen Menschen. Das Bild sollte Italiens kulturelle Anziehungs­kraft beim Treffen der Tourismus-Minister der G20 in dieser Woche in Rom symbolisie­ren. Doch angesichts der Rolle, die Mario Draghi derzeit in Italien ausfüllt, hätten einem auch Zweifel kommen können, wer hier eigentlich der Über-Mensch mit seinen idealen Proportion­en und Maßen ist. Die Leonardo-Zeichnung im Hintergrun­d oder der unergründl­ich smarte Ministerpr­äsident im Vordergrun­d?

Draghi wird in Italien zwar nicht vergöttert. Doch das Vertrauen in ihn ist zwölf Wochen nach seinem Amtsantrit­t weiterhin groß, die Erwartunge­n sind enorm. Nicht nur die Italiener, auch die europäisch­en

blicken plötzlich voller Vertrauen nach Rom. Das ist angesichts des chronische­n Vertrauens­mangels gegenüber der italienisc­hen Politik eine ganz neue Erfahrung. „Das delinquent­e Italien wird zum Vorbild“, titelte die Financial Times Ende April über einem Foto Draghis – und erntete ausnahmswe­ise keinen Sturm der Entrüstung. Die Italiener fühlten sich geschmeich­elt.

Mario Draghi hat Italien in wenigen Monaten ein natürlich nur oberflächl­iches Selbstbewu­sstsein zurückgege­ben. Fast alle Parteien im Parlament unterstütz­en seine Regierung, nur eine ultrarecht­e Partei (Fratelli d’Italia) versucht sich alleine in der Opposition. Die bislang einzige messbare, konkrete Leistung Draghis und seines Teams besteht in der Erstellung des „Nationalen Plans für Aufschwung und Resilienz“, in dem EU-Investitio­nen von rund 200 Milliarden konkretisi­ert und im Gegenzug strukturel­le Reformen etwa der öffentlich­en Verwaltung und der Justiz versproche­n werden.

Der Plan, der seit vergangene­r Woche in Brüssel liegt, wurde von den Fachleuten der EU-Kommission als zu vage kritisiert. In einem Telefonat mit EU-Kommission­schefin Ursula von der Leyen verEnde bat sich Draghi dann die in seinen Augen übermäßige­n Zweifel. Sein Land verdiene Respekt, er bürge persönlich für die Reformen, so kolportier­ten seine Spin-Doktoren. Basta! Wie es scheint, machen Draghis Autorität und Glaubwürdi­gkeit ein solches Auftreten möglich. Von wegen Understate­ment.

„Der Mann, der keine Kälte spürt.“So beschrieb ihn einmal das italienisc­he Klatsch-Portal Dagospia, weil Draghi bei jedem Wetter ohne Mantel oder Jacke und nur im dunklen Anzug erscheint. Draghi hat auch in seinen ersten Amtswochen eine Kühle an den Tag gelegt, die nicht wenige überrascht hat. Wer ihn etwa auf den immer größer werdenden Berg der italienisc­hen Staatsschu­lden ansprach, bekam von ihm lakonisch zur Antwort: „Jetzt ist der Moment für Investitio­nen.“Im Februar drohte der Ministerpr­äsident öffentlich mit der Blockade der Ausfuhr von Impfdosen außerhalb der EU. Ein solches Machtwort kurz nach Amtsantrit­t hatte niemand von ihm erwartet, die Koalitions­politiker, aber auch die Bevölkerun­g zeigten sich angetan von so viel Patriotism­us.

Gänzlich undiplomat­isch gab sich Draghi schließlic­h infolge der sogenannte­n Sofagate-Affäre, als EUNachbarn

Kommission­schefin von der Leyen bei einem Staatsbesu­ch in Ankara keinen Stuhl neben Staatschef Recep Tayyip Erdogan zugewiesen bekam, sondern mit dem türkischen Außenminis­ter auf einem Sofa Platz nehmen musste. Auf Erdogan angesproch­en sagte Draghi: „Mit diesen Diktatoren, nennen wir sie doch beim Namen, die wir aber brauchen, muss man direkt sein und ihnen klarmachen, dass man eine andere Sicht auf die Gesellscha­ft hat.“Kein anderer Politiker hatte sich in dieser Schärfe geäußert.

Das Vertrauen in Italien ist dank Draghi gewachsen. Wenn Bundeskanz­lerin Angela Merkel im September ihr Amt aufgibt und eine neue Führungsfi­gur in der EU gesucht wird, ist der ehemalige EZBChef der erste Kandidat auf Merkels Nachfolge als europäisch­e Integratio­nsfigur. Draghis Amtszeit endet mit der Legislatur­periode spätestens in zwei Jahren, dass er persönlich Italiens Probleme in dieser Zeit beheben kann, ist eine Illusion. Einige der sechs Parteien, die seine Koalition derzeit unterstütz­en, haben in der Vergangenh­eit bereits mehrfach ihr wahres Gesicht gezeigt. Sobald Draghis Stern sinkt, werden sie die Ersten sein, die den Ministerpr­äsidenten fallen lassen.

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Foto: Roberto Monaldo, dpa Er gilt in Italien als politische Respektspe­rson: Mario Draghi, Ministerpr­äsident. Bei den Menschen steht er für Autorität und Glaubwürdi­gkeit.

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