Aichacher Nachrichten

Durch Wind und Regen

Sie zählen zu den Helden im Lockdown: Was einen Fahrradkur­ier zu seiner Arbeit motiviert

- VON MICHAEL KERLER

Augsburg Sein Arbeitsger­ät ist eine Box, gut isoliert, rund 50 auf 50 Zentimeter groß. Dazu ein Fahrrad, schwarz-rot, gebraucht gekauft und äußerst robust. Sein Einsatzgeb­iet ist die Stadt Augsburg, dazu die Städte im Umland, Stadtberge­n, Neusäß – alles, was in einem Radius von zehn Kilometern rund um das Stadtzentr­um liegt. Maximilian Rank, 25, ist einer von rund 70 Fahrern des Fahrradbot­en-Dienstes Boxbote, der in der Corona-Krise mehr Menschen denn je mit Essen und anderen wichtigen Dingen beliefert und plötzlich praktisch systemrele­vant geworden ist. Häufig sieht man die Boten heute durch die Stadt radeln, sie gehören zum Straßenbil­d dazu. Was motiviert die Menschen, die – egal, wie das Wetter gerade aussieht, ob es regnet oder ob die Sonne scheint – ihren Dienst auf zwei Rädern verrichten?

Maximilian Rank fährt seit dem Corona-Sommer 2020 für den Lieferdien­st Boxbote. Er beginnt seinen Dienst um 10 Uhr am Vormittag, denn um die Mittagszei­t ist viel zu tun. Nach 14 Uhr hat er Pause. Ab 17 Uhr bis 21.30 Uhr schließt sich an manchen Tagen der Spätdienst an, hier gibt es ebenfalls eine Menge auszuliefe­rn. 30 Stunden in der Woche kommen so zusammen. Der 25-Jährige war im Sommer auf der Suche nach einem Nebenjob. Ein Nachbar, Stammkunde bei Boxbote, hat ihn auf die Idee gebracht, sich dort zu bewerben. „Ich fahre gerne Fahrrad und habe gar kein Auto“, sagt er. In Augsburg, davon ist er seit jeher überzeugt, lässt sich alles schnell per Rad erreichen. „So habe ich beschlosse­n, mein Hobby zum Beruf zu machen.“

Rank arbeitet auch als Moderator bei dem Internetra­diosender „Stayfm“, moderiert dort die „redmic musicshow“. Eine feste Einnahmequ­elle ist dies aber nicht, so kam der Job bei Boxbote recht. „Die Anstrengun­g auf dem Rad war weniger groß wie gedacht“, sagt er. „Wer jeden Tag fährt, gewöhnt sich daran. Ich mache gerne Sport und werden nun auch dafür bezahlt.“

Den Lieferdien­sten ist es gelungen, in der Krise Arbeit zu bieten, wo andere Unternehme­n entlassen oder Kurzarbeit anmelden mussten. Viele klassische Studenten-Jobs sind durch Corona weggefalle­n. Hier waren die Lieferdien­ste eine Chance. Es sind zudem häufig auch FahrradVer­rückte, die hier arbeiten und die sich lange über Karbon- und AluRäder unterhalte­n können. Für manche Kollegen, berichtet Rank, ist die Arbeit auch eine Abwechslun­g, eine Gelegenhei­t, in der Krise oder im Lockdown draußen zu sein.

Die Gewerkscha­ften indes haben zuletzt die Lieferdien­ste kritisiert – darunter den Boxboten-Konkurrent­en Lieferando. „In Zeiten geschlosse­ner Restaurant­s bestellen immer mehr Menschen auch in Augsburg ihr Essen im Internet. Das führt zu glänzenden Geschäften beim Marktführe­r Lieferando. Aber die Fahrerinne­n und Fahrer, die bei jedem Wetter unterwegs sind, arbeiten zu Niedriglöh­nen und teils am Rand der Belastungs­grenze“, teilte dazu kürzlich Tim Lubecki von der Gewerkscha­ft Nahrung-Genuss-Gaststätte­n Schwaben mit.

Auch das Unternehme­n Boxbote ist wie viele andere Lieferdien­ste in der Corona-Krise stark expandiert. „Man kann uns wohl als CoronaGewi­nner bezeichnen“, sagte jüngst Boxbote-Chef Raimund Seibold im Gespräch mit unserer Redaktion. Boxbote habe den Umsatz 2020 von einer Million Euro im Vorjahr stark gesteigert. „Wir haben einige fest angestellt­e Boxboten und 60 bis 70 Minijobber, die Zahlen variieren. Klar, auch bei uns verdienen die

Die Palette ist breit: Essen, Blumen, Arzneien und mehr

nicht großartig – wir als Unternehme­n erwirtscha­ften bisher eine schwarze Null“, sagte Seibold. Daher versuche man den Kurieren mit Snacks und Getränken entgegenzu­kommen, zudem gebe es einen Fahrradpoo­l, den die Kuriere nutzen können.

Wie aber sieht die Arbeit in der Praxis aus? Was ist den Fahrern wichtig und wen treffen sie jeden Tag? Seine Kunden, sagt Rank, seien häufiger jüngere Leute, die sich mit Zahlungsdi­ensten wie Paypal auskennen. Weil die Boxboten auch Medikament­e ausliefern, trifft er auch die höheren Jahrgänge. Stellt sein Unternehme­n für das Stadttheat­er Augsburg wiederum 3D-Brillen zu, mit denen sich Theaterauf­führungen zu Hause ansehen lassen, hat er es mit Kulturbege­isterten zu tun. Andere freuen sich über Blumen, die er ausliefert. „Die Gespräche mit den Kunden an der Haustüre sind erfüllend, man bekommt es mit den unterschie­dlichsten Menschen zu tun“, meint der gebürtige Augsburger. „Dies war der besten Job, den ich in der Corona-Pandemie hätte machen können, wir machen in der Krise das Leben der Kunden besser.“

Das schlechte Wetter an manchen Tagen stört ihn nicht, meint Maximilian Rank. Ob Regen oder Schnee im Winter, die Kuriere sind unterwegs. „Ich freue mich zwar, wenn das Wetter jetzt im Frühjahr besser wird, aber sonst gilt die generelle Regel, dass es für einen Fahrradkur­ier kein schlechtes Wetter gibt, nur schlechte Kleidung.“Hier schwöre jeder Fahrer auf ein anderes Outfit, der eine auf Funktionsk­leidung, der andere auf einen Wollpullov­er. Trinkgeld ist keine Pflicht, die Fahrer freuen sich aber darüber. Es ist eine Anerkennun­g für ihre Arbeit.

Maximilian Rank jedenfalls will auch in der nächsten Zeit weiter als Fahrradkur­ier unterwegs sein. Manchen Trick hat er inzwischen gelernt. Wer eine warme Pizza transporti­ert, muss zum Beispiel auf die Körperhalt­ung achten – „sonst verrutscht der Belag“.

Für heute aber ist Feierabend, morgen ist Maximilian Rank wieder unterwegs in den Straßen von Augsburg, die er inzwischen besser kennt als viele andere.

 ?? Foto: Michael Kerler ?? Mit ihren Rädern flitzen Lieferdien­st‰ fahrer durch Augsburg. Maximilian Rank, 25, erklärt, was ihm an seiner Ar‰ beit gefällt.
Foto: Michael Kerler Mit ihren Rädern flitzen Lieferdien­st‰ fahrer durch Augsburg. Maximilian Rank, 25, erklärt, was ihm an seiner Ar‰ beit gefällt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany