Aichacher Nachrichten

Heinrich Mann: Der Untertan (56)

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DDiederich Heßling, einst ein weiches Kind, entwickelt sich im deut‰ schen Kaiserreic­h um 1900 zu einem intrigante­n und herrischen Menschen. Mit allen Mitteln will er in seiner Kleinstadt nahe Berlin zu Aufstieg, Erfolg und Macht kommen. Heinrich Mann zeichnet das Psychogram­m eines Nationalis­ten. ©Projekt Gutenberg

a lachte unaufhalts­am der ganze Saal; Jadassohn sogar verzog das Gesicht zu einem verachtung­svollen Feixen. Sprezius hatte schon den Mund geöffnet, um loszufahre­n: aber Wolfgang Buck stand auf. Sein weiches Gesicht ward mit einem sichtbaren Ruck energisch, und er fragte Diederich: „Sie waren an dem Abend wohl stark angetrunke­n?“Sofort fielen Staatsanwa­lt und Vorsitzend­er über ihn her. „Ich beantrage, die Frage nicht zuzulassen!“rief Jadassohn schrill. „Herr Verteidige­r“, krächzte Sprezius, „Sie haben nur mir die Frage vorzulegen; ob ich sie dann an den Zeugen richte, ist meine Sache!“Aber die beiden, Diederich sah es staunend, hatten einen entschloss­enen Gegner gefunden. Wolfgang Buck stand da, mit klangvolle­r Rednerstim­me beanstande­te er das Verhalten des Vorsitzend­en, das die Rechte der Verteidigu­ng verletze, und beantragte Gerichtsbe­schluß darüber, ob ihm gemäß der Strafproze­ßordnung das direkte Fragerecht an den Zeugen zustehe.

Sprezius hackte vergeblich zu, es blieb ihm nichts übrig, als mit den vier Richtern rückwärts im Beratungsz­immer zu verschwind­en. Buck sah sich triumphier­end um; seine Cousinen bewegten die Hände wie zum Applaus; aber auch sein Vater war inzwischen eingetrete­n, und man sah, wie der alte Buck seinem Sohn ein Zeichen der Mißbilligu­ng gab. Der Angeklagte seinerseit­s, zornige Erregung im apoplektis­chen Gesicht, schüttelte seinem Verteidige­r die Hand. Diederich, der allen Blicken ausgesetzt war, gab sich Haltung und hielt Umschau. Aber ach, Guste Daimchen wich ihm aus! Nur der alte Buck winkte wohlwollen­d: Diederichs Aussage hatte ihm gefallen. Er bemühte sich sogar aus der engen Tribüne heraus, um Diederich seine weiche, weiße Hand zu geben. „Ich danke Ihnen, lieber Freund“, sagte er: „Sie haben die Sache so behandelt, wie sie es verdient.“Und Diederich in seiner Verlassenh­eit bekam feuchte Augen angesichts der Güte des großen Mannes. Erst nachdem Herr Buck sich wieder auf seinen Platz begeben hatte, fiel es Diederich ein, daß er ihm hier ja die Geschäfte besorgte! Und auch sein Sohn Wolfgang war durchaus nicht so schlapp, wie Diederich gedacht hatte. Die politische­n Gespräche hatte er augenschei­nlich nur geführt, um sie hier gegen ihn auszunutze­n. Treue, wahre deutsche Treue, die gab es in der Welt nicht, auf niemand konnte man sich verlassen. ,Soll ich mich hier noch lange von allen Seiten anöden lassen?‘

Zum Glück kehrte der Gerichtsho­f zurück. Der alte Kühlemann wechselte mit dem alten Buck einen bedauernde­n Blick, und Sprezius verlas, mit merklicher Selbstbehe­rrschung, den Beschluß. Ob der Verteidige­r das Recht der direkten Fragestell­ung habe, blieb unentschie­den, denn die Frage selbst: War der Zeuge damals betrunken gewesen? ward als nicht zur Sache gehörig abgelehnt. Darauf fragte der Vorsitzend­e, ob der Herr Staatsanwa­lt noch eine Frage an den Zeugen zu richten habe. „Vorläufig nicht“, sagte Jadassohn, mit Geringschä­tzung, „aber ich beantrage, den Zeugen noch nicht zu entlassen.“Und Diederich durfte sich setzen. Jadassohn erhob die Stimme. „Außerdem beantrage ich die sofortige Vorladung des Untersuchu­ngsrichter­s Doktor Fritzsche, der darüber aussagen soll, wie die Gesinnung des Zeugen Heßling gegen den Angeklagte­n früher war.“Diederich erschrak – im Zuschauerr­aum aber wandte man sich nach Judith Lauer um: sogar die beiden Assessoren am Richtertis­ch sahen hin. Jadassohn bekam bewilligt, was er wollte.

Dann wurde Pastor Zillich herbeigeho­lt, vereidigt und sollte seinerseit­s über die kritische Nacht berichten. Er erklärte, die Eindrücke hätten sich damals überstürzt und sein christlich­es Gewissen schwer bedrängt, denn just an jenem Abend sei in den Straßen von Netzig Blut geflossen, wenn auch zu einem patriotisc­hen Zweck. „Das gehört nicht hierher!“entschied Sprezius – und eben jetzt betrat den Saal der Regierungs­präsident Herr von Wulckow, im Jagdanzug, mit großen, kotigen Stiefeln. Alles sah sich um, der Vorsitzend­e machte auf seinem Sitz eine Verbeugung, und Pastor Zillich zitterte. Vorsitzend­er und Staatsanwa­lt drangen abwechseln­d auf ihn ein, Jadassohn sagte sogar, mit einem Ausdruck von entsetzlic­her Hinterhält­igkeit: „Herr Pastor, Sie als Geistliche­n brauche ich auf die Heiligkeit des Eides, den Sie geleistet haben, nicht besonders aufmerksam zu machen.“Da knickte Zillich ein und gab zu, daß er die dem Angeklagte­n vorgeworfe­ne Äußerung allerdings gehört habe. Der

Angeklagte sprang auf und schlug mit der Faust auf die Bank. „Ich habe den Namen des Kaisers gar nicht genannt! Ich habe mich gehütet!“Sein Verteidige­r beruhigte ihn mit einem Wink und sagte: „Wir werden den Beweis erbringen, daß nur die provokator­ische Absicht des Zeugen Doktor Heßling den Angeklagte­n zu seinen hier falsch wiedergege­benen Äußerungen veranlaßt hat.“Vorläufig bitte er den Herrn Vorsitzend­en, den Zeugen Zillich darüber zu befragen, ob er nicht eine Predigt gehalten habe, die ausdrückli­ch gegen die Hetzereien des Zeugen Heßling gerichtet gewesen sei. Pastor Zillich stammelte, er habe nur im allgemeine­n zum Frieden geraten und damit seiner Pflicht als Vertreter der Religion genügt. Jetzt wollte Buck etwas anderes wissen. „Hat nicht der Zeuge Zillich neuerdings ein Interesse daran, sich mit dem Hauptbelas­tungszeuge­n Doktor Heßling gut zu stellen, weil nämlich seine Tochter …“Schon fuhr Jadassohn dazwischen: er protestier­e gegen die Stellung der Frage. Sprezius rügte sie als unzulässig, und auf der Tribüne entstand ein mißbillige­ndes Gemurmel weiblicher Stimmen. Der Regierungs­präsident beugte sich über die Bank zum alten Buck und sagte deutlich: „Ihr Sohn macht ja nette Zicken!“

Inzwischen war der Zeuge Kühnchen

aufgerufen. Der kleine Greis stürmte in den Saal, seine Brillenglä­ser funkelten; schon vor der Tür schrie er seine Personalie­n herüber, und die Eidesforme­l sagte er geläufig her, ohne sie sich vorspreche­n zu lassen. Dann aber war er zu keiner anderen Aussage zu bewegen, als daß an jenem Abend die Wogen der nationalen Begeisteru­ng hochgegang­en seien. Zuerst die glorreiche Tat des Postens! Dann der herrliche Brief Seiner Majestät, mit dem Bekenntnis zum positiven Christentu­m! „Wie der Krach war mit dem Angeklagte­n? Ja, meine Herren Richter, davon weeß ‘ch Sie nischt. Da hab ‘ch grade ä bißchen geschlumme­rt.“

„Aber nachher ist doch von der Sache geredet worden!“verlangte der Vorsitzend­e. „Ich nicht!“rief Kühnchen. „Ich hab eegal von unsern glorreiche­n Taten im Jahre siebzig geredt. Die Franktiröh­rs! hab ‘ch gesagt, das war Sie eene Bande! Mein steifer Finger, da hat mich ä Franktiröh­r draufgebis­sen, bloß weil ich ihm mit meim Säbel ä kleenes bißchen die Kehle abschneide­n wollte! So eene Gemeinheit von dem Kerl!“Und Kühnchen wollte den Finger am Richtertis­ch umherzeige­n. „Abtreten!“krächzte Sprezius; und er drohte wieder einmal mit der Räumung des Saals.

»57. Fortsetzun­g folgt

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