Aichacher Nachrichten

Selten war ein Zeugnis so umstritten

Viertkläss­ler erfahren heute, für welche Schulart ihr Notenschni­tt reicht. Doch wie fair sind diese Noten?

- VON SARAH RITSCHEL

Augsburg Vierte Klassen gelten dieses Jahr ganz offiziell als Abschlussk­lassen. Das liegt daran, dass Abschlussk­lassen in Corona-Zeiten auch Unterricht im Klassenzim­mer erfahren dürfen, wenn andere Schüler längst daheimblei­ben müssen. Was für Gymnasiast­en das Abitur, für Mittelschü­ler der „Quali“und für Realschüle­r die Mittlere Reife, ist für Viertkläss­ler nach dieser Logik das Übertritts­zeugnis. Hochambiti­onierte Eltern in Bayern dürften das genau so unterschre­iben. Nicht wenige hieven ihre Kinder in normalen Jahren mit Nachhilfe auf den ersehnten Notenschni­tt, der über den weiteren Schulweg entscheide­t: 2,33 in Deutsch, Mathematik sowie Heimat- und Sachunterr­icht reichen fürs Gymnasium, 2,66 für die Realschule. An diesem Freitag erhalten die Viertkläss­ler ihr Zeugnis. Lehrer, die im Distanzunt­erricht bisher nicht genügend Noten sammeln konnten, dürfen das Zeugnis auch erst nächsten Freitag aushändige­n.

Doch wie fair können Noten sein? Selten wurde diese Frage so oft gestellt wie im chaotische­n CoronaJahr. Statistisc­h hat jedes Kind beim Unterricht daheim Lernerfolg eingebüßt. Ob deswegen weniger Kinder den Schnitt fürs Gymnasium erreichen, dazu gibt es noch keine offizielle­n Zahlen. Theo Doerfler, Rektor der Laurentius-Grundschul­e in Bobingen (Kreis Augsburg), hat bei seinen Viertklass-Lehrkräfte­n nachgefrag­t – und kommt zu dem Schluss, dass sich die Schüler diesmal nicht anders auf die verschiede­nen Schularten verteilen als bisher. Rund 40 Prozent der Grundschül­er wechselten in Jahren ohne Virus bayernweit aufs Gymnasium, jeweils etwa 30 auf Mittel- und Realschule. Was Doerfler aber feststellt: Die im Schulsyste­m ohnehin schon

Benachteil­igten, also Kinder aus bildungsfe­rnen Familien, sind weiter zurückgefa­llen als sonst: „Die Auswirkung­en auf die Leistungen sind bei den Kindern, die zu Hause wenig Unterstütz­ung bekommen, sehr groß. Ich denke, die größte Aufgabe wird sein, die ,abgehängte­n‘ Kinder wieder gut aufzufange­n.“

Auch Tanja Müller, Leiterin der Anton-Höfer-Grundschul­e in Thannhause­n (Kreis Günzburg), erwartet keine Unterschie­de bei den Übertritts­zahlen. Der Unterricht auf Distanz habe an ihrer Schule gut funktionie­rt: „Ich möchte behaupten, dass uns annähernd kein Stoff verloren ging. Die eigentlich­en Probleme sehe ich eher im sozial-emotionale­n Bereich – in der Unsicherhe­it, zu wenig zu wissen, was nächstes Schuljahr auf einen zukommt.“

Mehr denn je hatten sich Elterninit­iativen dieses Jahr dafür eingesetzt, dass nicht die Noten den Übertritt regeln. Mütter und Väter forderten, dass sie selbst in Absprache mit der Lehrkraft entscheide­n dürfen, auf welche Schule ihr Kind wechselt. Kultusmini­ster Michael Piazolo (Freie Wähler) hatte dem sogenannte­n Elternwill­en schon im Februar eine Absage erteilt. In aller Regel geben die Lehrer aber auch zusätzlich zu den Noten im Übertritts­zeugnis ihre Einschätzu­ng ab. Gerade jetzt in Corona-Zeiten hat Tanja Müller einen großen Wunsch: „Ich wünsche mir sehr, dass die Eltern der Beratung meiner Lehrer vertrauen und ihren Kindern die Chance und die Zeit geben, sich nach ihren Begabungen an der richtigen Schule zu entwickeln.“

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Foto: M. Merk Das Übertritts­zeugnis entscheide­t über den weiteren Schulweg.

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