Aichacher Nachrichten

„Angst, Angst, Angst, Angst“

Ein Bürgermeis­ter und ein Landrat erzählen vor Gericht von Bedrohunge­n

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München Makabre Beileidska­rten, Drohanrufe, scharfe Munition als unverhohle­ne Todeswarnu­ng – und eine unheimlich­e Verfolgeri­n im schwarzen Geländewag­en: Vor dem Oberlandes­gericht (OLG) München haben am Donnerstag zwei fränkische Kommunalpo­litiker ausgesagt, die über einen Zeitraum von mehreren Wochen Todesdrohu­ngen bekommen haben.

Dafür verantwort­lich soll nach Ansicht der Ermittlung­sbehörden eine 55 Jahre alte Heilprakti­kerin aus einem kleinen Dorf in Franken sein, die seit vergangene­r Woche als mutmaßlich­e Neonazi-Terroristi­n vor Gericht steht. Sie soll nicht nur die beiden Politiker, sondern auch noch einen Moscheever­ein und ein Flüchtling­sprojekt bedroht und außerdem einen Brandansch­lag vorbereite­t haben.

Zu 90 oder sogar 95 Prozent will der Bürgermeis­ter eines kleinen Ortes bei Nürnberg die Angeklagte als die Frau erkennen, die ihn Anfang 2020 einmal in ihrem Auto auf dem Weg von seinem Haus ins Rathaus verfolgte und ihm regelrecht aufgelauer­t habe, sagte er als Zeuge vor Gericht. „Dass man als kleiner Bürgermeis­ter in so eine Situation rutschen kann“, könne er heute noch nicht begreifen. Neben jenem Tag, an dem er sich verfolgt fühlte, sind es vor allem die beiden makabren Grußkarten, die er nicht aus dem Kopf bekommt: „Wenn der öffentlich­e Vorhang weg ist, sind da die ruhelosen Nächte, die Gedanken.“

An eine Einladung zu einer Mottoparty habe er zunächst geglaubt, „irgendetwa­s Skurriles“, als er den Umschlag mit der seltsamen Schrift in die Hand nahm. Als er darin eine Beileidska­rte mit seinem Namen, Geburtsdat­um und einem Fragezeich­en als Todesdatum und eine Patrone entdeckte, sei ihm ganz anders geworden. „Käseweiß“sei er aus dem Zimmer gelaufen. Es folgten noch eine weitere Karte, eine weitere Patrone, seltsame Anrufe, bei denen immer gleich aufgelegt wurde – und das Gefühl, irgendjema­nd beobachte ihn und seine Familie. „Wir hatten das Gefühl, dass wir nicht immer allein auf unserem Grundstück waren.“

Bei wortlosen Anrufen blieb es bei dem fränkische­n Landrat nicht, der ebenfalls aussagt an diesem Tag und – wie sein Politiker-Kollege – als Nebenkläge­r in dem Verfahren auftritt. „Wir kriegen deinen Mann“, soll eine rauchige Stimme gesagt haben. Der Anruf, der an seine Frau gerichtet war, erreichte seine Mutter. „Angst, Angst, Angst, Angst“habe sie seither – „Angst um meinen Sohn“, Angst vor jedem Menschen, der in der Nähe des Hauses umherlaufe und irgendwie verdächtig wirke.

„Herzliches Beileid“stand auf einer der makabren Grußkarten an den Landrat. Ein Sonnenunte­rgang hinter einem Baum auf der Vorderseit­e – und innen eine Morddrohun­g: „Juden- und Ausländerf­reund“und „Erschossen auf der Terrasse“. Er habe beim Lesen der Karte sofort an die Ermordung des Kasseler Regierungs­präsidente­n Walter Lübcke gedacht, sagt der Landrat. Die Karten kamen zu Weihnachte­n oder zu seinem Geburtstag: „Das war nicht zufällig, das war orchestrie­rt.“

Dass schon der Gang zum Briefkaste­n eine bedrohlich­e Situation darstellte, habe Spuren hinterlass­en bei ihm und seiner Familie: „Man beobachtet die Umwelt anders als vorher, man wird misstrauis­cher.“

Auch wenn der Fall von seinen Ausmaßen und den Hintergrün­den sicher bemerkensw­ert ist, Einzelfäll­e sind Hass, Hetze und Drohungen gegen Kommunalpo­litiker nicht. Im vergangene­n Jahr gab es laut Bundesinne­nministeri­um insgesamt 1674 politisch motivierte Straftaten gegen Amts- und Mandatsträ­ger in Deutschlan­d.

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