Hier wird an der Einheit geschweißt
Umstrittenes Projekt In ländlicher Idylle arbeiten Stahlexperten am Denkmal „Bürger in Bewegung“für Berlin, das an die friedliche Revolution 1989 erinnern soll. Viel Diskussion hat es bereits darum gegeben. Nun droht neuer Ärger
Stemwede/Berlin Für das wiedervereinigte Deutschland ist die Halle zu klein. Das Einheitsdenkmal kann Richard Rohlfing selbst in seinen enorm großen Werkstätten nicht komplett zusammenschweißen lassen. Nun wachsen unter den hohen Hallendecken des Stahlbauerunternehmers zunächst 32 Einzelteile, jedes für sich schon ein Metallkoloss. So entsteht Naht für Naht in Stemwede im ländlichen Grenzbereich zwischen Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen das Freiheits- und Einheitsdenkmal für Berlin.
Die rund 50 Mitarbeiter von Rohlfing sind einiges gewohnt. Schon manch großes Projekt hat von hier aus seinen Weg in die internationale Kunstwelt gemacht. Der begehbare Ring „Your Rainbow Panorama“etwa, den Olafur Eliasson 2011 auf das Dach des Museums für moderne Kunst in Aarhus setzte, entstand in Stemwede. Auch der riesige Stahlbrocken von Stefan Sous vor dem Bundesnachrichtendienst in Berlin kennt die Hallen.
„Das ist was außer der Reihe“, beschreibt Metallbauer Carsten Balshüsemann das Besondere des Projekts Friedens- und Einheitsdenkmal. Hier in Stemwede sei es zunächst die Arbeit am Metall, hinterher „mit den Menschen in Berlin“werde das Besondere der Konstruktion sichtbar. Auf dem Sockel des früheren Kaiser-Wilhelm-Nationaldenkmals vor dem Humboldt Forum in Berlins Mitte soll das „Bürger in Bewegung“genannte Denkmal in Form einer riesigen begehbaren Waage an den friedlichen Weg zur Deutschen Einheit erinnern. Wenn etwa 20 Menschen mehr auf einer Seite der Schale sind, neigt sich diese Hälfte. Nach den Vorstellungen des Stuttgarter Architektenbüros Milla & Partner öffnen sich durch die sanfte Bewegung neue Perspektiven, wenn die Denkmalbesucher sich verständigen und gemeinsam handeln – wie 1989.
Vor dem Aufbau in Berlin gibt es den Crashtest in Stemwede. Auf dem Hof vor den Hallen werden die 32 Teile wohl im Sommer zunächst zusammengesetzt. Schon dann muss die Konstruktion halten, was die Idee verspricht. 120 Tonnen Stahl verteilt auf 50 mal 18 Meter. Nach neuen Problemen steht Sebastian Letz, Kreativdirektor bei Milla & Partner, nicht der Sinn. Das Einheitsdenkmal gehört zur Phalanx jener Berliner Projekte, bei denen Gedanken an eine Fertigstellung wegen jahrelanger Probleme ins Irreale zu führen scheinen.
Nach ersten Ideen einer Initiative 1998 beschließt der Bundestag 2007 zunächst das Denkmal. Ein Wettbewerb scheitert. Nach der zweiten Ausschreibung wird vor zehn Jahren das Milla-Konzept gekürt. Es folgen Meinungsverschiedenheiten im Siegerteam, Bedenken von Denkmal- und Tierschützern, Streit um den Standort, gesperrte Finanzen, Plagiatsvorwürfe. Schließlich genehmigt der Bundestag 17 Millionen Euro mit Festpreis für das, was Kritiker als „Einheitswippe“bezeichnen.
Kulturstaatsministerin
Monika
Grütters wollte das Denkmal gern zum 30. Jahrestag des Mauerfalls 2019 fertig haben, auch das entsprechende Jubiläum der Einheit ein Jahr später hat nicht geklappt. Nun soll es 2022 soweit sein. Der Zeitplan scheint zu stehen. „Die Bauarbeiten gehen gut voran. Die Planungen sehen eine Fertigstellung im
Winter vor“, sagt Kreativdirektor Letz. Nach abschließenden Arbeiten am Sockel rechnet er im Frühjahr mit der Eröffnung. Die Berliner Baustelle ist allerdings immer für eine Verzögerung gut. Erst musste das Humboldt Forum nebenan wachsen, unter der Erde hatte eine neue U-Bahn-Station Vorrang. Am Sockel für das Denkmal wurden überraschend entdeckte Mosaike aus der Kaiserzeit geborgen, darunter im Gewölbe musste ein Völkchen seltener Wasserfledermäuse aus Tierschutzgründen umgesiedelt werden.
Zudem liegt neuer Ärger in der Luft. Nach jüngsten Berliner Bebauungsplänen rücken dem Denkmal mehrere Fahrradständer recht nah auf die Pelle. „Große Sorgen“bereitet Lutz zudem der geplante Aufzugsturm einer Freitreppe zum Spreekanal direkt neben dem Denkmal. „Darüber hinaus hat die Treppe inzwischen Dimensionen angenommen, welche den Weg entlang des Ufers zum Denkmal eher blockiert als bereichert.“Das muss nun zwischen Bund, Berlin und Denkmalbauern geklärt werden. Viel Zeit bleibt nicht. Die Stahlbauer aus Stemwede wollen die Denkmalkonstruktion in Berlin auf den Sockel heben.