Generation Nichtschwimmer
Hintergrund Die Badesaison naht. Gleichzeitig sind die Bäder seit einem halben Jahr geschlossen, Kinder können das Schwimmen nicht mehr lernen. Es hat sich ein gewaltiger Rückstau gebildet
Augsburg Der feuchtmuffige Geruch von Chlor ist für die meisten Schwimmer nur noch eine Erinnerung aus der Vergangenheit. Seit über einem halben Jahr sind die Hallenbäder geschlossen. Und auch die Freibäder hatten im vergangenen Sommer entweder gar nicht oder nur verkürzt geöffnet. Der Sport leidet ganz generell unter den Corona-Maßnahmen, mit am härtesten trifft es den Schwimmsport. „Denn uns fehlt komplett das Element, in dem wir uns bewegen“, sagt Rolando Peceros. Der Vorsitzende des Schwimmbezirks Schwaben bekam vor kurzem die Mitgliederzahlen der schwäbischen Schwimmvereine des vergangenen Jahres auf den Tisch. Zwischen zehn und 15 Prozent betrage der Rückgang im Vergleich zu 2019. Dabei hätten sich die Austritte in einem normalen Rahmen bewegt. Aber: „Es gibt quasi keine Eintritte.“
Das trifft vor allem den Nachwuchs, denn der klassische Weg in die Schwimmvereine ist über einen Schwimmkurs. Diese finden aber seit Beginn der Corona-Pandemie so gut wie gar nicht mehr statt. „Ich fürchte, viele der Kinder, die 2020 und 2021 Schwimmen lernen wollten, haben wir verloren“, sagt Peceros. Ob in den Vereinen, bei DLRG und Wasserwacht oder in privaten Schwimmschulen: Die Wartelisten quellen über. Häufig werden noch nicht einmal mehr Plätze auf diesen Listen vergeben.
Der DSV hat am Dienstag bekannt gegeben, dass der bundesweite Mitgliederschwund von 2019 zu 2020 knapp neun Prozent betrage. In absoluten Zahlen sind das rund 51000 Menschen weniger in den Vereinen. Besonders besorgniserregend sei, so heißt es in der Mitteilung, dass es sich bei 82 Prozent der verlorenen Mitglieder um Kinder bis 14 Jahre handele. DSV-Präsident Marco Troll wird mit den Worten zitiert: „Wenn zehntausende Kinder kein Schwimmen lernen, so hat das langfristige Folgen für den Sport und die Gesellschaft.“
Ähnlich sieht das mit Franziska van Almsick auch eine der prominentesten deutschen Schwimmerinnen. Der FAZ sagte sie, dass schon vor der Pandemie jeder zweite Drittklässler nicht sicher schwimmen konnte. „Ich will das nicht überdramatisieren, aber ich habe große Angst vor dem Sommer, weil ich glaube, dass viele das im Moment total unterschätzen. Ich kann nur an alle appellieren: Kümmert euch um die Kinder, lasst sie nicht aus den Augen, schaut nach links und rechts, auf die, die am Badesee neben euch sitzen.“Jedes Kind habe ein Grundrecht, Schwimmen zu lernen. Jetzt aber gehe sie davon aus, dass eine ganze Generation Kinder heranwachse, die das Schwimmen nicht lernen wird.
Der Bezirksvorsitzende Peceros kann sich ebenfalls schwer vorstellen, wie die gewaltige Zahl an Kindern, die das Schwimmen lernen wollen, abgearbeitet werden soll. „Zumal ich befürchte, dass manche Badbetreiber Corona dafür nutzen werden, ihre defizitären Bäder gar nicht mehr aufzumachen. Und das, obwohl wir schon vorher viel zu wenig Wasserfläche zur Verfügung hatten.“
Langfristig werde diese Situation auch Auswirkungen auf den Wettkampfsport in Deutschland haben. Seit einem halben Jahr dürfen nur noch die wenigen Kaderathleten trainieren, der Rest sitzt buchstäblich auf dem Trockenen. „Ich hoffe, dass im Sommer zumindest die Freibäder wieder öffnen dürfen und wir dort einen einigermaßen normalen Trainingsbetrieb hinbekommen“, sagt Peceros. Die Hygienekonzepte aus dem vergangenen Sommer hätten sich ja bewährt. Es fehle dem Schwimmen aber an einer Lobby, um sich in der Politik Gehör zu verschaffen. Auch deshalb sei an Wettkämpfe noch gar nicht zu denken. Frühestens im Herbst könne er sich das vorstellen. „Denn wir müssen ja, wenn wir denn dürfen, erst einmal den Trainingsrückstand aufholen, was bei einer Ausdauersportart wie Schwimmen nicht so einfach ist. Das benötigt Zeit.“