Aichacher Nachrichten

„70 – das ist doch nur eine Zahl“

Auch die sonst weltweit konzertier­ende Pianistin Janina Fialkowska ist durch die Pandemie in die eigenen vier Wände verbannt. Doch gibt es da kleine Schlupflöc­her. Zudem eine Buchveröff­entlichung und einen runden Geburtstag

- VON STEFAN DOSCH

Viel anderes bleibt ja nicht in dieser Pandemie, als es sich zu Hause einzuricht­en, wenn einem das eigentlich­e Ziel der Arbeit, der Auftritt vor Publikum, nicht gestattet ist. Und so tut auch Janina Fialkowska, die internatio­nal gefragte Klaviersol­istin, seit nunmehr einem Jahr eben das, was wohl alle Musiker tun, seitdem ihnen die Konzerte weggebroch­en sind: Neue Werke sichten und einstudier­en, in ihrem Falle Schuberts große B-Dur-Sonate und einige kürzere Stücke von Brahms, Weber, Sibelius. Dafür, sagt die seit einigen Jahren mit ihrem Mann Harry Oesterle in Ottmarshau­sen bei Augsburg lebende kanadische Pianistin, dafür ist jetzt jegliche Zeit vorhanden. Und diese Chance, richtig tief eintauchen zu können in die Materie, macht auch den Unterschie­d, den Corona bedingt. Denn täglich üben und Noten studieren, das bestimmt auch in normalen Zeiten den Berufsallt­ag einer Pianistin, nur dann eben stetig unterbroch­en durch Auftritte und Konzertrei­sen.

Selbstvers­tändlich kommt es auch Janina Fialkowska schwer an, ihre zahlreiche­n Engagement­s abgesagt zu sehen. Das Finanziell­e ist dabei die eine Seite – nun heißt es, an die Rücklagen zu gehen. Die andere Seite ist der ausbleiben­de Kontakt mit dem Publikum, beileibe nicht nur ein hohler Künstlermy­thos. „Für ein Gegenüber zu spielen, ist etwas völlig anderes, als nur für sich selbst Musik zu machen“, sagt die vor allem für ihre Chopin-Interpreta­tionen gefeierte Pianistin. Und verrät, wie sie sich im Lockdown

aus dem Dilemma hilft – indem sie, inzwischen doppelt geimpft, immer mal einen Bekannten zu sich ins geräumige Wohnzimmer lädt und dann am Flügel ein kompaktes Programm zum Besten gibt. „Auch wenn es sich nur um eine Person handelt, für mich ist die Atmosphäre dann ganz anders, eben fast so wie im richtigen Konzert.“Neulich kam sogar die Nachbarin rüber und fungierte als Statthalte­rin des gewohnten Auditorium­s.

Janina Fialkowska hat Erfahrung darin, längere Phasen ohne große öffentlich­e Auftritte, ja selbst ohne ihr Instrument zu bewältigen. Zweimal hatte eine Krebserkra­nkung sie aus der gewohnten Bahn geworfen, beide Male hat sie sich auf die großen Konzertpod­ien zurückgekä­mpft. Insofern kann sie mit dem durch die Pandemie erzwungene­n Rückzug in die privaten vier Wände umgehen. Obwohl ihr eine Sache zunehmend zu schaffen macht: Nach wie vor und mit jedem weiteren Tag nicht zu wissen, wann man denn nun tatsächlic­h wieder am großen Konzertflü­gel sitzen wird. Und auch, ob danach das gewohnte kontinuier­liche Konzertier­en neu in Gang kommen wird. Gut, für Anfang Juli ist ein Klavierabe­nd in Rostock angesetzt, es wäre das erste reguläre Konzert seit letztem September. Aber Corona hat gezeigt, dass Pläne sehr rasch wieder unter den Tisch fallen können. Und so stehen zumindest gefühlte Fragezeidi­stanzgerec­ht chen derzeit auch noch hinter weiteren bereits terminiert­en Konzerten. Geht hingegen alles nach Plan, gibt es am 25. Juli auch in Augsburg ein Wiederhöre­n mit der Pianistin, im Fronhof mit Beethovens 4. Klavierkon­zert.

Ein weiteres Datum dürfte dagegen kaum mehr ins Wanken geraten. Am 30. September erscheint Janina Fialkowska­s Autobiogra­fie, ein viele Jahre hindurch verfolgtes Vorhaben, das nun an sein Ziel gelangt. Der Gedanke, Ereignisse aus ihrem Leben und ihrer Karriere schriftlic­h festzuhalt­en, entstand während ihrer ersten existenzbe­drohenden Erkrankung, als vor mehr als zwanzig Jahren eine Geschwulst in der Schulter ihr den Einsatz des linken Arms unmöglich machte. Doch auch, wenn die Erkrankung eine Art roten Faden bildet, sind die Aufzeichnu­ngen doch keineswegs in düsteren Farben gehalten. Eher im Gegenteil. Janina Fialkowska erinnert sich an ihre pianistisc­hen Anfänge, unvergesse­ne Konzerte, namhafte musikalisc­he Wegbegleit­er und natürlich an den großen Förderer ihrer Karriere, den legendären Pianisten Artur Rubinstein. „Vieles in meinem Buch ist anekdotisc­h“– so auch die Szene, wie sie als junge Frau in Paris bei den Rubinstein­s in deren vornehmer Wohnung zu Gast ist, die Klingel ertönt und in der Tür die nebenan wohnende Grace Kelly, Fürstin von Monaco, steht und fragt, ob man ihr – Adel verpflicht­et – nicht mit einem Döschen Kaviar aus einer akuten Verlegenhe­it helfen könne.

„A Note in Time“, wie der Titel der Autobiogra­fie lautet, wird Ende

September auf Englisch in London erscheinen, wo Janina Fialkowska seit langem eine treue Fangemeind­e hat. Natürlich würde sie ihr Buch, dessen Chronologi­e bis zu ihrem Comeback 2004 im schwäbisch­en Irsee reicht, gerne auch in deutscher Sprache vorliegen sehen. Doch dafür müsste sich erst einmal ein Übersetzer finden lassen.

Und noch ein Datum sticht hervor in diesem Jahr, es ist der 7. Mai, der heutige Tag, ihr 70. Geburtstag. „Ach“, winkt sie ab, „das ist doch nur eine Zahl.“Rückzugsge­danken vom Konzertleb­en verbindet sie damit jedenfalls nicht, warum auch: „Es gibt gerade bei uns Pianisten so viele Beispiele, dass man auch im Alter noch überzeugen kann.“Und sie meint das durchaus auch in physischer Hinsicht, blickt auf ihre Hände, wackelt mit den Fingern und sagt: „Die sind noch genauso beweglich wie vor 30 Jahren.“Wie machen die Pianisten das? Bestimmt, sinniert Janina Fialkowska, hat es damit zu tun, dass man beim Ausüben der Profession mit aufrechtem Rücken sitzt und dadurch der Atem ruhig zu fließen vermag. Einen Ratschlag an die jüngeren Kollegeinn­en und Kollegen mag sie sich in diesem Zusammenha­ng nicht verkneifen: Spart euch all die theatralis­chen Bewegungen vor und über den Tasten! „Die Musik braucht das nicht.“

Radio Anlässlich des 70. Geburtstag­s bringt Bayern Klassik zwei Sendungen mit Janina Fialkowska: Am 7. Mai eine Folge der „Klassik Stars“(18.05 Uhr); am 8. Mai spricht die Pianistin über „Mei‰ ne Musik“(11.05 Uhr).

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Foto: Ulrich Wagner Der Lockdown verschafft Muße, sich in Musik zu vertiefen und neue Werke zu er‰ schließen: Janina Fialkowska zu Hause am Flügel.

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