Neuer Streit um Olympia
Warum Japans Regierung die Spiele unbedingt durchziehen will
Tokio Trotz scharfer Kritik will der japanische Regierungschef Yoshihide Suga die Olympischen Spiele in Tokio durchziehen. „Wir werden unser Bestes tun, um das Leben und die Gesundheit der Menschen zu schützen und ein sicheres Sportfest zu realisieren“, sagte Suga zu Forderungen der Opposition, die für den Zeitraum vom 23. Juli bis 8. August geplanten Spiele nochmals zu verschieben oder ganz abzusagen.
Erst in der vergangenen Woche hatte die japanische Regierung den Corona-Notstand für die OlympiaStadt Tokio abermals verlängern müssen – bis 31. Mai. Eine an den Präsidenten des Internationalen Olympischen Komitees, Thomas Bach, und Suga gerichtete Petition zur Absage der Spiele wurde bis zum Montag bereits von mehr als 315000 Menschen unterzeichnet. Japans Olympia-Macher, für die es um Gesichtswahrung und viel Geld geht, und das IOC haben jedoch immer wieder betont, dass die Spiele wie geplant und für alle „sicher“veranstaltet werden sollen.
Ein für diesen Monat geplanter Japan-Besuch von Bach ist wegen des Corona-Notstands in Japan verschoben worden. Nach einer Umfrage der japanischen Tageszeitung Yomiuri Shimbun sind 59 Prozent der Befragten für eine Absage der Spiele. In anderen Umfragen ist die Ablehnung teilweise noch deutlich größer.
Für Japan sollten die Spiele auch als Internationalisierungsschub dienen. Ohne Zuschauer aus dem Ausland wird das nicht leichter. Aber diverse japanische Athleten könnten trotzdem etwas bewirken.
Olympische Spiele sind viel mehr als nur die größte Sportveranstaltung der Welt. Das betonen jedenfalls das IOC und das lokale Organisationskomitee jedes Mal. Damit auch Sportmuffel empfinden können, was es heißt, „Feuer und Flamme“zu sein, denken sich die Veranstalter im Vorfeld der Spiele möglichst große Ideale aus, die sie dann zum Motto der Spiele erklären.
In Tokio lauten die Devisen: „Sein persönliches Bestes erreichen“, „Etwas Bleibendes für die Zukunft schaffen“und „Einheit in Vielfalt.“Während das erste Motto die Zuschauer zu persönlichem Ehrgeiz inspirieren soll, betont das zweite, dass die eigens für Olympia errichteten Spielstätten auch in Zukunft noch stehen werden. Besonders interessant – und heikel – aber ist das dritte Motto.
„Einheit in Vielfalt“erläutern die Organisatoren auf ihrer Website so: „Respekt und Akzeptanz der Unterschiede in Sachen Ethnizität, Farbe, Geschlecht, sexueller Orientierung, Sprache, Religion, politischer oder anderer Meinung, nationaler oder sozialer Herkunft, Besitz, Geburt, Status sowie des Niveaus der Fähigkeiten ermöglicht, dass der Frieden erhalten bleibt und die Gesellschaft weiter blüht.“
Hierfür wolle „Tokyo 2020“fruchtbaren Boden bieten.
Zunächst klingt das wie die typisch hochtrabenden Versprechen, die der Profisport immer wieder gibt, um sich über das Spiel hinaus Relevanz zu verschaffen. Im Kontext Japans aber liest sich der lange Satz wie eine Mahnung. „Einheit in Vielfalt“ist bisher nämlich kein Leitspruch, der im ostasiatischen Land besonders gelebt wird. Ein herkömmliches Selbstbild Japans ist das der „homogenen Gesellschaft“, in der eher Gemeinsamkeiten betont werden.
Zudem ist Japan restriktiv in Bezug auf Einwanderung. Kaum zwei Prozent der Bevölkerung hat einen ausländischen Pass. Die Olympischen Spiele sollen einen Blick auf die Welt anbieten, der Diversität als etwas Positives sieht. Inmitten der Pandemie wird das schwierig, da ausländische Besucher nicht ins Land dürfen. Aber einen Diversifizierungsschub könnte „Tokyo 2020“dennoch bringen: durch japanische Sportler, die nicht typisch japanisch aussehen.
Tatsächlich gehören diverse Athleten mit Migrationshintergrund zu den vielversprechendsten, die für die Gastgebernation an den Start gehen werden. Allen voran die Tennisspielerin Naomi Osaka, Tochter einer japanischen Mutter und eines haitianischen Vaters, die zudem in den USA aufwuchs und besser Englisch spricht als Japanisch. Andere Aspiranten aber geben ihre Interviews auf Japanisch.
Da wäre etwa der 22-jährige halbghanaische Sprinter Abdul Hakim Sani Brown, der für Japan bereits U18-Weltmeister über 100 und auch 200 Meter wurde. Selbst in der Nationalsportart Judo zählt mit Mashu Baker ein Halbamerikaner zu Japans größten Medaillenhoffnungen. Sie alle könnten zu Nationalhelden werden. Skeptiker warnen aber vor Optimismus: Diejenigen in Japan, die weiterhin die Homogenitätserzählung mögen, dürften sich nur durch Siege überzeugen lassen.