Kürzere Schonzeit für Wild
Wie können die Wälder besser vor Verbiss geschützt werden? Durch eine frühere Jagdzeit, sagt Jäger und Waldbesitzer Ferdinand Freiherr von Wiedersperg-Leonrod aus Schmiechen. Diese Ansicht ist bei Waidmännern sehr umstritten.
Schmiechen/Landkreis Ferdinand Freiherr von Wiedersperg-Leonrod ist kein Krawattlbaron. Das betont der Schmiechener, der mit seinem Jeep über die buckeligen Wege kurvt, immer wieder. „Das ginge auch gar nicht“, sagt er. In seinem Besitz befinden sich 400 Hektar Wald, die er selbst bewirtschaftet und von denen er lebt. Zum Teil fährt der 73-Jährige selbst noch mit Traktor und Motorsäge hinaus. Sein Ziel: ein starker, zukunftsfähiger Wald, der einmal seine Kinder versorgen kann, wenn sie den Betrieb übernehmen. Probleme bereitet ihm dabei das Wild, das Baumtriebe frisst und die jungen Pflanzen zerfegt. Kürzlich hat er mit dem Waldbesitzerverband eine wichtige Entscheidung am Verwaltungsgericht München erwirkt, nun darf er früher mit der Jagd beginnen. Gegenwind kommt hierfür vom Bayerischen Jagdverband.
Wie fast jeden Tag streift Wiedersperg-Leonrod durch seine Wälder. Er beobachtet, wie sich die Natur verändert, junge Bäume wachsen, Keimlinge aufgehen. Er zeigt kleine Douglasien, vierzig Meter entfernt vom Mutterbaum. Für ihn eine Sensation. „Der Wald kann sich selbst verjüngen – wenn der Wildbestand reguliert ist.“Dann braucht es keine Neupflanzungen, deren Kosten er mit Zaun und Schutzplastik auf 20.000 Euro pro Hektar schätzt. „Überall, wo es solche Maßnahmen braucht, ist die Jagd nicht in Ordnung.“
Ein staatliches Verbissgutachten von 2021 der Forstbehörde habe gravierende Schäden an bayerischen Wäldern offengelegt. Hierfür untersuchen Försterinnen und Förster alle drei Jahre die Naturverjüngung. Die Teile seiner Wälder, in denen er nicht selbst jagt, lägen im roten Bereich. Seit Jahren setzt sich der Großgrundbesitzer deshalb dafür ein, Jägerinnen und Jäger stärker in die Pflicht zu nehmen, die Abschusszahlen von Rehen zu erhöhen und diese Zahlen dann auch streng zu überprüfen. Was für manche nach brutaler Praxis klingt, sei schlicht unverzichtbar. Der Wald werde von allen Seiten bedroht. Durch den internationalen Holzhandel verbreiteten sich Schädlinge, die etwa das Ulmen- oder Eschensterben verursachten.
Zu wenig Niederschlag trocknet den Boden aus, flach wurzelnde Bäume wie Fichten können auf lange Sicht nicht bestehen, obwohl es vielerorts noch Monokulturen mit dem Nadelbaum gebe. „Für Rehe sind dort andere Baumarten wie Salatblätter in der Wüste“, sagt Leonrod-Wiedersperg. Viele Bedrohungen für die sensiblen Lebensräume – dabei spielen gerade Großwälder eine entscheidende Rolle in der Klimakrise.
In seinem Unterfangen hat Wiedersperg-Leonrod einen größeren Erfolg zu verbuchen, wie er erzählt: Zu Beginn des Jahres habe das Verwaltungsgericht München eine Anordnung an untere Jagdbehörden gegeben, mit einer 40-seitigen Begründung. Künftig soll bereits im April mit der Jagd auf Rehböcke begonnen werden, nicht wie bisher im Mai. Leonrod-Wiedersperg habe heuer bereits sieben Böcke geschossen: „Das war wichtig, die meisten waren noch im Bast.“Bildet sich bei den Rehböcken ein neues Geweih, entsteht das Gehörn unter einer Haut, auch Bast genannt. Durch Wärme trockne diese Haut ein und die Tiere fegten sie an jungen Bäumen ab – was mit der Klimaerwärmung immer früher geschehe. „Wir müssen
schießen, bevor sie den Schaden machen.“
Ernst Weidenbusch, Präsident des bayerischen Jagdverbandes, sieht das zum Teil kritisch. „Es kann sinnvoll sein, im April anzufangen, dagegen ist der Jagdverband nie vorgegangen.“Doch eine reine Jagdzeitverlängerung könne zusätzlichen Schaden anrichten. Das Wild würde stärker gestört, bewege sich mehr, brauche mehr Energie – und verbeiße im Wald junge Bäume. Essenziell sei die Art der Bejagung. „In kurzen Intervallen, zwischendrin sechswöchige Jagdpausen.“Wenn sich die Jägerinnen und Jäger daran hielten, könne es funktionieren. Das Verbissgutachten sei jedoch keine Grundlage für eine längere Jagdzeit. „Das ist kein Gutachten“, sagt er, „sondern nur ein Gefühl des Försters, eine Einschätzung, wie es dem Wald geht.“In dreiviertel aller Reviere sei alles in Ordnung, wie Rückmeldungen ihm bestätigten. „In dem einen Viertel ist es wie überall im Leben, da kommen die Leute nicht miteinander zurecht.“
Das Problem sieht er in der Kommunikation. „Der Waldbauer muss mit dem Jäger sprechen. Dann weiß er, um welche Flächen er sich kümmern muss.“Dieser
passe demnach die Strategie im Jagdrevier an und versuche, Wild gezielt von sensiblen Flächen zu vergrämen. Daher brauche es auch keine Erhöhung oder stärkere Kontrolle der Abschusszahlen. „Die Kritik kommt schon sehr lange von Waldbesitzern“, sagt Weidenbusch. Aussagekräftig seien hierfür die bayerischen Staatsforste, in denen die Abschusszahlen stimmten. „Die Lage ist hier wie in kommunalen oder privaten Wäldern.“
Anders als viele Großwaldbesitzer hat Wiedersperg-Leonrod kein Personal, das ihn bei der Pflege unterstützt. „Eichelhäher und Eichhörnchen sind meine besten Mitarbeiter“, sagt er mit einem Schmunzeln. Die frühere Jagdzeit erleichtert ihm die Arbeit und er will sich auch weiterhin für den Schutz seiner Wälder einsetzen, die seinen Lebensunterhalt sichern. Die fortschreitende Klimakrise, Stürme – hat er Angst vor der Zukunft? Er schüttelt entschieden den Kopf. „Der Wald ist mein Leben. Ich glaube daran, dass ich hier das Richtige mache – und die Aussagen von Experten und Wissenschaftler belegen es.“