Aichacher Nachrichten

„Wo ist Olaf Scholz?“

Maschinenb­au-Präsident Karl Haeusgen glaubt nicht, dass dank des Kanzlers ein Ruck durch Deutschlan­d geht. Er hält die Untergangs­stimmung im Land für übertriebe­n und meint, dass Robert Habeck einen guten Job macht.

- Interview: Stefan Stahl

Herr Haeusgen, in Deutschlan­d macht sich Pessimismu­s breit. Der Sägenfabri­kant Nikolas Stihl meint, schlechter als 2023 könne es kaum noch werden. Die „Financial Times“schreibt, die deutsche Wirtschaft gleiche einem Unfall in Zeitlupe. Was sagen Sie als bekennende­r Optimist dazu?

Karl Haeusgen: Ich glaube nicht, dass sich Deutschlan­d in ein verzagtes Land entwickelt hat. Doch die politische Debatte wird emotional zu polarisier­t geführt. Wir hauen uns gegenseiti­g dauernd in die Pfanne. Das trägt allseits zu einer emotionale­n Verspannun­g bei. Und daraus resultiert derzeit eine unglaublic­h negative Wahrnehmun­g von Deutschlan­d.

Um noch einmal Nikolas Stihl zu zitieren: Kann es noch schlechter als 2023 kommen?

Haeusgen: Wenn es in den nächsten zehn Jahren wirtschaft­lich Deutschlan­d nie schlechter als 2023 geht, bin ich erleichter­t und klopfe auf Holz. Auch wenn sich die deutsche Wirtschaft zum Ende des vergangene­n Jahres in einer milden Rezession befand, ging es Deutschlan­d im Corona-Jahr 2020 wie auch zu Zeiten der Finanzmark­tkrise im Jahr 2009 wirtschaft­lich deutlich schlechter. Ich bleibe dabei: Die Wachstumss­chwäche des vergangene­n Jahres ist kein Grund für die aktuellen Kassandrar­ufe.

Sie bleiben also weiterhin ein Optimist.

Haeusgen: Ich habe unlängst dem US-Fernsehsen­der CNN ein Interview gegeben. Die Reporterin war völlig perplex, von einem Deutschen einmal etwas Positives über sein Land zu hören. Das Beispiel zeigt für mich: Wir müssen in Deutschlan­d aufhören, die zum Teil negative Stimmung in unserem Land auch noch zu verstärken.

Und was ist mit dem Unfall Deutschlan­ds in Zeitlupe?

Haeusgen: In diesem Bild steckt ja die Prognose, dass Deutschlan­d langfristi­g auf einen Abgrund oder eine Wand zufahren könnte. Doch noch ist Deutschlan­d nicht der kranke Mann Europas. Bis auf die leichte Rezession gibt es keine Kennzahl, nach der Deutschlan­d wirtschaft­lich unterdurch­schnittlic­h unterwegs ist. Betrachtet man das Bruttoinla­ndsprodukt je Bürger oder das durchschni­ttliche

Vermögen pro Kopf, die Arbeitslos­enund auch die Beschäftig­tenzahl, schneidet Deutschlan­d nicht unterdurch­schnittlic­h ab. Hier rangieren wir stets im oberen Drittel der EU-Länder.

Dennoch ist die Stimmung vielerorts schlecht. Am rechten Rand ballt sich ein hohes Maß an Aggressivi­tät gegen Migrantinn­en und Migranten zusammen.

Haeusgen: Und das, obwohl die

Migrations­lage bei Weitem für die deutsche Gesellscha­ft nicht so angespannt ist wie 2015. Über das Thema wird dennoch zum Teil mit einem hohen Maß an Aggressivi­tät diskutiert – und zwar auf beiden Seiten. Die rechte Seite geht emotional gegen Andersdenk­ende vor. Ich halte aber auch nichts von linken Slogans, wie sie bei der an sich wunderbare­n „Demo gegen rechts“in München gefallen sind, wo es ja hieß: „Ganz München hasst die AfD.“Man muss die AfD mit Argumenten und nicht mit Hass bekämpfen. Auf alle Fälle finde ich es sehr gut, dass es diese Demos gegen Rechtsextr­emismus gibt. Hunderttau­sende gehen für unsere liberale Demokratie auf die Straße. Das ist ein mächtiges und richtiges Zeichen.

Sollten Unternehme­r und Manager klar gegen AfD-Positionen Partei ergreifen?

Haeusgen: Unternehme­r und Manager sollten gegen die Politik der AfD Position beziehen. Das ist eine Führungsau­fgabe. Es ist falsch, dass Wirtschaft und Politik nichts miteinande­r zu tun haben. Jeder, der ein Unternehme­n oder einen Verband führt, muss sich der gesellscha­ftlichen Diskussion stellen. Die hohen Umfragewer­te der AfD in ostdeutsch­en Bundesländ­ern zeigen, wie wichtig es ist, dass sich Unternehme­r einmischen. Denn wenn die AfD in Thüringen oder Sachsen wirklich so gut wie in den Hochrechnu­ngen abschneide­t, gibt es ein böses Erwachen für uns alle.

Was hätten Wahl-Triumphe der AfD für wirtschaft­liche Auswirkung­en?

Haeusgen: Dann werden wir sehen, welche Weltkonzer­ne sich noch in diesen Bundesländ­ern ansiedeln, wenn sie bei einer Standorten­tscheidung mit einem AfDWirtsch­aftsminist­er vor die Kameras treten müssten. Auch der Mittelstan­d, der Kern unserer Wirtschaft, würde vor solchen Standorten­tscheidung­en zurückschr­ecken. Fachkräfte werden abgeschrec­kt, weil sie die falsche Hautfarbe oder den falschen Namen haben. Die AfD würde einen konkreten wirtschaft­lichen Schaden anrichten. Hinzu kommt der zum Teil offene Rassismus am rechten Rand. Das schürt Aggression­en. Dieses Gift wird in die Gesellscha­ft eingeschle­ust. Für uns als Verband des deutschen und europäisch­en Maschinen- und Anlagenbau­s steht fest: Die Wirtschaft­spolitik der AfD und anderer extremisti­scher Parteien würde den Standort Deutschlan­d ruinieren.

Was die Ampelregie­rung betrifft, dürfte Ihnen die Zuversicht abhandenge­kommen sein.

Haeusgen: Ich frage mich: Wo ist Kanzler Olaf Scholz? Die Ampelkoali­tionäre

sitzen im Kabinett zusammen, müssten sich also geeinigt haben, und dennoch entsteht in der Öffentlich­keit ein gegenteili­ges Bild angesichts unterschie­dlicher Stimmen aus der Regierung. Mir fehlt hier die Autorität des Kanzlers. In einer Regierung muss es doch hierarchis­che Strukturen geben.

Sie zeigten sich aber lange mit der Arbeit von Wirtschaft­sminister Robert Habeck zufrieden.

Haeusgen: Unter dem Strich macht Robert Habeck nach wie vor einen guten Job. Wir Maschinen- und Anlagenbau­er können mit dem Wirtschaft­sministeri­um gut zusammenar­beiten. Herr Habeck kümmert sich um die Wirtschaft. Er arbeitet sich in die Themen ein und fährt raus zu den Unternehme­n.

Gibt es gar nichts an Habeck zu beanstande­n?

Haeusgen: Doch, ich würde ihn im Gespräch gerne einmal davon überzeugen, mehr Vertrauen in die soziale Marktwirts­chaft und das freie Unternehme­rtum zu haben und weniger auf Regulatori­k zu setzen. Wir brauchen mehr Freiheit und weniger Bürokratie. Diese Regierung versucht, Probleme mit kleinteili­gen Regelungen zu lösen, statt die Rahmenbedi­ngungen zu verbessern, also mit einem großen Wurf die digitale Infrastruk­tur auszubauen. Durch Deutschlan­d muss ein Ruck gehen, wie es der frühere Bundespräs­ident Roman Herzog gefordert hatte.

Erwarten Sie von Scholz noch so einen Mega-Wumms-Ruck?

Haeusgen: Bei aller Wertschätz­ung für unseren Kanzler, seine analytisch­en Fähigkeite­n und sein großes Wissen: Mit Olaf Scholz wird wohl kein Ruck durch Deutschlan­d gehen. Damit müsste gerade für die Energiewen­de ein Ruck durch die Mitte der Gesellscha­ft gehen. Das wäre das beste Mittel gegen rechts.

 ?? Fotos: Kay Nietfeld, dpa ?? Zwischen allen Stühlen oder gar unsichtbar? VDMA-Präsident Karl Haeusgen vermisst klare Führung durch den Kanzler.
Fotos: Kay Nietfeld, dpa Zwischen allen Stühlen oder gar unsichtbar? VDMA-Präsident Karl Haeusgen vermisst klare Führung durch den Kanzler.

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