Aichacher Nachrichten

Unreformie­rbar?

Annika Sehl war Mitglied des Zukunftsra­ts, der umfassende Änderungen bei den Öffentlich-Rechtliche­n vorschlägt. Warum das den Rundfunkbe­itrag senken könnte und was sie von Markus Söders Forderunge­n hält.

- Interview: Daniel Wirsching

Frau Sehl, trotz aller Kritik wird der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschlan­d als einer der besten in der Welt gelobt. Warum muss er sich tiefgreife­nd ändern?

Annika Sehl: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschlan­d ist eine Erfolgsges­chichte. Derzeit aber befindet er sich in einer Phase, in der es um seine Akzeptanz geht. Um sie zu sichern, muss er umfassend reformiert werden. Er muss auch effiziente­r und digitaler aufgestell­t werden, um zukunftsfä­hig zu sein. Es braucht also nicht nur Veränderun­gen im System, sondern einen Umbau des Systems.

Sie waren eines von acht Mitglieder­n des „Zukunftsra­ts“. Das Expertengr­emium hat kürzlich einen Bericht zur Reform von ARD, ZDF und Deutschlan­dradio vorgelegt. Was davon wird bleiben?

Sehl: Zunächst einmal: Wir sind überzeugt davon, dass unsere Vorschläge umsetzbar sind. Nun ist die Politik am Zug. In Deutschlan­d ist Medienpoli­tik Sache der Länder – und die haben bereits damit angefangen, unsere Vorschläge zu bewerten. In vielen Punkten gab es Zustimmung, das macht mich hoffnungsv­oll. Für den Herbst ist ein Reformstaa­tsvertrag angekündig­t.

Der Freistaat Bayern allerdings hat Ihren Vorschlag für eine neue „ARD-Anstalt“schon abgelehnt.

Sehl: Bei unserem Reformvors­chlag handelt es sich um ein Gesamtkonz­ept,

aus dem man nicht einzelne Rosinen herauspick­en sollte. Die Empfehlung­en sind miteinande­r verwoben, insofern ist uns wichtig, dass möglichst alle bestehen bleiben. Dass Bayern die ARD-Anstalt ablehnt, fußt möglicherw­eise auf einem Missverstä­ndnis.

Wie das?

Sehl: ARD-Anstalt mag auf den ersten Blick nach neuen Kapazitäte­n oder Geld klingen. Es braucht jedoch weder neues Personal noch neue Gebäude. Wir stellen uns diese ARD-Anstalt als schlanke, agile Steuerungs­einheit vor. Sie ist als Dachorgani­sation der neun Landesrund­funkanstal­ten gedacht, die für alle überregion­alen Aufgaben zuständig ist. Denken Sie an Verwaltung­saufgaben, die muss doch nicht jede einzelne der neun Landesrund­funkanstal­ten vorhalten. Im Moment ist das so. Wäre das zentral organisier­t, würde es wesentlich günstiger.

Ministerpr­äsident Söder fordert den Wegfall von mindestens 14 der bundesweit 72 Hörfunkkan­äle. Oder, dass Radio Bremen und Saarländis­cher Rundfunk in anderen Anstalten aufgehen.

Sehl: Uns geht es darum, das Regionale zu stärken – anstatt es abzubauen, wie Söder das im Falle von Radio Bremen und Saarländis­chem Rundfunk vorschwebt. Sieben statt neun Landesrund­funkanstal­ten bedeuten keineswegs mehr Effizienz, im Gegenteil, es müsste mehr und aufwendige­r koordinier­t werden. Denn auch Bremen und das Saarland müssen selbstvers­tändlich abgedeckt sein. Und zur Zahl der Hörfunkkan­äle: Wir denken, dies sollte im Verantwort­ungsbereic­h der ARD liegen. Die Anstalten sollten flexibel sein können und selbst entscheide­n, wie sie ihre Ressourcen einsetzen.

Die Landespoli­tik hätte längst Landesrund­funkanstal­ten schließen oder die Zahl der Sender begrenzen können – auch in Bayern.

Sehl: Die Politik hat sich zuletzt reformwill­ig gezeigt. Man hat allerdings in der Vergangenh­eit gesehen, dass die Länder zuweilen die Räume verengt haben, wenn es um derartige Strukturre­formen ging – insbesonde­re wenn das eigene Bundesland betroffen gewesen wäre.

Weil kein Landespoli­tiker seinen Medienstan­dort schwächen will?

Sehl: Das ist so, ja.

Dauerstrei­tthema ist der Rundfunkbe­itrag, derzeit monatlich 18,36 Euro pro Haushalt. Es scheint selbst für eine moderate Erhöhung keine Mehrheit unter den Bundesländ­ern möglich – obwohl die Kommission zur Ermittlung des Finanzbeda­rfs der Rundfunkan­stalten (KEF) ihre Empfehlung erst am 23. Februar abgeben wird. Beschädigt die Politik so das unabhängig­e KEF-Verfahren?

Sehl: Ja, und dabei ist dieses Verfahren eines, um das uns viele andere Länder auf der Welt beneiden. Doch in der Tat muss man feststelle­n, dass es stark politisier­t und dadurch beschädigt wurde – bis hin zu verfassung­swidrigen Blockaden auf Bundesländ­erseite. Wie 2020 durch Sachsen-Anhalt.

Die Landesregi­erungen und -parlamente entscheide­n über die Beitragshö­he, müssen sich aber an die KEF-Empfehlung halten.

Sehl: Die KEF prüft in einem mehrstufig­en Verfahren unabhängig den Finanzbeda­rf, den ihr die Anstalten melden. Es ist die Aufgabe der KEF, dann die Höhe des Finanzbeda­rfs festzustel­len und damit eine Empfehlung über die zukünftige Höhe des monatliche­n Rundfunkbe­itrags auszusprec­hen. Dies ist dezidiert nicht Aufgabe von Politikern.

Die vermitteln etwas anderes.

Sehl: Das haben auch wir im Zukunftsra­t beobachtet. Deswegen schlagen wir ein komplett neues Finanzieru­ngverfahre­n vor. Wir wären für eine Finanzieru­ng gemäß erbrachter Leistung, das heißt der vollumfäng­lichen Auftragser­füllung statt der bisherigen Anmeldung eines Finanzbeda­rfs durch die Anstalten im Vorhinein.

Wäre das nicht ein Eingriff in die Rundfunkfr­eiheit?

Sehl: Definitiv nicht. Es würde von einer neu und mit entspreche­nden Kompetenze­n zusammenge­setzten KEF zum Beispiel bewertet: Werden alle Gruppen in der Bevölkerun­g erreicht? Ist das Programman­gebot vielfältig? Es geht nicht um die Bewertung einzelner Sendungen. Es gilt selbstvers­tändlich Programmau­tonomie. Wird der Auftrag nicht vollständi­g erfüllt, bekommt die Anstalt weniger Geld zugewiesen. Hinzu kommt ein Indexierun­gsmodell ...

Führt eine Kopplung an die Preisentwi­cklung nicht zu einem fortwähren­d steigenden Beitrag?

Sehl: Das muss nicht sein, da unsere Vorschläge mittelfris­tig zu deutlichen Einsparung­en führen würden. In der Folge könnte man möglicherw­eise sogar über eine Absenkung nachdenken – oder darüber, ob man diese Effizienzg­ewinne ins Programman­gebot reinvestie­rt. Es müsste ein Index gefunden werden, der medienspez­ifischen Aspekten Rechnung trägt.

 ?? Foto: Manngold/Imago ?? Ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschlan­d so beratungsr­esistent wie die Mainzelmän­nchen auf unserem Bild?
Foto: Manngold/Imago Ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschlan­d so beratungsr­esistent wie die Mainzelmän­nchen auf unserem Bild?

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