Aichacher Nachrichten

Leben im Tiny House

Die Menschen in Deutschlan­d wohnen im Schnitt auf immer mehr Fläche. Gleichzeit­ig interessie­ren sich viele für kleine Modulhäuse­r. Wie dieses Paar im Kühbacher Ortsteil Großhausen auf nur 18 Quadratmet­ern lebt.

- Von Jonathan Lyne

Wer Dominik Schuster und seine Freundin Julia Geyer im Kühbacher Ortsteil Großhausen besucht, braucht nur wenige Schritte, um einmal durch ihr komplettes Zuhause zu laufen: vom Eingangsbe­reich vorbei am Holzofen und dem kleinen Esstisch, durch die schmale Tür ins Schlafzimm­er. Das war es auch schon.

Schuster und Geyer leben in einem alten Schaustell­erwagen, auf einer Fläche von 18 Quadratmet­ern. Acht Meter lang, 2,30 Meter breit – ein Tiny House. Der Begriff bezeichnet kleine Modulhäuse­r mit maximal 45 Quadratmet­ern Wohnfläche. Der Wagen des Paares ist also selbst für ein Tiny House klein. „Viele sagen: Cool, was ihr macht, aber wir könnten uns das nicht vorstellen“, erzählt Schuster. Warum also leben er und seine Freundin auf so wenig Raum?

Dem 36-jährigen Schuster gefällt das Gemütliche, das Natürliche. „Wie eine Höhle“sei ihr Tiny House, sagt er. Der Wagen aus den 1940erJahr­en habe „Charme, Charakter“. Julia Geyer, zwei Jahre jünger als Schuster, mag, dass man anders als in einem Haus „jedes Wetter mitbekommt“. Zudem seien sie unabhängig, auch finanziell. Die steigenden Energiepre­ise zuletzt haben sie entspannt verfolgt. Sie heizen vor allem über den Holzofen. Den Strom beziehen sie auch im Winter komplett über eine Solaranlag­e auf dem Dach, eine Batterie unter dem Wagen speichert die Energie. Dadurch haben die beiden kaum monatliche Ausgaben. „Viele Leute arbeiten nur für die Miete“, sagt Schuster. Die sparen sich er und seine Freundin, der Wagen steht in der Einfahrt seines Elternhaus­es.

Mit ihrer Entscheidu­ng, in einem Tiny House zu leben, trotzt das Paar dem allgemeine­n Trend. In den vergangene­n 30 Jahren ist die Wohnfläche pro Kopf in Deutschlan­d nach Angaben des Statistisc­hen Bundesamte­s deutlich gestiegen. Lebte eine Person 1991 im Schnitt noch auf knapp 35 Quadratmet­ern, waren es 2022 mehr als 47 Quadratmet­er.

Diese Entwicklun­g hat mehrere Gründe, wie Katarina Ivankovic erklärt. Sie ist Geschäftsf­ührerin beim IIB Institut, das zum Wohnungsma­rkt forscht. Ein Grund für die gestiegene Wohnfläche pro Kopf sei, dass heute deutlich mehr Menschen als früher allein leben, sagt Ivankovic. 2022 lag der Anteil der Einpersone­nhaushalte bei mehr als 40 Prozent, 1950 betrug diese Quote nur knapp 20 Prozent. „Je mehr Bewohner, desto kleiner die Wohnfläche pro Kopf“, erklärt die IIB-Geschäftsf­ührerin als Faustregel.

Ein weiterer Grund ist laut Ivankovic

der sogenannte Remanenzef­fekt. Der beschreibt das Phänomen, dass ältere Menschen oft weiterhin in ihrem Haus oder ihrer großen Wohnung bleiben, auch wenn zum Beispiel die Kinder ausgezogen sind. Auch dadurch steige die Wohnfläche pro Kopf. Es sei also nicht so, dass die Menschen auf mehr Fläche leben möchten als früher, sagt Ivankovic.

Dominik Schuster und Julia Geyer teilten sich vorher eine Wohnung mit knapp 90 Quadratmet­ern – also eine Fläche, die etwa fünfmal so groß war wie der Wagen, in dem sie nun wohnen. Als sie 2019 im Urlaub waren, bekamen sie die Nachricht, dass die Miete um 250 Euro erhöht werde. Noch im Urlaub kündigten sie die Wohnung. Eine Zeit lang lebten sie in einem umgebauten Feuerwehrw­agen, nebenbei renovierte­n sie den alten Schaustell­erwagen. Der ist nun seit einem Jahr ihr Zuhause. Als Nächstes wollen sie ein Bad in einem separaten Wagen errichten. Noch nutzen sie eins in Schusters Elternhaus.

Die Umstellung auf das Leben im Tiny House sei ihnen nicht schwergefa­llen, sagt Schuster. „Es ist wie Urlaub gestartet – und ist immer so geblieben.“Aber gibt es nicht mal Momente, in denen es zu zweit auf 18 Quadratmet­ern eng wird? „Man muss auch Kompromiss­e eingehen“, sagt Julia Geyer, man müsse aufeinande­r Rücksicht nehmen. Zu eng werde es aber nicht. Wenn sie ihre Schwester in deren Haus besucht, denkt sie trotzdem: „Krass, so viel Platz.“

Wer in einer großen Wohnung oder einem Haus wohne, habe allerdings auch mehr Arbeit, sich um alles zu kümmern. Dominik Schuster und Julia Geyer müssen ihren Platz derweil sehr effektiv nutzen. Die Fenster gehen alle nach außen auf, den Wohn- und den Schlafbere­ich trennt eine Schiebetür. „Das spart einen Haufen Platz“, sagt Geyer. Ihre Klamotten stauen sie in Fächern unter dem Bett. „Man muss jeden Winkel nutzen“, sagt Schuster. Dass die Menschen auf immer mehr Fläche wohnen, sieht er kritisch: „Man muss sich fragen: Was will man? Und was braucht man wirklich zum Leben?“

Für Katarina Ivankovic vom IIBInstitu­t ist bei der Wohnfläche pro Kopf eine Grenze erreicht. Wenn diese „weiter steigt, haben wir nicht mehr genug Fläche, um die Menschen unterzubri­ngen“, sagt sie. Das bedeute nicht, dass die Wohnungen kleiner werden müssen. Allerdings könnten einzelne Räume zum Beispiel zum Arbeiten geteilt werden. Dass sich aufgrund des begrenzten Wohnraums in Zukunft mehr Menschen für ein Leben im Tiny House entscheide­n, glaubt Ivankovic nicht. Für die meisten Menschen aus der Stadt sei der dafür notwendige Umzug aufs Land keine Alternativ­e. „Das bedient nicht dieselben Bedürfniss­e“, sagt sie. Ivankovic geht davon aus, dass Tiny Houses eine NischenWoh­nform bleiben werden.

Auch im Landkreis AichachFri­edberg sind Tiny Houses bislang dünn gesät. In Rehling gibt es eines, ein weiteres – zeitlich begrenzt – in Baar. In einigen Kommunen wie Pöttmes gibt es Überlegung­en, Platz für solche Häuser bereitzust­ellen. Zahlen für den gesamten Landkreis gibt es nicht, wie Melanie Royer vom Landratsam­t auf Anfrage erklärt. Sie werden im Bauamt nicht gesondert erfasst und gelten als Einfamilie­nhäuser.

Dominik Schuster glaubt schon, dass Tiny Houses in Zukunft für mehr Menschen eine Überlegung wert sein werden. Er und seine Freundin hoffen, dass sie ein Vorbild sein können für andere, die sich ebenfalls für diese spezielle Wohnform interessie­ren. Wobei ihr Zuhause für das Paar gar nicht so besonders ist. „Wir wohnen ganz normal“, sagt Julia Geyer. „Nur in klein.“

Die steigende Wohnfläche pro Kopf hat mehrere Gründe.

 ?? ?? Ein Blick ins Tiny House von Dominik Schuster und Julia Geyer im Kühbacher Ortsteil Großhausen.
Ein Blick ins Tiny House von Dominik Schuster und Julia Geyer im Kühbacher Ortsteil Großhausen.
 ?? Fotos: Jonathan Lyne ?? Julia Geyer und Dominik Schuster haben sich ihren Traum vom Tiny House erfüllt.
Fotos: Jonathan Lyne Julia Geyer und Dominik Schuster haben sich ihren Traum vom Tiny House erfüllt.
 ?? ?? Hier ist eine gemütliche Sitzecke zu sehen.
Hier ist eine gemütliche Sitzecke zu sehen.

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