Leben im Tiny House
Die Menschen in Deutschland wohnen im Schnitt auf immer mehr Fläche. Gleichzeitig interessieren sich viele für kleine Modulhäuser. Wie dieses Paar im Kühbacher Ortsteil Großhausen auf nur 18 Quadratmetern lebt.
Wer Dominik Schuster und seine Freundin Julia Geyer im Kühbacher Ortsteil Großhausen besucht, braucht nur wenige Schritte, um einmal durch ihr komplettes Zuhause zu laufen: vom Eingangsbereich vorbei am Holzofen und dem kleinen Esstisch, durch die schmale Tür ins Schlafzimmer. Das war es auch schon.
Schuster und Geyer leben in einem alten Schaustellerwagen, auf einer Fläche von 18 Quadratmetern. Acht Meter lang, 2,30 Meter breit – ein Tiny House. Der Begriff bezeichnet kleine Modulhäuser mit maximal 45 Quadratmetern Wohnfläche. Der Wagen des Paares ist also selbst für ein Tiny House klein. „Viele sagen: Cool, was ihr macht, aber wir könnten uns das nicht vorstellen“, erzählt Schuster. Warum also leben er und seine Freundin auf so wenig Raum?
Dem 36-jährigen Schuster gefällt das Gemütliche, das Natürliche. „Wie eine Höhle“sei ihr Tiny House, sagt er. Der Wagen aus den 1940erJahren habe „Charme, Charakter“. Julia Geyer, zwei Jahre jünger als Schuster, mag, dass man anders als in einem Haus „jedes Wetter mitbekommt“. Zudem seien sie unabhängig, auch finanziell. Die steigenden Energiepreise zuletzt haben sie entspannt verfolgt. Sie heizen vor allem über den Holzofen. Den Strom beziehen sie auch im Winter komplett über eine Solaranlage auf dem Dach, eine Batterie unter dem Wagen speichert die Energie. Dadurch haben die beiden kaum monatliche Ausgaben. „Viele Leute arbeiten nur für die Miete“, sagt Schuster. Die sparen sich er und seine Freundin, der Wagen steht in der Einfahrt seines Elternhauses.
Mit ihrer Entscheidung, in einem Tiny House zu leben, trotzt das Paar dem allgemeinen Trend. In den vergangenen 30 Jahren ist die Wohnfläche pro Kopf in Deutschland nach Angaben des Statistischen Bundesamtes deutlich gestiegen. Lebte eine Person 1991 im Schnitt noch auf knapp 35 Quadratmetern, waren es 2022 mehr als 47 Quadratmeter.
Diese Entwicklung hat mehrere Gründe, wie Katarina Ivankovic erklärt. Sie ist Geschäftsführerin beim IIB Institut, das zum Wohnungsmarkt forscht. Ein Grund für die gestiegene Wohnfläche pro Kopf sei, dass heute deutlich mehr Menschen als früher allein leben, sagt Ivankovic. 2022 lag der Anteil der Einpersonenhaushalte bei mehr als 40 Prozent, 1950 betrug diese Quote nur knapp 20 Prozent. „Je mehr Bewohner, desto kleiner die Wohnfläche pro Kopf“, erklärt die IIB-Geschäftsführerin als Faustregel.
Ein weiterer Grund ist laut Ivankovic
der sogenannte Remanenzeffekt. Der beschreibt das Phänomen, dass ältere Menschen oft weiterhin in ihrem Haus oder ihrer großen Wohnung bleiben, auch wenn zum Beispiel die Kinder ausgezogen sind. Auch dadurch steige die Wohnfläche pro Kopf. Es sei also nicht so, dass die Menschen auf mehr Fläche leben möchten als früher, sagt Ivankovic.
Dominik Schuster und Julia Geyer teilten sich vorher eine Wohnung mit knapp 90 Quadratmetern – also eine Fläche, die etwa fünfmal so groß war wie der Wagen, in dem sie nun wohnen. Als sie 2019 im Urlaub waren, bekamen sie die Nachricht, dass die Miete um 250 Euro erhöht werde. Noch im Urlaub kündigten sie die Wohnung. Eine Zeit lang lebten sie in einem umgebauten Feuerwehrwagen, nebenbei renovierten sie den alten Schaustellerwagen. Der ist nun seit einem Jahr ihr Zuhause. Als Nächstes wollen sie ein Bad in einem separaten Wagen errichten. Noch nutzen sie eins in Schusters Elternhaus.
Die Umstellung auf das Leben im Tiny House sei ihnen nicht schwergefallen, sagt Schuster. „Es ist wie Urlaub gestartet – und ist immer so geblieben.“Aber gibt es nicht mal Momente, in denen es zu zweit auf 18 Quadratmetern eng wird? „Man muss auch Kompromisse eingehen“, sagt Julia Geyer, man müsse aufeinander Rücksicht nehmen. Zu eng werde es aber nicht. Wenn sie ihre Schwester in deren Haus besucht, denkt sie trotzdem: „Krass, so viel Platz.“
Wer in einer großen Wohnung oder einem Haus wohne, habe allerdings auch mehr Arbeit, sich um alles zu kümmern. Dominik Schuster und Julia Geyer müssen ihren Platz derweil sehr effektiv nutzen. Die Fenster gehen alle nach außen auf, den Wohn- und den Schlafbereich trennt eine Schiebetür. „Das spart einen Haufen Platz“, sagt Geyer. Ihre Klamotten stauen sie in Fächern unter dem Bett. „Man muss jeden Winkel nutzen“, sagt Schuster. Dass die Menschen auf immer mehr Fläche wohnen, sieht er kritisch: „Man muss sich fragen: Was will man? Und was braucht man wirklich zum Leben?“
Für Katarina Ivankovic vom IIBInstitut ist bei der Wohnfläche pro Kopf eine Grenze erreicht. Wenn diese „weiter steigt, haben wir nicht mehr genug Fläche, um die Menschen unterzubringen“, sagt sie. Das bedeute nicht, dass die Wohnungen kleiner werden müssen. Allerdings könnten einzelne Räume zum Beispiel zum Arbeiten geteilt werden. Dass sich aufgrund des begrenzten Wohnraums in Zukunft mehr Menschen für ein Leben im Tiny House entscheiden, glaubt Ivankovic nicht. Für die meisten Menschen aus der Stadt sei der dafür notwendige Umzug aufs Land keine Alternative. „Das bedient nicht dieselben Bedürfnisse“, sagt sie. Ivankovic geht davon aus, dass Tiny Houses eine NischenWohnform bleiben werden.
Auch im Landkreis AichachFriedberg sind Tiny Houses bislang dünn gesät. In Rehling gibt es eines, ein weiteres – zeitlich begrenzt – in Baar. In einigen Kommunen wie Pöttmes gibt es Überlegungen, Platz für solche Häuser bereitzustellen. Zahlen für den gesamten Landkreis gibt es nicht, wie Melanie Royer vom Landratsamt auf Anfrage erklärt. Sie werden im Bauamt nicht gesondert erfasst und gelten als Einfamilienhäuser.
Dominik Schuster glaubt schon, dass Tiny Houses in Zukunft für mehr Menschen eine Überlegung wert sein werden. Er und seine Freundin hoffen, dass sie ein Vorbild sein können für andere, die sich ebenfalls für diese spezielle Wohnform interessieren. Wobei ihr Zuhause für das Paar gar nicht so besonders ist. „Wir wohnen ganz normal“, sagt Julia Geyer. „Nur in klein.“
Die steigende Wohnfläche pro Kopf hat mehrere Gründe.