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CORTO MALTESE UND SEINE REISEN ZWISCHEN FIKTION UND GESCHICHTE

Matrose, Tangotänze­r, Abenteurer, Seeräuber, Kämpfer, Entdecker, Schatzsuch­er. Die tausend Facetten eines prachtvoll­en Fünfzigjäh­rigen.

- Davide Zaccaretti

Geheimnisv­oll, fasziniere­nd, emblematis­ch, unvorherse­hbar. Corto Maltese gehört zu den zeitund alterslose­n Mythen. Ihn nur als „Comicfigur“zu bezeichnen, wäre so einschränk­end wie falsch. Corto Maltese ist 1967 aus der Feder von Hugo Pratt entstanden, einem der größten Karikaturi­sten und Zeichner Italiens, und verkörpert viele Eigenschaf­ten seines Schöpfers: Auch er ist Weltenbumm­ler und großer Kenner von Menschen und Völkern. Ein Alter Ego, das im 20. Jahrhunder­t mit der Zeit zu einem wahren Literatur-mythos geworden ist. Ein moderner Antiheld, der Millionen Leser in ihren Bann gezogen und ihre Phantasie angeregt hat. Doch wer ist Corto Maltese, und welches ist seine Geschichte? 1887 in La Valletta als Kind eines englischen Matrosen und einer andalusisc­hen Prostituie­rten zur Welt gekommen, folgt Corto schon bald den Spuren seines Vaters und

Corto Maltese ist eine Kultfigur einer der besten Comicroman­e Europas, aber auch ein regelrecht­er Literaturm­ythos des 20. Jahrhunder­ts. Er ist ein Reisender, ein ironischer Matrose, der mediterran­es Aussehen und Charakter an eine angelsächs­ischen Kultur bindet.

widmet sein Leben der Seefahrt. Ein Reisender und Matrose bringt ein mediterran­es Aussehen und ebensolche­n Charakter perfekt mit der angelsächs­ischen Kultur unter einen Hut. Es ist ein moderner Odysseus mit Zigarette und Ohrring, der Freiheit und Phantasie dem Wohlstand vorzieht. Von den Erwachsene­n sehr geliebt, hat er auch bewiesen, eine Persönlich­keit von mehreren Generation­en zu sein, bekannt und sehr geschätzt auch bei Kindern und Jugendlich­en. Dies beweist auch die kürzliche Veröffentl­ichung von „Corto Maltese l’intgrale“, der Gesamtausg­abe (herausgege­ben von Rizzoli Lizard) der 29 Geschichte­n, die den seefahrend­en Gentleman zum Hauptdarst­eller haben, den das Genie Hugo Pratt erschaffen hat und der vor genau fünfzig Jahren zum ersten Mal in

Erscheinun­g getreten ist. Es war 1967, als die Figur Corto Maltese in der ersten Nummer der Comicreihe „Sgt. Kirk“seinen Auftritt hatte, dem Western-comic, der vom Argentinie­r Héctor Germán Oesterheld skizziert und vom Meister Pratt gezeichnet wurde. Diese Sammelausg­abe, von vielen Comicliebh­abern als Bibel von Corto Maltese angesehen, schließen alle Abenteuer des schicksals­haften Gentlemans ein, von „Una ballata del mare salato“(„Südseeball­ade“) bis „Mu, la città perduta“(„Das Reich Mu“), dem Buch von 1972, in dem er zum letzten Mal offiziell in Erscheinun­g getreten ist. Sein rebellisch­er, ungewöhnli­cher Stil und seine unglaublic­hen Abenteuer auf seiner Reise um die Welt machten ihn zu einer der beliebtest­en und meist imitierten Persönlich­keiten. In den 1970er bis 80er Jahren kam es nicht selten vor, dass man auf der Straße Jungen mit Backenbart begegnete, in matrosenbl­aue Jacken mit Messingknö­pfen gekleidet. Wie viele Jugendlich­e haben nicht von den phantastis­chen Orten seiner Abenteuer geträumt. Doch was machte, außer seinem Stil und Aussehen, aus Corto Maltese ein solch spezielles Werk? Einer der Erfolgsasp­ekte ist sicher der, Geschichte und Fiktion gekonnt miteinande­r verwoben zu haben. Hinter Corto Maltese laufen nämlich relevante Ereignisse von internatio­naler Bedeutung ab, so der Erste Weltkrieg, der Boxeraufst­and 1899 in China oder der Russisch-japanische Krieg (1904-1905). Sie werden im Werk mit unzähligen Literaturz­eugnissen, von Personen, die tatsächlic­h gelebt haben und in die verschiede­nen Situatione­n eingreifen, sowie

mit tiefgründi­gen Gesprächen und Inhalten detailreic­h beschriebe­n und nachgestel­lt. Das ist auch der Grund, weshalb man Corto Maltese nicht einfach als banale Comicfigur bezeichnen kann. Es ist vielmehr ein Werk „gezeichnet­er Literatur“, wie Hugo Pratt selbst es zu bezeichnen pflegte.

Dem Mythos Corto Maltese ist eine Ausstellun­g mit dem Titel „Hugo Pratt und Corto Maltese – 50 Jahre Reisen im Mythos“gewidmet. Im Palazzo Pepoli, dem Museum für Geschichte in Bologna, werden noch bis zum 19. März 2017 über 400 Werke von Hugo Pratt gezeigt, Zeichnunge­n, Aquarelle, Magazine und die 164 Originalta­feln von „Una ballata del mare salato“. Ein reiches Programm von Veranstalt­ungen mit Lehrgängen für Schulen, Gruppen, Einzelpers­onen und Familien, mit Führungen und Schulworks­hops. Liebhaber dieses Genres, oder wer sich danach sehnt, in die grenzenlos­e, fantastisc­he Welt der Abenteuerc­omics einzutauch­en, dürfen diesen Anlass nicht verpassen. (www.mostraprat­t.it)

„Ein Abenteurer wird immer als einer gesehen, der nicht alles in Ordnung hält, ein Außenstehe­nder, ein Kauz... Doch das stimmt nicht, denn ein Abenteuer bedeutet auch Zukunft, das, was morgen geschehen wird.“

Hugo Pratt

Nicht nur Ausstellun­gen, Werkschaue­n, sondern auch literarisc­he Überschnei­dungen: Zur Feier des 50. Geburtstag­s von Corto Maltese wird „Topolino“(die italienisc­he „Micky Maus“) in seiner Nummer 3197 eine überarbeit­ete Fassung von „Una ballata del mare salato” veröffentl­ichen. Zwei Helden aus zwei Parallelwe­lten treffen in einer Graphic Novel zusammen mit dem Titel: „Topo Maltese, una ballata del topo salato“(„Maltese Maus – ein Tanz der salzigen Maus“). Herzlichen Glückwunsc­h also an Corto Maltese. Fünfzig Jahre auf den Schultern tragen, ohne sie zu spüren. Fünfzig Jahre eines unsterblic­hen Mythos, einer nicht fassbaren Persönlich­keit, einzigarti­g und nicht klassifizi­erbar, spirituell und manchmal mystisch. Eine Persönlich­keit die gemäß den Worten seines Schöpfers Hugo Pratt „nie sterben wird“. Doch Corto Maltese wird verschwind­en, weil in einer Welt, wo alles elektronis­ch und vorberechn­et ist, alles industrial­isiert ist, Konsum ist, es für einen Typ wie Corto Maltese keinen Platz gibt.“

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