„WIR, DIE WIR DER WELT DAS FILMEN BEIGEBRACHT HABEN“
Dante Ferretti, der u.a. auch den Statuen-saal im „Museo Egizio“in Turin gestaltet hat, erzählt von der vergänglichen Kunst der Szenenbildner, zwischen künstlerischer Kultur, kreativem Prozess und immer neuen Herausforderungen.
Seit 1993 arbeitet er mit Martin Scorsese zusammen,der nichts in Angriff nimmt, ohne die Gewissheit zu besitzen, dass er das Szenenbild betreuen wird. Dante Ferretti, Jahrgang 1943, ist einer der letzten Zeugen jenes legendären italienischen Kinos, das in der Welt Schule gemacht hat. Er arbeitete mit den größten Künstlern zusammen, von Fellini bis Pasolini. Mehrfacher Gewinner internationaler Auszeichnungen (drei Oscars, vier Bafta Awards, fünf italienische David di Donatello), reist er mit seiner Frau und zugleich treuen Mitarbeiterin Francesca Loschiavo seit dreißig Jahren um die Welt. Gemeinsam erschaffen sie oft erfundene, aber immer faszinierende Welten. In Macerata geboren und jetzt in Rom zuhause, arbeitet Ferretti seit vierzig Jahren im selben Aufnahmestudio. Es befindet sich in den Filmstudiosvon Cinecittà und heißt, nicht zufällig, „C’era una volta“(„Es war einmal“). Was für ein Klima herrscht heute in den Filmstudios von Cinecittà?
Die Dinge sind nicht mehr wie einst, aber es wird besser, auf jeden Fall hat es wieder mehr Menschen: Vor vierzig Jahren öffnete ich die Tür und sah niemanden. Heute trifft man verschiedene Leute. Sagen wir mal so: Es ist nicht mehr die Sahara, sondern Marrakesch.
Haben sich die Vorlieben beim Film seit jener Zeit verändert?
Das Kino hat sich verändert. Sagen wir so, ich habe immer auf die Erzählung geschaut, die Ausstattung. Das ist das Element, das mich tatsächlich beeindruckt. Was den Rest angeht, so unterhalten mich andere Komödien natürlich, vor allem jene, die nicht in Rom gedreht werden. Denn man erkennt die Drehorte der italienischen Hauptstadt zu sehr. Mir gefällt die Komödie, wie gesagt, wenn sie unterhaltsam ist, sonst langweilt sie mich nur, wie euch alle auch.
Nennen Sie uns zwei Komödien, die Ihnen dieses Jahr gefallen haben?
Mir hat der italienische Kassenschlager „Quo vado?“von Checco Zalone sehr gefallen. Dann ist auch „Perfetti sconosciuti“von Paolo Genovese ein erwähnenswerter Film (der am Tribeca Film Festival als bestes Drehbuch ausgezeichnet wurde, A.D.R.), in dem ich wirklich fähige Schauspieler gesehen habe, von Valerio Mastandrea bis Anna Foglietta, Alba Rohrwacher, Marco Giallini. Generell bin ich nicht so bewandert, was italienische Filme anbelangt: Da ich bei den Oscars mitstimme, habe ich etwa 400 amerikanische Filme gesehen. Das Kino aus Übersee scheint mir noch immer sehr stark.
Verraten Sie uns eine Bewertung, die Sie für die Oscars vergeben haben, und auf die Sie besonders stolz sind?
Meine Frau und ich haben den letzten Oscar Ennio Morricone gewidmet. Nicht nur, weil er Italiener ist, sondern weil er ein so großer Künstler ist, dass wir nur glücklich sein können, dass er offiziell eine wichtige und internationale Auszeichnung erhalten hat. Es hat uns gerührt und uns alle stolz auf ihn gemacht.
Wie war es hingegen, sich für mehrere Monate im Orient aufzuhalten, um das Szenenbild für „Silence“, den neuen Film von Martin Scorsese, zu rekonstruieren? Aus Budgetgründen mussten wir das Japan, das man im Film sehen kann, in Taiwan nachbauen. Das war ziemlich aufwändig, denn dort gibt es keine wirkliche Filmtradition, so waren wir es, die eine fehlende Organisation ausgleichen mussten. Wir waren neun Monate lang dort, aber ehrlich gesagt ist dies ein Film, den wir fünf Mal vorbereitet haben.
Wie meinen Sie das?
Wir waren überall, von Japan bis Kanada, von Neuseeland bis Kalifornien, um herauszufinden, welches der ideale Ort sei, um diesen Film zu drehen, an dem Scorsese so sehr hängt, als sei es der Film seines Lebens.
«Die größte Herausforderung war, die Ladengeschäfte eines Japans nachzubauen, das es nicht mehr gibt.»
War war die größte Herausforderung?
Alle Ladengeschäfte nachzubauen. Meine Frau und ich haben viel Energie aufgewendet, alte Lithographien und Zeichnungen des Japans jener Zeit zu finden. Unsere Aufgabe war, eine Welt zum Leben zu erwecken, die es nicht mehr gibt. Und die so absolut geendet hat, dass diese Vergangenheit auch nicht bewahrt wurde, wie man es hätte tun sollen.
Ihre künstlerische Zusammenarbeit mit Scorsese dauert wirklich schon sehr lange...
Martin ist einer der größten Regisseure der Welt. Ich erachte es als große Ehre, dass er immer uns heranzieht. Dass ich seine beiden Filme „Wolf of Wall Street“und „The Departed“nicht gemacht habe, war nur, weil ich mit anderen Filmen beschäftigt war. Ehrlich gesagt auch, weil - als er „Wolf of Wall Street“drehte - ich in Vancouver „Silence“vorbereitet habe, den wir schlussendlich nicht in Kanada machten. Für „The Departed“hingegen konnte ich nicht, weil ich mit Brian de Palma zusammenarbeitete und sie mir mit einer Klage drohten: Ich hätte zehn
«Sagen wir mal so: Cinecittà ist heute nicht mehr die Wüste Sahara, sondern Marrakesch.»
Millionen Dollar zahlen müssen. So sagte ich zu meinem Freund Martin: „Es tut mir leid mein Lieber, wir sehen uns das nächste Mal!“Und so war es auch.
Ihr werdet Euch mit wenig verstehen... Ja, er traut mir, und ich kapiere mit wenigen Stunden Gespräch, was er will, welche Atmosphäre oder welchen Eindruck er zu vermitteln versucht. Wenn ich ihm die ersten Skizzen zeige, so gratuliert er mir normalerweise mit einem: „Great!“, und ich begreife, dass wir einmal mehr auf der gleichen Wellenlänge liegen.
Wie war es hingegen mit Fellini?
Ihn hatte ich in Cinecittà kennengelernt. Er schlug mir vor, gemeinsam mit Donati für einen seiner Filme zu arbeiten. Doch ich habe abgelehnt und ihm vorgeschlagen, es in zehn Jahren wieder zu versuchen. Und so geschah es auch: Wir haben uns in Cinecittà wiedergesehen. Nach dem zweiten Treffen haben wir an „Fellinis Stadt der Frauen“, „Orchesterprobe“und so fort gearbeitet.
Habt Ihr Euch verstanden?
Er bleibt mein großer Mentor, zusammen mit Pier Paolo Pasolini und Martin Scorsese. Sie sind die drei Größen, die mir am meisten mitgegeben haben.
War die Beziehung zu Pasolini anders? Er mochte keinen Pomp, er war für Einfachheit und für Außenaufnahmen: Er mochte es nicht, in Theatern zu arbeiten. Wir haben sehr viel zusammen diskutiert.
Wenn Sie Ihre Arbeit in wenigen Worten beschreiben müssten, was würden Sie sagen?
Ich bin jemand, der den Vorstellungen und den Träumen eines Regisseurs folgt. Oder eher noch als folgen, setze ich sie um, ich lasse sie durch das Szenenbild entstehen.
Was halten Sie vom massiven Aufkommen der Digitaltechnik?
Ich mag ein Übermaß nicht, aber man muss sich natürlich der Zukunft und neuen Technologien stellen, die dich Dinge schnellstmöglich realisieren lassen. Aber es ist klar, dass wir uns auch die Lektionen unserer Meister zu Nutze machen müssen, jene Art, ein künstlerisches und handwerkliches Kino zu machen, das uns in der Welt einzigartig gemacht hat.
Nennen Sie uns einen Regisseur, mit dem Sie noch nicht zusammenarbeiten konnten, der Ihnen aber sehr gefällt? Ridley Scott, mit ihm waren wir ganz nahe an einer Zusammenarbeit.
Eine letzte Neugier: Unter all den Filmausstattungen bleibt jene von „Der Name der Rose“legendär. Welches ist Ihre Erinnerung an diesen Film? Großartig. Jedes kleinste Detail wurde nachgebaut, von den antiken Büchern bis zum Schatz, wir hatten zwei Goldschmiede in Cinecittà. Ich werde etwas nostalgisch, wenn ich davon spreche. Es waren Filme, die, wie ich befürchte, in dieser Art Kunst und Handfertigkeit nicht mehr gedreht werden.