EIN LEBEN VOLLER FARBEN
Ein Gespräch mit Gaetano Pesce: Die unkonventionelle Kreativität eines forschenden Künstlers. Die Routine ist sein Feind, das sich Gedanken machen sein Anspruch.
Gaetano Pesce mit einer beruflichen Etikette zu beschreiben, wäre zu oberflächlich, denn seine Kunst ist suchend und nicht dazu gemacht, sich von einer Synthese einschließen zu lassen. Gaetano Pesce ist ein transzendenter Künstler, Bildhauer, Designer, Architekt, Vordenker neuer Ideen und Erneuerer, ständig auf der Suche nach neuen Ideen. Seit über vierzig Jahren arbeitet er mit Phantasie an Objekten und Strukturen jeglicher Art: Gläser, Vasen, Sofas, Stühle, Schmuck, Skulpturen, Tische, Teller, Lampen, Regale, aber auch Häuser und Palazzi.
Jeder Gegenstand, sei er groß oder klein, setzt sich mit einem Thema auseinander und birgt in sich Bedeutungen, die über die einfache Form hinausgehen: Sein schlussendliches Ziel ist es, Kunst zu erzeugen, das ja, aber auch Gedankengänge, die Raum für nicht vorgefertigte Überlegungen schaffen, die über jede Grenze hinaus gehen.
Die Kunst von Gaetano Pesce hechtet über die Konvention und die industrielle Produktion hinweg, und zwar derart, dass er die Wiederholbarkeit eines Kunstwerks selbst unmöglich macht. Jedes Mal, wenn es realisiert wird, kommt es anders heraus.
Als er 1969 am Möbelsalon von Mailand seinen Sessel „Up 5“vorstellte, drückte er klar seine Philosophie aus: Das Herkömmliche herausfordern und der Kunst jene soziale Aufgabe verleihen, die sie verdient. Der Sessel mit der Form und Figur eines Frauenkörpers, mit einem zusätzlichen Ball, der an den Sessel gebunden ist und als Fußbank dient, war ein Designobjekt, aber noch mehr ein Verurteilen der Unterwerfung und der Absonderung, der die Frauen in vielen Teilen der Welt ausgesetzt sind. Seit 1983 lebt Gaetano Pesce in New York, wo er und auf unsere Fragen geantwortet hat. Fragen über ihn, zur italienischen Kunst und Kreativität, für die er noch immer eine tiefe Zuneigung empfindet, trotz der Distanz.
In der wundervollen „Reggia der Gonzaga“in Mantua wird gerade Ihre Ausstellung mit dem Titel „Architettura e Figurazione“(Architektur und bildliche Darstellung) gezeigt, eine Ausstellung, die, wie Sie selber zugeben, mit einem nicht fachmännischen Publikum kommunizieren will. Ist dies nicht eine Regel, die für jede künstlerische Inspiration gelten sollte?
Es könnte so sein, ist es aber nicht. Angefangen bei den Politikern und bei den Künstlern aufhörend, gilt, dass wenn sie nichts zu sagen haben, sie ihre Sprache verkomplizieren: Dieses Nebulöse, das ihre Worte umgibt, dient nur dazu, das Fehlen von Ideen zu vertuschen.
Farbe war für Sie immer ein sehr wichtiges Forschungselement: Ist es ergänzend oder entgegengesetzt bezüglich der Ausdrucksweise der Form?
Farben stellen schlicht die Anwesenheit von Energie und Licht dar. Die venezianische Kunst ist dafür ein Beispiel. Es stimmt, dass sich viele Architekten schwarz anziehen und auch viele Leute aus der Welt der Kunst. Das sind aber Tendenzen, die nichts anderes als fehlende Kreativität ausdrücken. Farben vermitteln Freude, Enthusiasmus, Optimismus und, wie bereits erwähnt, Energie, die wie in unseren Leben sehr gebrauchen können. Sie befürworten eine Poesie der Unregelmäßigkeit und des Zufalls, die Unvollkommenheit als Mehrwert. Wie stark wird dieses Konzept von der Gesellschaft geteilt?
Was die Gesellschaft denkt, weiß ich nicht. Mein Arbeitsstil stammt von der Zufälligkeit des Alltags ab. Wie man weiß, Werte nehmen zu und ab, treten auf und verschwinden, es kann also keine vordefinierte Ordnung geben.
Denken Sie, dass die Kreativität heute auf eine gewisse Weise auch ein Opfer des Marketings ist? In einigen Fällen ja, in anderen nicht. Beim ersten Beispiel zweifle ich daran, dass es sich um Kreativität handelt, allenfalls um Wiederholung.
Kreativität ist unbeherrschbar und toleriert die Schranken des Marketings nicht. Sie weiß, was zu tun ist, um im Lauf der Geschichte Kompromissen aus dem Weg zu gehen.
Das Design scheint immer mehr den Formen des Minimalismus zu gehorchen. Ist aber „weniger ist mehr“tatsächlich ein Kompliment?
Es ist überhaupt kein Kompliment, im Gegenteil, es ist langweilig. Der Minimalismus ist eine sterbende Ausdrucksform, die diejenigen, die keine Ideen haben, bis zum Gehtnichtmehr anwenden.
Mit welchem Designobjekt fühlen Sie sich am meisten verbunden?
Wenn wir allgemeinen davon sprechen, dann ist es die Glühbirne, denn sie hat dem menschlichen Fortschritt die Türen geöffnet. Wenn es ein Objekt von mir sein soll, denke ich, dass mir der Sessel „UP5&6“am meisten Genugtuung gegeben hat.
Es gibt keine Grenzen zwischen Kunst, Design und Industrie. Die Kunst ist unsere kreative Antwort an die Bedürfnisse der Zeit, in der wir leben.
Was ist für Sie das Gewöhnliche?
Beim Gewöhnlichen denkt man allgemein an eine Eigenschaft der Massen. Tatsächlich kann es manchmal ein Überbringer tiefgründiger Zeichen unserer Zeit sein, man denke nur an die Pop Art oder an die Impressionisten. Viele Male ist das Gewöhnliche einfach, aber es ist bekannt, dass die Einfachheit die wahrsten Werte sowohl eines Individuums, eines Ortes als auch eines Gegenstandes ausdrückt.
Venetien ist die Gegend, die Sie geprägt hat, aber Ihr Leben spielt sich heute in New York ab. Warum wollten Sie weggehen, und was hat Ihnen Italien mitgegeben?
Italien hat mir die Identität und Kultur gegeben, die einem, ohne es zu wollen, durch das Wohnen in italienischen Orten übertragen wird. Als Beispiel könnte man jemanden anführen, der in Florenz wohnt und auf eine irrationale Art die Werte des Rinascimento versteht, ohne es studiert zu haben. Ich lebe in New York, weil es die Hauptstadt des 20. Jahrhunderts war und es auch im 21. Jahrhundert ist. Wie ich schon mehrmals gesagt habe, versteht man die Werte der Zukunft im Voraus, wenn man das Leben beobachtet, das sich in den Straßen dieser Stadt abspielt.
Was erzählen Sie den Amerikanern über Ihr Heimatland? Ich denke nicht, dass man über mein Land viel erzählen muss, denn ich kenne niemanden, der keine Bewunderung für Italien hegt. Einige schätzen die Eigenschaften des Landes auf eine oberflächliche Weise, andere hingegen kennen sogar die Gründe, weshalb man das Pantheon, den Markusplatz oder die „Mole Antonelliana“gebaut hat, sie kennen die Großartigkeiten der italienischen Küche und Mode, die Weine, die von Unterschiedlichkeit zeugen, das Design, um das uns die Welt beneidet. Andere wiederum schätzen die wundervolle italienische Freude, wenn sie sich auch, leider, seit der Nachkriegszeit bis heute, oft in Pessimismus verwandelt hat.
Einen Wunsch, den sie den Jungen mitgegeben haben, war, einen Reisepass voller Stempel zu haben. Was muss man gesehen haben, um wirklich zu verstehen, was Schönheit ist? Es ist vielleicht nicht so sehr eine Frage von Schönheit, sondern es geht darum, die Welt kennenzulernen und die Qualitäten anderer Länder zu begreifen, um dann zu merken, dass unser Gras oft das grünste ist.
Alle Bilder wurden mit freundlicher Genehmigung des Büros von Gaetano Pesce zur Verfügung gestellt.