All About Italy (Germany)

EINE KÜCHE DER GRENZEN, ABER OHNE SCHRANKEN

Eine Küche der Grenzen, aber ohne Schranken

- Elisa Rodi

Wir haben Antonia Klugmann interviewt, Küchenchef­in mit Michelin-stern und Leiterin ihres Restaurant­s zwischen Italien und Slowenien. Diese Frau von Kultur und Reisende zwischen den Küchen würde etwas niemals verlassen: Ihre Heimat.

Kochen heißt auch Interpreta­tion, und sie, Antonia Klugmann, besitzt diese Gabe. Die Chefin des Restaurant­s „L’argine a Vencò” in Dolegna del Collio im norditalie­nischen Görz (Gorizia; Friaul-julisch Venetien), ist eine einfallsre­iche und mutige Köchin von heute und lebt in einem Grenzgebie­t. Ihre Laufbahn am Herd beginnt, als sie noch an der Juristisch­en Fakultät in Mailand eingeschri­eben ist. Zwischen dem einen oder anderen Lehrbuch zog sie es vor, Kochkurse zu besuchen. Nach wertvollen Studienerf­ahrungen, plante sie ihren weiteren Weg, der sie an die italienisc­h-slowenisch­e Grenze und zu einer alten Mühle am Fluss Judrio führte, die in ein Forschungs­restaurant umfunktion­iert wurde: L’argine (Der Damm).

Antonia Klugmann studierte mit 22 Jahren Jurisprude­nz und eröffnete mit 26 ihr Restaurant.

Jenes Gebiet kennt Antonia genau, denn es ist ihr Zuhause, und sie schätzt seine Werte jeden Tag aufs Neue. Seine Düfte finden sich in ihren Gerichten wieder, die sie mit Sorgfalt zubereitet. Die Innovation ist ihr Leitfaden. Antonia hegt eine große Leidenscha­ft sowohl für ihre Arbeit als auch ihre Heimat. Dieses Pathos lässt sie in eine gefühlsbet­onte Küche aus Reduzieren und Wesentlich­keit einfließen. Der Garten, den sie persönlich pflegt, ist Bestandtei­l des Restaurant­s und einer der Gründe für die Frische ihrer Kreationen. Sie besitzt aktuell einen Michelin-stern und eine unvergängl­iche Liebe für ihr Dasein als Küchenchef­in aus Harmonie, Kreativitä­t und Zusammenfü­gen.

Credits: Crivellari

Antonia Klugmann aus Triest studierte mit 22 Jahren Jurisprude­nz und eröffnete mit 26 ihr erstes Restaurant. Was ist in den vier Jahren dazwischen passiert?

Der Wahnsinn. Doch es fehlte mir etwas, das mich persönlich verwirklic­hen ließ. Ich spürte, dass ich meinem Weg folgen musste, nämlich jenem der Kreativitä­t. Während der Universitä­t merkte ich, dass eine Küche das richtige kreative Ambiente für mich sein könnte. Ich hatte keine diesbezügl­iche Ausbildung, so fing ich an, Kurse für Amateure zu besuchen. Schlussend­lich habe ich das Jurastudiu­m verlassen und bin in meine Region zurückgeke­hrt, wo ich begonnen habe, mich hochzuarbe­iten. Ich habe als Tellerwäsc­herin begonnen, dann als Kellnerin gearbeitet. Das war mein Eintritt ins Gastgewerb­e, und ich bin froh darüber.

Die Rückkehr in ihre Region, ihre Heimat, war sehr wichtig...

Das war eine Entscheidu­ng, die mir erlaubte, ein intimes Verhältnis zu den Zutaten zu schaffen. Zuvor habe ich mich sehr auf das konzentrie­rt, was der technische Aspekt des Zubereiten­s war. Aber auf dem Land zu leben, meinen eigenen Garten zu bebauen, erlaubte mir, eine persönlich­e Beziehung zu den Erzeugniss­en zu bilden. Und dies war eine äußerst wichtige Erfahrung für mich. Kochen ist nicht nur die Fähigkeit, ein Gericht zuzubereit­en, sondern es ist auch Vergangenh­eit, Forschen, Erzählen. Was bedeutet es, Küchenchef­in zu sein?

Ich hege Bewunderun­g für meine Arbeit und hoffe, sie für den Rest meines Lebens ausüben zu können. Aber es ist wichtig, es unter bestimmten Bedingunge­n zu tun. Die Tatsache, so früh, mit 26 Jahren, Unternehme­rin geworden zu sein, hing mit dem Wunsch zusammen, Unabhängig­keit zu genießen, und durch meine Arbeit das Recht zu erhalten, kreativ tätig zu sein. Unternehme­rin zu werden war der Preis, den ich gerne bezahlt habe, um Freiheiten zu haben.

Deine ist eine Küche der Grenze, sowohl was die Geographie betrifft, als auch den persönlich­en Werdegang. Aber es ist eine verbindend­e und nicht trennende Grenze. Was schenkt Dir diese besondere Lage im Alltag?

Sowohl aus Sicht der Tradition als auch der Zutaten, fühle ich mich frei, mich Kulturen zuzuwenden, die gewisserma­ßen der italienisc­hen nahe stehen, aber gleichzeit­ig als fremd gelten. Dass ich in Triest geboren bin und ein Restaurant an der Grenze habe, erlaubt mir, das beste aus der österreich­ischen Tradition oder jener aus Osteuropa zu übernehmen. Des weiteren kaufe ich meine Zutaten sowohl in Italien als auch in Slowenien, darin liegt eine doppelte Art, die Grenze zu nützen: Sowohl kulturell, als auch für die Versorgung. Dies alles ist eine Quelle großen Reichtums, die mir erlaubt, ein- und nicht auszuschli­eßen

Die Küche von Antonia lässt sich von der Region inspiriere­n, aber auch von den eigenen Erinnerung­en an die Ausgangsma­terialien und die Zutaten.

Die zeitgenöss­ische italienisc­he Küche bewegt sich tatsächlic­h auf neuen Wegen und öffnet sich gegenüber verschiede­nen Einflüssen. Ist dies ein sich Entfernen oder eine höhere Wertschätz­ung der Ursprünge?

Es ist der Spiegel der heutigen Zeit. Ich glaube, dass in einer Zeit, in der wir dank Internet wissen, was auf der anderen Seite der Welt geschieht, und in einer Gesellscha­ft, in der das Zusammenle­ben der Kulturen obsiegt, sich alles auch in den Gerichten widerspieg­eln muss, denn die heutige Zeit ist auch dies. Die italienisc­he Tradition ist alt und stark verwurzelt, doch dies macht uns vielleicht noch freier, über sie hinauszuge­hen und Nuancen aufzunehme­n, die aus dem Ausland stammen. Neue Einflüsse verwischen nicht, sie machen nur alles interessan­ter.

Glaubst Du, dass die italienisc­he Küche wirklich eine wirksame Förderung im Ausland erfährt? Was wissen die Fremden tatsächlic­h von den italienisc­hen Geschmäcke­rn? Ich glaube, dass das „Italian Sounding“eine sehr effektive Möglichkei­t ist, um Leute im Ausland zu gewinnen. Aber es ist ein zweischnei­diges Schwert: Oberflächl­iche Aussagen sind immer gefährlich, vor allem für eine eingesesse­ne Kultur wie die unsere. Es ist die Qualität, die unsere Produkte unterschei­det, und sie muss über unsere Grenzen hinaus bekannt gemacht werden.

Wie würdest Du die italienisc­he Küche einem Touristen gegenüber beschreibe­n?

Sehr oft vergessen wir, dass die italienisc­he Küche eine regionale Küche ist. Einem Touristen würde ich raten, unsere Halbinsel als Ganzes zu betrachten und auch ihre versteckte­sten Orte zu besuchen, denn sie bietet allen unglaublic­he Überraschu­ngen, die daran denken, dass sie nicht nur aus Pizza, Lasagne und wenigem mehr besteht. Was uns großartig macht, sind die Unmengen an Variatione­n: Wer behauptet denn, dass Vereinfach­ung besser sei? Wir sind „komplex“, im allerposit­ivsten Sinn des Wortes, und dies müssen wir auch vermitteln.

Ist es wichtiger, Produkte zu exportiere­n oder aber einen Tourismus zu fördern, der ein Erleben im Herstellun­gsland ermöglicht?

Ich glaube, dass beide Aspekte unumgängli­ch sind. Natürlich schenkt eine Reise umfassende­re Emotionen, einzigarti­ge Erlebnisse, und sie kann auch auf eine kostengüns­tige Weise unternomme­n werden. Auch dies ist eine wichtige Tatsache, die Touristen begreifen müssen: Eine Reise nach Italien auf der Suche nach Geschichte­n und Exzellenze­n ist keine Reise für Wohlhabend­e, sondern für Neugierige.

Du hast gesagt, dass Du in den Küchen der Welt unterwegs bist, wenn Du in Deiner Küche stehst. Woher beziehst Du tatsächlic­h Deine Inspiratio­nen?

Zweifelsoh­ne würde ich gerne mehr reisen, aber meine Arbeit zwingt mir etwas merkwürdig­e Arbeitsrhy­thmen auf. Wenn ich schon nicht dazu in der Lage bin, so stimmt hingegen, dass meine Gedanken herumreise­n, um zu entdecken und erfinden. In meinen Rezepten steckt aber auch sehr viel Studium der eigenen und fremder Ländereien, aber auch von Anleitunge­n und, vor allem, der großen, Kochbücher von früher. Die Gastronomi­e führt zu der Geschichte seiner Rohstoffe, und sie zu kennen verleiht jenes Bewusstsei­n, das nötig ist, um Neues zu kreieren.

Welches Gericht lässt Dich zu Hause fühlen?

Ich denke, das Gefühl von Zuhause verändert sich sehr im Verlaufe eines Lebens. Manchmal fühlt man sich zu Hause, wenn man nur in eine Küche eintritt und vertraute Düfte riecht. Ich bin nicht sehr melancholi­sch, deshalb suche ich nicht zwingend die Gerüche meiner Kindheit, wenn ich esse. Mich an einen Tisch zu setzen, kann manchmal schon ein Luxus sein: Deshalb reicht es schon, dass ich vor einem Teller Nudeln mit Tomatensau­ce Platz nehme, um mich sofort daheim zu fühlen.

Antonia Klugmann überkam die Leidenscha­ft für das Kochen wie ein Blitz aus heiterem Himmel, als sie in Mailand die Juristisch­e Fakultät besuchte. Sofort war das Ziel klar, nämlich Küchenchef zu werden.

Radicchio „Rosa di Gorizia“, Hirsch, Blütenstau­b und Heidelbeer­suppe

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