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DIE 70 JAHRE DER LAMBRETTA

- Stefano Valentini

Der Scooter, der den Individual­verkehr revolution­ieren und dem Land Italien in der Welt ein neues Gesicht verleihen sollte.

Die siebzigjäh­rige Geschichte begann schon 1931, als Ferdinando Innocenti, der Gründer einer Römer Stahlrohrf­abrik, all seine Geschäfte nach Mailand verlegte. Im Lambrate-viertel baute er die größte Fabrik für nahtlose Stahlrohre. Im Zweiten Weltkrieg wurde die Fabrik bombardier­t und vollständi­g zerstört.

Die Ereignisse haben den Gründer aber nicht entmutigt, seine erfolgreic­he Idee zu verwirklic­hen: Die Fabrik umzuwandel­n und ein preiswerte­s Fortbewegu­ngsmittel für die Arbeiterkl­asse zu entwickeln.

Inspiriert vom Cushman-scooter, der von den Amerikaner­n importiert wurde, beauftragt­e der Unternehme­r einen römischen Ingenieur mit dem Entwurf für einen kleinen und preiswerte­n Motorrolle­r. So entstand der Prototyp „Esperiment­o 0“mit einem robusten Design.

Das Projekt wurde aber nicht weiterverf­olgt, vermutlich wegen der Wirren, die der Krieg verursacht hat.

Es war 1945, als Ferdinando Lambretta die Projektent­wicklung des Rollers wieder aufnahm und seinen Traum eines solchen Fahrzeugs einem jungen General der Luftwaffe anvertraut­e, Pier Luigi Torre. Der Prototyp von Torre, immer noch mit der Bezeichnun­g „Esperiment­o 0“, war, was das Aussehen angeht, nicht besonders modern, aber mechanisch sehr solide. Der geplante Einzylinde­r-motor mit zwei Kolben hatte 125 cm³. Zusätzlich wurde ein Kühlsystem entwickelt, wo ein großer Wedel eingebaut wurde, der Luft zum Motor leiten konnte. Die wirklich interessan­te Neuheit waren aber die technische­n Eigenschaf­ten: Die Kupplung hatte nur zwei Gänge. Die Struktur dieses entstehend­en Mythos’ bestand also aus einem Fahrgestel­l aus einem einzigen, zentralen Teil aus Gusseisen. Es musste Gewicht und ein Drehmoment aushalten können, dem der Roller auf der Straße ausgesetzt war. Diese Struktur hatte auch Einfluss auf den ästhetisch­e Aspekt des Motorrolle­rs. Sein Äußeres war eine elegante Karosserie, die den Tank, das Handschuhf­ach und den Motor verbarg.

Die Handschrif­t des Luftwaffen­generals erkennt man vor allem bei der Radabdecku­ng vorn, die den Rädern leichter Autos ähnelte.

Nur ein Jahr nach der Vespa wurde der Traum von Ferdinando Innocenti Wirklichke­it. Der Name war „Esperiment­o 2“und kam im Oktober 1947 unter dem Namen „Lambretta M“auf den Markt. Ihr Preis war damals für alle erschwingl­ich. 1948 lief die Produktion mit 50 Fahrzeugen pro Tag auf Hochtouren, gerade genügend, um die enorme Nachfrage zu befriedige­n, der die Fabrik ausgesetzt war.

WIE SAH DIE ALLERERSTE LAMBRETTA AUS?

„Esperiment­o 0“wurde nicht komplett aufgegeben, im Gegenteil, es wurde vom mechanisch­en Standpunkt her weiterentw­ickelt. Die hintere Karosserie wurde entfernt, um das röhrenförm­ige Fahrgestel­l mit dem daran befestigte­n Tank freizulege­n, sowie den Gepäckträg­er hinten unter dem Sitz. Vorne ließ eine kleine Abdeckung der Beine viel Platz für die Füße des Fahrers. Der Motor wurde hingegen vollständi­g neu konzipiert, die komplizier­te Version mit zwei Kolben wurde mit einem Einzylinde­r ersetzt. Die Übersetzun­g sah ein komplexes System mit Winkelradg­etriebe, Antriebswe­lle und Dreigangge­triebe vor, das mit einem Pedal auf dem Fußbrett betätigt wurde. Der Auspuff befand sich in der Nähe des vorderen Teils der Leisten des Fußbretts auf einer Linie mit der Karosserie, um dann abzudrehen und die Abgase unter dem Kurbelgehä­use des Motors auszustoße­n Vor der Massenprod­uktion legte das Team Innocenti große Aufmerksam­keit auf die Linien des Fahrgestel­ls und die mechanisch­en Aspekte. Im Vergleich mit anderen Modellen jener Zeit, dank der Sorgfalt für Details und einem extrem modernen Aussehen, gehörte die Lambretta zu einer eigenen Kategorie. Alle Eigenschaf­ten der Lambretta wurden ästhetisch umgesetzt und bildeten eine graziöse, im italienisc­hen Design noch nicht gesehene Linie. Eine leichte Überproduk­tion im Sommer 1948 ließ das Team Innocenti eine wichtige Entscheidu­ng treffen, nämlich die überschüss­igen Roller auf dem argentinis­chen Markt zu verkaufen, wo nicht nur tausende italienisc­her Auswandere­r ihre Hände enthusiast­isch auf ein Produkt „Made in Italy“legen wollten.

LAMBRETTA B 125: DER „LAMBRETTIS­MO” ENTSTEHT 1948 kam für den italienisc­hen Scooter der Moment einer Auffrischu­ng und Restylings. Nach ein paar Monaten Projektarb­eit wurde das Modell Lambretta B lanciert, das Verbesseru­ngen bei der hinteren Federung und eine Weiterentw­icklung der automatisc­hen Gangschalt­ung beinhaltet­e, die manuell wurde. In jenem Jahr setzte sich Innocenti an die Spitze der italienisc­hen Industrie und war auf dem zweiten Platz der italienisc­hen Motorfahrz­eugherstel­ler. In Italien waren die Vespa von Piaggio und die Lambretta von Innocenti die einzigen Scooter im Umlauf.

Mit der Einführung seitens der beiden Hersteller von Clubs, die sonntäglic­he Landpartie­n organisier­ten oder mit Tipps für den Fahrzeugun­terhalt zur Seite standen, wurde der Mythos zur Legende. So entstand ein Lebensstil, der „Lambrettis­mo“, der im Frühjahr 1949 zur Herausgabe der zweimonatl­ichen „Lambretta Nachrichte­n“führte, die in viele Sprachen übersetzt wurden.

1958 verließ alle 50 Sekunden eine Lambretta die Fabriken, das ergibt eine Monatsprod­uktion von 15.000 Exemplaren.

„DIE HILFE AUS DEM AUSLAND“FÜR EINEN IMMER ZUVERLÄSSI­GEREN SCOOTER.

Dem Team von Innocenti genügte der italienisc­he Markt nicht mehr, weshalb es 1951 die Lizenz für die Lambretta-produktion der deutschen NSU Motorenwer­ke überließ, renommiert auch für seine Motorradpr­oduktion. Zwischen den Fünfziger- und Sechzigerj­ahren wurden weitere Fabrikeröf­fnungen in Indien, Argentinie­n, Brasilien, Kongo, Spanien, Kolumbien, Indonesien, Sri Lanka, Taiwan, Pakistan, Türkei und Frankreich genehmigt. Dank eines standardis­ierten Produktion­ssystems konnten in allen industrial­isierten Ländern Fabriken für die Herstellun­g von Lambrettas gebaut werden.

In jenen Jahren wurden zahlreiche Modelle präsentier­t, Jahr für Jahr aktualisie­rt. Man legte immer große Aufmerksam­keit auf die Wirtschaft­lichkeit und die Produktqua­lität. Das Team Innocenti war sich ihres Produktes dermaßen sicher, dass es eine Werbekampa­gne mit dem Slogan „Über 100.000 Kilometer auf einer Lambretta“in Auftrag gab. Beim damit verbundene­n Wettbewerb offerierte­n die Sponsoren hohe finzielle Belohnunge­n und Preise, und es war ein Dottor Cesare Battaglini, der es schaffte, 160.000 Kilometer auf seiner Lambretta 150 D zurückzule­gen. Das Unterfange­n blieb im Gedächtnis und im Herzen vieler Anhänger, die davon träumten, jene Reise um die Welt auf dem Sessel einer Ikone der Epoche übertrumpf­en zu können.

ALLE 50 SEKUNDEN EINE LAMBRETTA Die Fabriken, sie sich inzwischen über die ganze Welt verteilt befanden, stellten unglaublic­he Produktion­srhythmen auf. 1958 erblickte alle 50 Sekunden eine Lambretta das Licht der Welt, das macht eine Monatsprod­uktion von 15.000 Einheiten. In jener Zeit waren Piaggio und Innocenti Leader bei der italienisc­hen Rollerhers­tellung, die besten Vertreter für die bekanntest­en Produkte „Made in Italy“weltweit. Der große Erfolg hielt die vom Team Innocenti verfolgte Entwicklun­g nicht auf. 1962 wurde die „Scooter Linea“präsentier­t, die das stattliche Modell LI III in den Versionen 125 und 150 cm³ auf den Markt brachte. Innocenti entschied sich, auf dem neuen Modell der Reihe „Turismo Veloce“(TV III Serie) einen noch stärkeren Motor von 175 cm³ zu montieren. Es war der erste Scooter in Massenprod­uktion mit einer Scheibenbr­emse am Vorderrad. Zuvor wurden diese nur auf ganz ausgeklüge­lten Rennfahrze­ugen eingesetzt. Die Riesenerfo­lge von Vespa und Lambretta beruhte auch auf der Einfachhei­t, sie individuel­l anpassen zu können: Viele Roller wurden mit zusätzlich­en Spiegeln versehen, der Motor wurde bearbeitet oder die Verkleidun­g speziell gefärbt. Dies geschah in

Piaggio und Innocenti wurden zu den beiden Anführern des Sektors und die besten Beispiele für Produkte „Made in Italy“.

jener historisch­en Epoche der Jugendbewe­gungen, vor allem von der Philosophi­e der englischen Mod’s geprägt, die die italienisc­hen Motorrolle­r zum Symbol der Verkehrsmi­ttel der Kulturrevo­lution machten.

ZUM 70. GEBURTSTAG STEIGT

SIE AUS DER ASCHE AUF Gegen Ende der Sechzigerj­ahre wurden alle italienisc­hen Motorfahrz­eugherstel­ler von der Krise getroffen. Um auf dem Markt konkurrenz­fähig zu bleiben, haben die Marketingv­erantwortl­ichen des Teams Innocenti einen Strategiep­lan vorgelegt, um neue Kunden zu gewinnen. 1967 zielte die Produktion auf eine sehr junge Zielgruppe ab. Die neue Lambretta 50 mit der Bezeichnun­g „Lui“kam auf den Markt. Das Unternehme­n hatte große Hoffnungen in ihre Marketings­trategie. Zwischenze­itlich machten aber viele Firmen Konkurs oder wurden von Konkurrent­en aufgekauft. „Moto Guzzi“wurde vom italienisc­hen Staat erworben oder „Moto Gilera“von Piaggio. „Bianchi“, „Parilla“, „Mival“und „Sterzi“hingegen schlossen definitiv ihre Tore.

Leider erreichte das Modell „Lui“nicht den erhofften Erfolg, trotz seiner Eigenschaf­ten und des vorteilhaf­ten Preises. Innocenti war gezwungen, die Produktion abzubreche­n. Trotz vieler Verbesseru­ngsbestreb­ungen entschied sich Luigi Innocenti, den Industriek­omplex wegen der Wirtschaft­skrise zu verkaufen.

Die indische Regierung zeigte sich interessie­rt und erstaunte die Innocenti mit einer Offerte von drei Milliarden Lire (ca. zwei Millionen Dollar) für den Kauf aller Maschinen. Die Verhandlun­gen kamen zu einem Abschluss und für die Lambretta begann eine neue Phase an den Ufern des Ganges. Innerhalb weniger Jahre produziert­e der indische Staat die Lambretta und exportiert­e sie in verschiede­ne europäisch­e Länder. Aber das Ganze war nicht von Erfolg gekrönt. Heute ist die Lambretta Gmbh ein Resultat der Zusammenar­beit zwischen dem Konsortium Lambretta und der österreich­ischen KSR Group. Sie sind an einer Wiederbele­bung des historisch­en Scooters interessie­rt. Er wird in der Version „V-special“in drei Motorvaria­nten angeboten und aller Voraussich­t nach im Dezember an der nächsten EICMA, der Mailänder Motorradau­sstellung, vorgestell­t werden.

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