DIE 70 JAHRE DER LAMBRETTA
Der Scooter, der den Individualverkehr revolutionieren und dem Land Italien in der Welt ein neues Gesicht verleihen sollte.
Die siebzigjährige Geschichte begann schon 1931, als Ferdinando Innocenti, der Gründer einer Römer Stahlrohrfabrik, all seine Geschäfte nach Mailand verlegte. Im Lambrate-viertel baute er die größte Fabrik für nahtlose Stahlrohre. Im Zweiten Weltkrieg wurde die Fabrik bombardiert und vollständig zerstört.
Die Ereignisse haben den Gründer aber nicht entmutigt, seine erfolgreiche Idee zu verwirklichen: Die Fabrik umzuwandeln und ein preiswertes Fortbewegungsmittel für die Arbeiterklasse zu entwickeln.
Inspiriert vom Cushman-scooter, der von den Amerikanern importiert wurde, beauftragte der Unternehmer einen römischen Ingenieur mit dem Entwurf für einen kleinen und preiswerten Motorroller. So entstand der Prototyp „Esperimento 0“mit einem robusten Design.
Das Projekt wurde aber nicht weiterverfolgt, vermutlich wegen der Wirren, die der Krieg verursacht hat.
Es war 1945, als Ferdinando Lambretta die Projektentwicklung des Rollers wieder aufnahm und seinen Traum eines solchen Fahrzeugs einem jungen General der Luftwaffe anvertraute, Pier Luigi Torre. Der Prototyp von Torre, immer noch mit der Bezeichnung „Esperimento 0“, war, was das Aussehen angeht, nicht besonders modern, aber mechanisch sehr solide. Der geplante Einzylinder-motor mit zwei Kolben hatte 125 cm³. Zusätzlich wurde ein Kühlsystem entwickelt, wo ein großer Wedel eingebaut wurde, der Luft zum Motor leiten konnte. Die wirklich interessante Neuheit waren aber die technischen Eigenschaften: Die Kupplung hatte nur zwei Gänge. Die Struktur dieses entstehenden Mythos’ bestand also aus einem Fahrgestell aus einem einzigen, zentralen Teil aus Gusseisen. Es musste Gewicht und ein Drehmoment aushalten können, dem der Roller auf der Straße ausgesetzt war. Diese Struktur hatte auch Einfluss auf den ästhetische Aspekt des Motorrollers. Sein Äußeres war eine elegante Karosserie, die den Tank, das Handschuhfach und den Motor verbarg.
Die Handschrift des Luftwaffengenerals erkennt man vor allem bei der Radabdeckung vorn, die den Rädern leichter Autos ähnelte.
Nur ein Jahr nach der Vespa wurde der Traum von Ferdinando Innocenti Wirklichkeit. Der Name war „Esperimento 2“und kam im Oktober 1947 unter dem Namen „Lambretta M“auf den Markt. Ihr Preis war damals für alle erschwinglich. 1948 lief die Produktion mit 50 Fahrzeugen pro Tag auf Hochtouren, gerade genügend, um die enorme Nachfrage zu befriedigen, der die Fabrik ausgesetzt war.
WIE SAH DIE ALLERERSTE LAMBRETTA AUS?
„Esperimento 0“wurde nicht komplett aufgegeben, im Gegenteil, es wurde vom mechanischen Standpunkt her weiterentwickelt. Die hintere Karosserie wurde entfernt, um das röhrenförmige Fahrgestell mit dem daran befestigten Tank freizulegen, sowie den Gepäckträger hinten unter dem Sitz. Vorne ließ eine kleine Abdeckung der Beine viel Platz für die Füße des Fahrers. Der Motor wurde hingegen vollständig neu konzipiert, die komplizierte Version mit zwei Kolben wurde mit einem Einzylinder ersetzt. Die Übersetzung sah ein komplexes System mit Winkelradgetriebe, Antriebswelle und Dreiganggetriebe vor, das mit einem Pedal auf dem Fußbrett betätigt wurde. Der Auspuff befand sich in der Nähe des vorderen Teils der Leisten des Fußbretts auf einer Linie mit der Karosserie, um dann abzudrehen und die Abgase unter dem Kurbelgehäuse des Motors auszustoßen Vor der Massenproduktion legte das Team Innocenti große Aufmerksamkeit auf die Linien des Fahrgestells und die mechanischen Aspekte. Im Vergleich mit anderen Modellen jener Zeit, dank der Sorgfalt für Details und einem extrem modernen Aussehen, gehörte die Lambretta zu einer eigenen Kategorie. Alle Eigenschaften der Lambretta wurden ästhetisch umgesetzt und bildeten eine graziöse, im italienischen Design noch nicht gesehene Linie. Eine leichte Überproduktion im Sommer 1948 ließ das Team Innocenti eine wichtige Entscheidung treffen, nämlich die überschüssigen Roller auf dem argentinischen Markt zu verkaufen, wo nicht nur tausende italienischer Auswanderer ihre Hände enthusiastisch auf ein Produkt „Made in Italy“legen wollten.
LAMBRETTA B 125: DER „LAMBRETTISMO” ENTSTEHT 1948 kam für den italienischen Scooter der Moment einer Auffrischung und Restylings. Nach ein paar Monaten Projektarbeit wurde das Modell Lambretta B lanciert, das Verbesserungen bei der hinteren Federung und eine Weiterentwicklung der automatischen Gangschaltung beinhaltete, die manuell wurde. In jenem Jahr setzte sich Innocenti an die Spitze der italienischen Industrie und war auf dem zweiten Platz der italienischen Motorfahrzeughersteller. In Italien waren die Vespa von Piaggio und die Lambretta von Innocenti die einzigen Scooter im Umlauf.
Mit der Einführung seitens der beiden Hersteller von Clubs, die sonntägliche Landpartien organisierten oder mit Tipps für den Fahrzeugunterhalt zur Seite standen, wurde der Mythos zur Legende. So entstand ein Lebensstil, der „Lambrettismo“, der im Frühjahr 1949 zur Herausgabe der zweimonatlichen „Lambretta Nachrichten“führte, die in viele Sprachen übersetzt wurden.
1958 verließ alle 50 Sekunden eine Lambretta die Fabriken, das ergibt eine Monatsproduktion von 15.000 Exemplaren.
„DIE HILFE AUS DEM AUSLAND“FÜR EINEN IMMER ZUVERLÄSSIGEREN SCOOTER.
Dem Team von Innocenti genügte der italienische Markt nicht mehr, weshalb es 1951 die Lizenz für die Lambretta-produktion der deutschen NSU Motorenwerke überließ, renommiert auch für seine Motorradproduktion. Zwischen den Fünfziger- und Sechzigerjahren wurden weitere Fabrikeröffnungen in Indien, Argentinien, Brasilien, Kongo, Spanien, Kolumbien, Indonesien, Sri Lanka, Taiwan, Pakistan, Türkei und Frankreich genehmigt. Dank eines standardisierten Produktionssystems konnten in allen industrialisierten Ländern Fabriken für die Herstellung von Lambrettas gebaut werden.
In jenen Jahren wurden zahlreiche Modelle präsentiert, Jahr für Jahr aktualisiert. Man legte immer große Aufmerksamkeit auf die Wirtschaftlichkeit und die Produktqualität. Das Team Innocenti war sich ihres Produktes dermaßen sicher, dass es eine Werbekampagne mit dem Slogan „Über 100.000 Kilometer auf einer Lambretta“in Auftrag gab. Beim damit verbundenen Wettbewerb offerierten die Sponsoren hohe finzielle Belohnungen und Preise, und es war ein Dottor Cesare Battaglini, der es schaffte, 160.000 Kilometer auf seiner Lambretta 150 D zurückzulegen. Das Unterfangen blieb im Gedächtnis und im Herzen vieler Anhänger, die davon träumten, jene Reise um die Welt auf dem Sessel einer Ikone der Epoche übertrumpfen zu können.
ALLE 50 SEKUNDEN EINE LAMBRETTA Die Fabriken, sie sich inzwischen über die ganze Welt verteilt befanden, stellten unglaubliche Produktionsrhythmen auf. 1958 erblickte alle 50 Sekunden eine Lambretta das Licht der Welt, das macht eine Monatsproduktion von 15.000 Einheiten. In jener Zeit waren Piaggio und Innocenti Leader bei der italienischen Rollerherstellung, die besten Vertreter für die bekanntesten Produkte „Made in Italy“weltweit. Der große Erfolg hielt die vom Team Innocenti verfolgte Entwicklung nicht auf. 1962 wurde die „Scooter Linea“präsentiert, die das stattliche Modell LI III in den Versionen 125 und 150 cm³ auf den Markt brachte. Innocenti entschied sich, auf dem neuen Modell der Reihe „Turismo Veloce“(TV III Serie) einen noch stärkeren Motor von 175 cm³ zu montieren. Es war der erste Scooter in Massenproduktion mit einer Scheibenbremse am Vorderrad. Zuvor wurden diese nur auf ganz ausgeklügelten Rennfahrzeugen eingesetzt. Die Riesenerfolge von Vespa und Lambretta beruhte auch auf der Einfachheit, sie individuell anpassen zu können: Viele Roller wurden mit zusätzlichen Spiegeln versehen, der Motor wurde bearbeitet oder die Verkleidung speziell gefärbt. Dies geschah in
Piaggio und Innocenti wurden zu den beiden Anführern des Sektors und die besten Beispiele für Produkte „Made in Italy“.
jener historischen Epoche der Jugendbewegungen, vor allem von der Philosophie der englischen Mod’s geprägt, die die italienischen Motorroller zum Symbol der Verkehrsmittel der Kulturrevolution machten.
ZUM 70. GEBURTSTAG STEIGT
SIE AUS DER ASCHE AUF Gegen Ende der Sechzigerjahre wurden alle italienischen Motorfahrzeughersteller von der Krise getroffen. Um auf dem Markt konkurrenzfähig zu bleiben, haben die Marketingverantwortlichen des Teams Innocenti einen Strategieplan vorgelegt, um neue Kunden zu gewinnen. 1967 zielte die Produktion auf eine sehr junge Zielgruppe ab. Die neue Lambretta 50 mit der Bezeichnung „Lui“kam auf den Markt. Das Unternehmen hatte große Hoffnungen in ihre Marketingstrategie. Zwischenzeitlich machten aber viele Firmen Konkurs oder wurden von Konkurrenten aufgekauft. „Moto Guzzi“wurde vom italienischen Staat erworben oder „Moto Gilera“von Piaggio. „Bianchi“, „Parilla“, „Mival“und „Sterzi“hingegen schlossen definitiv ihre Tore.
Leider erreichte das Modell „Lui“nicht den erhofften Erfolg, trotz seiner Eigenschaften und des vorteilhaften Preises. Innocenti war gezwungen, die Produktion abzubrechen. Trotz vieler Verbesserungsbestrebungen entschied sich Luigi Innocenti, den Industriekomplex wegen der Wirtschaftskrise zu verkaufen.
Die indische Regierung zeigte sich interessiert und erstaunte die Innocenti mit einer Offerte von drei Milliarden Lire (ca. zwei Millionen Dollar) für den Kauf aller Maschinen. Die Verhandlungen kamen zu einem Abschluss und für die Lambretta begann eine neue Phase an den Ufern des Ganges. Innerhalb weniger Jahre produzierte der indische Staat die Lambretta und exportierte sie in verschiedene europäische Länder. Aber das Ganze war nicht von Erfolg gekrönt. Heute ist die Lambretta Gmbh ein Resultat der Zusammenarbeit zwischen dem Konsortium Lambretta und der österreichischen KSR Group. Sie sind an einer Wiederbelebung des historischen Scooters interessiert. Er wird in der Version „V-special“in drei Motorvarianten angeboten und aller Voraussicht nach im Dezember an der nächsten EICMA, der Mailänder Motorradausstellung, vorgestellt werden.