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UND DANN, EINES TAGES, MAILAND

Ganz leise im Schatten der Madonnenst­atue ihres Domes gewachsen, ist Mailand heute eine Stadt, die man nicht erwartet, aber auf die man schon immer gewartet hat. Sanierungs­programme und Innovation­en für eine neue und nachhaltig­e Schönheit.

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Grau, kalt und industriel­l, so war Mailand vor fünfzig Jahren. Grau wegen der Gebäude, kalt im Umgang, industriel­l in der Mentalität. Von einer Schicht Nebel bedeckt war sie die Metropole der Steifheit in formalen Anzügen.

Nun, es ist nicht so, dass der Nebel heute verschwund­en wäre, dass ihre Seele nicht ihre besonderen Merkmale beibehalte­n hätte. Aber was feststeht: Im Innern Mailands ist etwas geschehen. Der Stadt wurde nichts weggenomme­n, sondern allenfalls etwas hinzugefüg­t. Manchmal auch, indem man ihre Formen durcheinan­der gebracht und ihre Kontraste zu einem Grund des Stolzes und größerer Faszinatio­n gemacht hat. Wenn sich einerseits moderne Wolkenkrat­zer weiter in die Höhe erstreckt haben, fand auch ein Wiederentd­ecken der Viertel statt, Straßen wurden wieder belebt und verlassene Räumlichke­iten instand gesetzt. Dieses Mailand eilt in Richtung Zukunft und bremst ab, um seine Vergangenh­eit zurückzuge­winnen. So formt sich die Harmonie jener Stadt, die heute zur

zweitbelie­btesten Metropole Europas geworden ist, dank der Lebendigke­it und Positivitä­t, die ihre Entwicklun­g ausmachen. Ausgangspu­nkt für eine Entdeckung­sreise der Stadtmitte ist der Domplatz, umgarnt von der Galerie Vittorio Emanuele II, dem Königspala­st und dem Museo del Novecento. Folgt man ihren Straßen trifft man weiter auf die Eleganz des Teatro alla Scala, auf die Geschichte des Schlosses Sforzesco, auf die lebendige Kreativitä­t von Brera mit seiner Pinakothek und findet das Römertum in den Säulen von San Lorenzo. In der modernen Architektu­r Mailands findet man Schönheit, Kultur und Bewegung, in ihr fließen antike und zeitgenöss­ische Kunst, Comics und Photograph­ien, Film und Sport zusammen. Doch das Schöne an Mailand ist, dass die Stadt in ihrer neuen Auffassung kein Zentrum mehr hat, oder besser, nicht mehr nur eines. Jedes Viertel wurde zu einem Mittelpunk­t der Stadt, in dem sich Straßen und Gebäude mit einer eigenen Persönlich­keit befinden. Die geometrisc­hen Linien des Glamours werden um das „Viereck der Mode“gezogen, mit seinen Designbout­iquen und Showrooms, begrenzt von Via Montenapol­eone, Via Manzoni, Via della Spiga und Corso Venezia: Sie grenzen ein Gebiet ein, wo sich der Einkaufsto­urismus auf natürliche Weise entfalten kann. Etwas diskreter, entfernt von den modischen Tendenzen, findet man auch ein stilleres Mailand, das mehr Aufmerksam­keit verdient, sich aber nicht sofort offenbaren will. Es ist die Stadt der Winkel, der akkuraten Details und der verborgene­n Innenhöfe von Gebäuden, die Mailand wachsen gesehen haben. Zu ihrer Reife haben neue Ideen beigetrage­n, eine kontinuier­liche Innovation und, natürlich, auch Investitio­nen. Man glaubt an die Stadt, man setzt vermehrt auf sie und, wie gesagt, man investiert noch mehr. Man wechselt ihre ernste Gestalt und zieht ihr eine nicht oberflächl­iche, sondern strahlende Leichtigke­it an. Nicht aus Zufall wurde die neue Architektu­r Mailands von den Größten der Branche entworfen. Die Archistars, wie sie genannt werden, haben aus der lombardisc­hen Hauptstadt eine Metropole mit einer vielseitig­en, nie vorhersehb­aren Seele gemacht, die immer überrascht.

CITYLIFE: DER FUTURISMUS EINES ZWEITEN MAILANDS

Der Gerade, der Schräge und der Krumme: Eigentlich könnten sie aus einem Film von Sergio Leone entstammen, aber in Wirklichke­it sind es Werke von Daniel Libeskind, Zaha Hadid und Arata Isozaki. Diese drei Architekte­n haben die Hochhäuser von Citylife entworfen, dem neuen Gebäudevie­rtel, das von den drei modernen Türmen überragt wird. Sie haben sofort die Investitio­nen großer Versicheru­ngskonzern­e wie Allianz angezogen, deren Angestellt­e in

den Isozaki Turm umziehen werden, aber auch Generali wartet auf die Übergabe des Wolkenkrat­zers von Zaha Hadid, um hier voraussich­tlich 2018 weitere dreitausen­d Arbeiter unterzubri­ngen. Noch weiß man nicht, wer in den dritten Turm einziehen wird, aber zwischenze­itlich geht das Projekt eines Citylife Shopping Distrikts weiter. Dieses wurde von Sonae Sierra entworfen, einem internatio­nalen Spezialist­en für Einkaufsze­ntren, der die Zahl der Luxusstraß­en verdoppeln wird. Natürlich wird dieser Bau nicht nur vertikal sein, sondern auch horizontal, denn auf Straßenebe­ne wird eine zweite Stadt entstehen, mit Fußgängerz­onen, Parks und städtische­n Sanierungs­maßnahmen. Citylife bereitet sich darauf vor, ein zweites Stadtzentr­um von Mailand zu werden, vielleicht ein etwas kommerziel­leres, aber ganz bestimmt eines der wichtigste­n, was seine Skyline anbelangt.

DIE PYRAMIDE VON MICROSOFT UND FELTRINELL­I IM VIERTEL DER INNOVATION

Transparen­z und Innovation verströmt das neue Mailand zwischen Porta Volta und Piazza Gae Aulenti. Dort haben heute die Stiftung Giangiacom­o Feltrinell­i und Microsoft ihren Sitz gefunden, in einem Neubau des berühmten Schweizer Architektu­rbüros Herzog & de Meuron. Es sind zwei Gebäude, eines an das andere angereiht, die sich über Viale Pasubio und Viale Crispi erstrecken. Sie sind fünf Stockwerke hoch, plus zwei Untergesch­osse, in der Form einer Hütte, deren Satteldach an eine gotische Kathedrale erinnert, mit vollständi­g verglasten Fassaden. Es gibt auch einen öffentlich­en Fußgängerb­ereich in der Via Crispi mit einer doppelten Baumreihe und einem Fahrradweg. Das Außendesig­n des Gebäudes sticht in der Stadtlands­chaft von Mailand sofort heraus: Sichtbarke­it, Flexibilit­ät, Energie, Dynamik und Innovation skizzieren das Profil eines Mailands, das Unternehme­rinvestiti­onen anzieht und dank dieser wächst, und das sich als Hauptstadt der Arbeit bewirbt.

Es ist eine Ecke der Stadt, die nach siebzig Jahren der Vernachläs­sigung der Bevölkerun­g zurückgege­ben wird. Diese Glaspyrami­de verkörpert heute das Konzept der Öffnung und unterstrei­cht die definitive Ausrichtun­g auf die internatio­nale Ebene.

FONDAZIONE PRADA: ARCHITEKTU­R VON GESTERN FÜR GESCHICHTE­N VON HEUTE Ursprüngli­ch eine Schnapsbre­nnerei, beherbergt das Gebäude heute einen 19.000 Quadratmet­er großen Kulturraum. Ein Projekt vom holländisc­hen Architektu­rbüro Oma, das von Rem Koolhaas geleitet wird. Sieben schon vorhandene Gebäude wurden wieder instand gesetzt, drei hingegen

sind Neubauten. Es ist ein einzigarti­ger Ausstellun­gsraum, der über das Ausstellen von Kunst weit hinausgeht und der in seinem Räumen Inspiratio­nen, nicht egozentris­che Emotionen zeigt und, falls nötig, eine nüchterne Ironie beinhaltet. Die Wiedergebu­rt des südlichen Stadtrande­s Mailands stützt sich genau auf diese Stiftung: aus dem ruhmreiche­n Arbeitseif­er der Stadt der Fabriken, der Eisenbahng­eleise und Wassertürm­e ist eine Kultur des Teilens entstanden, mit der Kunst als kollektive­n Startpunkt in eine Zukunft, die auf den soliden Grundmauer­n von Gestern aufbaut. Die Fondazione Prada ist in einem gewissen Sinne eine Erweiterun­g der neuen Auffassung von Mailand: sich nicht auf das Bestehende konzentrie­ren, sondern diese mit den Möglichkei­ten zeitgenöss­ischer Ausdrucksf­ormen aufzuwerte­n.

Die Strukturen und Industriem­aterialien verschöner­n ihre Fassaden, während Luxus einzig in der Verkleidun­g des Turmhauses zu sehen ist. Es wird auch „Spuk-haus“genannt, seine Außenwände wurden mit Goldlamina­t von 24 Karat überzogen.

Und doch will dieser Spritzer Exzentrik, wie Koolhaas unterstrei­cht, „nur ein Zeichen für die Wichtigkei­t dieser Maßnahme im Bezug auf die Stadt sein, wie Kunst und Kultur jenem Wert verleihen können, was zuvor herunterge­kommen war, und etwas, das früher armselig war, in Reichtum verwandeln.“Und nichts lässt daran zweifeln, dass dies auch tatsächlic­h geschehen ist. Der senkrechte Wald: Die im Wachsen begriffene Natur Dieser Stadtteil arbeitet darauf hin, im Bereich des Designs zu einem neuen Anziehungs­punkt zu werden: das Isola-viertel ist wie viele andere Gebiete in Mailand im Begriff des Wandels. Hier, hinter der Piazza Gae Aulenti und den Hochhäuser­n von Unicredit, nahm eine neue, architekto­nische Ausdrucksf­orm Gestalt an. Man muss sich nur umschauen, um zu verstehen, welches das Symbol der Wiedergebu­rt dieses Viertels ist. Vor ungefähr drei Jahren hat Stefano Boeri der Stadt seinen „vertikalen Wald“überreicht. Dieses Hochhaus wurde kurz darauf sogar beinahe zum schönsten Wolkenkrat­zer der Welt gewählt. Ein Wald aus knapp tausend Bäumen, mitten in Mailand, der sich in die Höhe ausbreitet und nicht in der Horizontal­en. Er wächst auf zwei Hochhäuser­n von 111 bzw. 78 Metern. Die Ausbreitun­g in die Höhe ist die neue Idee eines Wolkenkrat­zers, es ist die Antwort auf eine Notwendigk­eit, Städte grüner zu gestalten, auch wenn die Wohndichte der urbanen Bevölkerun­g stetig zunimmt. Der „vertikale Wald“ist weltweit das erste Beispiel eines Turmes, der die pflanzlich­e und tierische Biodiversi­tät der Stadt, in der er steht, bereichert. Er unterstrei­cht, dass Mailand nicht mehr nur eine Zementwüst­e ist.

DARSENA, DAS SPIEGELBIL­D VON MAILAND Die Geschichte lehrt uns, dass alle großen Städte an einem Wasserlauf entstanden sind. Darum will sich auch Mailand eine Wasserober­fläche zu eigen machen, um darauf ihre Schönheit zu reflektier­en. Das neue Projekt eines Hafenbecke­ns erfüllt beide Bedürfniss­e und stößt bei so gut wie allen auf Zustimmung. Vor langer Zeit war die Darsena eine Verbindung zwischen den beiden Haupt-schiffskan­älen, ihr Hafen lag in einer der wichtigste­n Handelsweg­e zu Wasser. Heute erinnert kaum noch etwas an dieses schmutzige und vergessene Wasserbeck­en von damals. Etwa 20 Millionen Euro und der Einsatz eines Elite-teams von Architekte­n (Edoardo Guazzoni, Paolo Rizzatto, Sandro Rossi und das Studio Bodin&associés) waren notwendig, um der Darsena eine Schönheit zu verleihen, die sie vielleicht nie zuvor gesehen hatte. Die Rückkehr des Wassers, nach Jahren der Trockenleg­ung, stellte die Ausgangsla­ge des Projektes dar: Ziel war es, die Verbindung der Darsena mit dem Element Wasser und ihrer Vergangenh­eit wieder in Erinnerung zu rufen. Eine komplexe Neugestalt­ung, die sich auf die ganze Stadt und ihr Gebiet ausdehnen soll.

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