„Die Kunst muss verblüffen, allen voran mich selbst“
Ihr Leben ist mit dem Marmor verknüpft seit sie 16 sind. Worin besteht die Herausforderung für einen Heranwachsenden, wenn er ein augenscheinlich so widerspenstiges Material bearbeiten soll?
Ich glaube gar nicht, dass es sich, zumindest am Anfang, um eine Herausforderung gehandelt hat, sondern eher um eine unvermeidliche Annäherung, die, wie ich später merkte, ein Talent ist, eine angeborene Neigung. Ein Lehrer auf dem Gymnasium schlug mir vor, ein Material ganz bewusst zu bearbeiten, das fand ich spannend und alchemistisch, und seither habe ich nicht mehr damit aufgehört. Später hat das Wort Herausforderung meine Vorstellungen von Skulptur und von Marmor begleitet.
Ihre Marmorarbeiten erinnern an berühmte klassische Skulpturen, aber ihr Bezug zur griechischen Antike und zur Renaissance sind keine Hommage im engeren Sinn. Ist das Neuinterpretation oder ein Bruch?
Es gibt beide Aspekte. Wenn sich meine Arbeiten ganz rigoros auf die Meisterwerke der Vergangenheit beziehen, gehören sie oft zum Zyklus Souvenir, mit dem ich versuche, den Wunsch des Nutzers zu respektieren, der im Geiste das Ganze oder nur einen Teil davon besitzen möchte: unter anderem Souvenir Gioconda, Souvenir David oder Souvenir Pietà. Andere Male beziehen sich die Werke mit klassischer Form weniger auf bereits existierende Skulpturen, haben jedoch dasselbe Ziel, die Sinne zu verwirren und eine neue semantische Dimension zu schaffen. Ob sie nun mit einem Styropor-effekt oder voller Tätowierungen ausgeführt sind, es gibt immer eine Verlagerung der Sinne, die die reine Farbe des Marmors, die Klassik des Materials und die Reinheit mit einer aktuellen, oft mit Gewalt verbundenen Sprache assoziieren, wie bei den Tätowierungen der russischen Gefangenen oder der Yakuza, der japanischen Mafia: Eures wird unseres sein oder Kouros, Werke die Fäuste oder Büsten darstellen.
Die Oberfläche Ihrer Statuen sind mit Tätowierungen von Madonnen, Totenköpfen, Pistolen und anderen Zeichen bedeckt, die den komplizierten Kodex der Tätowierungen der russischen Kriminellen darstellen. Was bedeutet dieser Symbolismus?
Er erzählt von der Kraft der Desorientierung. Es handelt sich um einen Kompromiss, der die Bedeutung des Marmors und der Klassik auf die Rohheit der Gewalt prallen lässt. Im Idealfall erfüllt die Kunst ihre große symbolische Aufgabe der Synthese: in einem einzigen Produkt verdichten sich zwei Welten durch das Wunder der Bildhauerei und die Harmonie des Designs.
Die künstlerische Laufbahn Viales besteht ganz offensichtlich aus künstlerischer Virtuosität und Ansätzen von Provokation, die ihn dazu verleiten, in der Wirklichkeit stets einen Ansporn zur Reflexion zu finden.