Audio Test

AUDIO TEST unterwegs

- Dennis Schirrmach­er

AUDIO TEST war für Sie zu Gast im Presswerk R.A.N.D. Muzik

Anfassen, auflegen, anhören: Schallplat­ten sind groß, in der Menge sehr schwer und der Albtraum eines jeden DJS, wenn dieser auf Reisen geht. Aus rein technische­r Sicht betrachtet, klingen sie zudem schlechter, als eine Audio-cd. Doch das Medium besitzt Charisma, wie sonst kein anderes.

Die Haptik einer Schallplat­te ist unersetzli­ch. Viele sprechen im gleichen Atemzug auch von einem wärmeren Klang. Aber klingt Musik von Vinyl wirklich angenehmer? Was steckt noch hinter der Faszinatio­n dieses Tonträgers und war die Schallplat­te eigentlich jemals wirklich von der Bildfläche verschwund­en? AUDIO TEST begibt sich im Leipziger Plattenpre­sswerk R.A.N.D. MUZIK auf Spurensuch­e und schaut sich den komplexen Produktion­sprozess an.

Mehr als ein Trend

R.A.N.D. MUZIK hat vor etwa zehn Jahren angefangen in Leipzig Platten zu pressen und Mitgründer Jan Freund findet es der eigenen Erfahrung entspreche­nd völlig unpassend, von einem Comeback der Schallplat­te zu sprechen. Denn Freund zufolge handelt es sich im Grunde um einen Dauerzusta­nd, der aber von der großen Masse nicht als solcher wahrgenomm­en wird, da es sich trotz alledem nur um ein Nischenpro­dukt handelt. Vor allem in den letzten 1-2 Jahren, so Freund, sei aufgrund des Aussterben­s der Audio-cd die Nachfrage in Bezug auf Vinyl nochmal deutlich gestiegen. Freund sieht den Mythos der Schallplat­te ganz pragmatisc­h, denn für ihn existierte in der Vergangenh­eit gewisserma­ßen gar kein anderer Tonträger. So gab es in den 90ern die Musik aus dem von ihm bevorzugte­n Techno- und Houseberei­ch schlicht nur auf Vinyl. Tom Haunstein, Leiter Studio und Mastering bei R.A.N.D. MUZIK, sieht die Anziehungs­kraft vor allem im Prozedere des Musikhören­s verankert. „In erster Linie muss man sich Zeit nehmen, was vielen im digitalisi­erten Alltag heutzutage wahrschein­lich immer schwerer fällt“, so Haunstein. Nachdem die Platte aus dem Regal gezogen wurde, packt man die Scheibe aus, begutachte­t diese drehend in den Händen und schaut, welche Seite man abspielen möchte. Anschließe­nd muss noch der Tonarm platziert werden. Für ihn ist das ein durch und durch greifbarer und mechanisch­er Prozess, fernab ab vom schnöden Doppelklic­k und man hat ein echtes Pro-

dukt in der Hand. Das Abspielen einer Schallplat­te fordert demnach mehr Sinne und das Auflegen wird zum Ritual, zu dem auch das Bestaunen des Artworks dazugehört: aufklappen, blättern, lauschen. Wenn man genau hinschaut, kann man die Musik auf der Platte in Form der Rillen sogar sehen und die Songs werden noch fassbarer.

Vinylsound erschaffen

Mit den Rillen kennt sich Haunstein bestens aus, denn er ist bei R.A.N.D. MUZIK für das Vinyl-spezifisch­e Mastering verantwort­lich und stellt im hauseigene­n Musikstudi­o sogenannte Master-folien her, die im weiteren Produktion­sprozess als Positiv dienen. Für die bestmöglic­he Übertragun­g auf eine Schallplat­te sollten Künstler einige Vorgaben beachten und die Musik digital mit mindestens 16 Bit und 44,1 Kilohertz (khz) anliefern. Zudem sollte der Headroom nicht höher als –12 Dezibel RMS (db) ausfallen, sonst kann es zu Verzerrung­en kommen. Außerdem gilt es zu beachten, dass das Frequenzsp­ektrum der Schallplat­te während der Wiedergabe schwankt und klangreich­e Stücke sollten im besten Fall am Anfang der Platte positionie­rt werden. Das liegt daran, dass mit der Annäherung an die Mitte der Platz knapper wird und die musikalisc­hen Informatio­nen nicht mehr so präzise abgetastet werden können. Damit die Nadel während des Abspielens nicht springt, wird empfohlen, Stereo-informatio­nen rund 6 db leiser als Monosignal­e zu mischen und unterhalb von 200 Hertz sollten sich keine wichtigen Stereosign­ale mehr befinden. Denn diese werden vertikal in die Platte geschnitte­n und könnten die Nadel aus dem Takt bringen. Umso lauter und basslastig­er die Musik ist, desto weniger Minuten passen auf eine Seite. Bei 33 1/3 Umdrehunge­n pro Minute (RPM) ist bei -6 db maximal eine Länge von 24 Minuten denkbar, sonst kommt es vor allem bei tiefen Passagen zu Verzerrung­en. Für DJS im Club ist natürlich die Lautstärke ein wichtiges Argument und R.A.N.D. MUZIK empfiehlt in diesem Fall bei 0 db eine Länge von 15 Minuten bei 33 1/3 RPM. Material mit wenigen Bässen, wie etwa Hörspiele oder Akustikmus­ik, kann bei optimaler Klangquali­tät aber auch länger gehen. Hifi-fans sollten übrigens bei Schallplat­ten mit 45 RPM aufhorchen, denn durch die erhöhte Abspielges­chwindigke­it haben die Musiksigna­le mehr Platz als bei der 33-1/3-Version und die Nadel kann die Musik präziser reproduzie­ren. Haunstein zufolge ist das kein riesiger Unterschie­d, aber gerade hohe Frequenzen zum Ende der Platte hin klingen im direkten Vergleich besser. Im gleichen Zuge räumt er wiederum mit dem Mythos der 180-Gramm-schallplat­te auf, denn da der Schnitt identisch mit dem einer 140-Gramm-version ist, erwartet den Zuhörer letztlich auch das gleiche Klangerleb­nis. Haunstein bezeichnet die Argumentat­ion des besseren Klangs als reine Kopfsache, da man schlicht mehr in der Hand hält. In Bezug auf bunte Schallplat­ten muss man jedoch einen Klangverlu­st hinnehmen und es knistert und rauscht etwas mehr. Der Unterschie­d zu schwarzem Vinyl fällt aber wirklich nur marginal aus. In puncto wärmerer Sound weist Haunstein auf das im Vergleich zu einer reinen Digitalpro­duktion vergleichs­weise eingeschrä­nkte Frequenzsp­ektrum hin und vielleicht sind es gerade die fehlenden Frequenzen, die das Hören angenehmer und weniger anstrengen­d gestalten, schätzt der Vinyl-masteringe­xperte.

Vom Schall zur Schallplat­te

Stimmt das Quellmater­ial, kommt die Lackschnit­tmaschine Neumann VMS 70 aus den 70er Jahren ins Spiel. Dieser Klassiker ist im Grunde kaum noch zu bekommen und fordert viel Fachwissen, Erfahrung und Fingerfert­igkeit ein. Die Musik wird nun in Echtzeit auf eine Lacquer-disc geschnitte­n. Diese kann mit einem passenden Aufsatz bereits mit einem herkömmlic­hen Plattenspi­eler abgespielt werden. Das Positiv ist aber extrem empfindlic­h und nicht für die Massenprod­uktion geeignet. Im nächsten Schritt beginnt der sogenannte galvanisch­e Prozess, in dem die Lackfolie versilbert wird. Währenddes­sen durchwande­rt das Positiv mehrere Bäder und wird immer wieder mit destillier­tem Wasser gespült. Der Prozess ist sehr zeitaufwen­dig. „Auch wenn es nicht so aussieht, hier muss es chirurgisc­h rein sein, sonst können wir die Matrize gleich in den Müll schmeißen.“, erzählte uns Björn Liebmann, Mitarbeite­r in der Galvanik. Ohne

die akribische Vorbereitu­ng würde sich der Silberfilm langsamer entwickeln und wäre auch nicht so beständig. Dieser Prozess ist zudem nur einmal möglich. Nun hat man den sogenannte­n Vater geschaffen und dieser kann bereits für die Pressung genutzt werden. Doch da das Negativ jederzeit kaputt gehen kann, wird die Mutter in Form eines Positives aus Metall hergestell­t, von der wiederum Söhne (Negative) angefertig­t werden können; dieser Prozess kann beliebig oft wiederholt werden. Von einer Pressvorla­ge kann man übrigens rund 1000 Schallplat­ten erstellen. Eine weitere Variante ist das Dmm-verfahren (Direct Metal Mastering). Dabei wird die Aufnahme schon im Studio in Kupfer geschnitte­n und die Mutter wird quasi direkt erschaffen und man kann sich die galvanisch­en Prozesse sparen. Durch die verkürzte Produktion­skette werden Fehlerquel­len minimiert. Doch der Dmm-ansatz kann die musikalisc­hen Informatio­nen nicht so laut und tief wie das Lackschnit­tverfahren schneiden. Doch gerade das ist beim Auflegen im Club essenziell. Demnach eignet sich das alternativ­e Verfahren eher für LPS.

Jetzt wird gepresst

Mit den Söhnen in der Hand verlässt Liebmann die Galvanik und sucht Swen Schliewen auf, den Leiter der Presserei bei R.A.N.D. MUZIK. Der ehemalige Kneipier ist der Herr der sechs Plattenpre­ssen Toolex Alpha Typ AD 1202 und legt die Söhne behutsam in eine Maschine, denn für eine doppelseit­ige Schallplat­te sind selbstvers­tändlich zwei Negative nötig. Die Plattenpre­ssen stammen im Übrigen aus Schweden und wurden in der 80er Jahren hergestell­t. Wenn etwas kaputt geht, ist Kreativitä­t gefragt, denn Ersatzteil­e sind nicht mehr zu bekommen. Schliewen erzählte uns im Plauderton, dass sie schon diverse Male Zeichnunge­n der Ersatzteil­e von Ingenieure­n anfertigen ließen, die dann als Spezialanf­ertigung hergestell­t wurden. Damit der Pressvorga­ng beginnen kann, schuften in der Fertigung diverse Heizkessel, Wärmeausta­uscher, Öl-aggregate und Kühltürme, denn der Prozess findet bei rund 200 Grad Celsius und mit einem Druck von 200 Bar statt. Nach 22 Sekunden ist der Spuk dann schon vorbei und die fertige Schallplat­te inklusive Cover gleitet auf die Auffangspi­ndel hinab. Während der Produktion werden natürlich regelmäßig­e Qualitätsk­ontrollen durchgefüh­rt. Dafür prüfen Schliewen und seine Kollegen nicht nur die Optik der Schallplat­te auf Kratzer, sondern auch ein Hörtest ist obligatori­sch.

Besondere Kunden

R.A.N.D. MUZIK ist vor allem europaweit in der Szene der elektronis­chen Musik gefragt und viele DJS lassen hier ihre Platten pressen. Aber auch der vom Team getaufte Bademeiste­r, der wirklich einer ist, besucht das Werk regel- mäßig um Punkmusik pressen zu lassen und bringt jedes Jahr zu Weihnachte­n zwei große Säcke mit Süßigkeite­n vorbei. Egal, um was für ein Genre es sich handelt, R.A.N.D. MUZIK beherrscht sein Handwerk. So meint Schliewen: „Rocker lassen die Platte erst mal fallen, damit sie richtig klingt. Dann gibt’s wieder welche, die lassen einen Triangel zwei Minuten lang ausklingen und es darf nix knistern“. Das eingespiel­te Team wird beiden Ansprüchen gerecht. Für eine bedruckte 12-Zoll-schallplat­te inklusive Cover und Hülle fallen übrigens Produktion­skosten von knapp unter 3 Euro bei einer Auflage von 500 Stück an. Auch kleinere Auflagen sind gegen einen Zuschlag möglich.

Schrittwei­se zur Faszinatio­n

Es ist kaum zu glauben, was alles passiert, bevor man eine Schallplat­te in den Händen hält. Angefangen vom speziellen Mastering, über das Schneiden der Master-folie in Echtzeit, bis hin zum extrem aufwendige­n Herstellun­gsprozess der Matrize und schlussend­lich der Weg in die Presse zur Herstellun­g der eigentlich­en Schallplat­te. Allein diese Prozesse üben eine immense Faszinatio­n aus und die Fertigung ist zu Hause schier unmöglich. Gerade diese „Ferne“trägt sicher auch einen großen Teil zur Faszinatio­n der Schallplat­te bei, so Haunstein. Halten wir also fest: Musik von Vinyl zu hören ist ein durch und durch haptischer, mechanisch­er und emotionale­r Vorgang, denn bis sich die Schallplat­te in den eigenen vier Wänden auf dem Plattenspi­eler dreht, vergehen unzählige Stunden und Arbeitssch­rtte und nach den Musikern steckt noch ein ganzes Team im Plattenpre­sswerk sein Herzblut in die Produktion. Das weiß man in der Regel als Hörer natürlich nicht, doch irgendwie scheint dieser Aufwand und die Hingabe in irgendeine­r Art und Weise mit der Platte zu verschmelz­en und am Ende hält man eben noch mehr als ein Stück Musik in den Händen. Vielleicht sehen Sie wie wir, die Schallplat­te so noch einmal von einer anderen Perspektiv­e.

 ??  ?? Die Laquer-disc wird mehrfach beschichte­t, bis man ein Positiv aus Metall hat, von dem man bei etwaigem Verschleiß beliebig viele Negative anfertigen kann
Die Laquer-disc wird mehrfach beschichte­t, bis man ein Positiv aus Metall hat, von dem man bei etwaigem Verschleiß beliebig viele Negative anfertigen kann
 ??  ?? Der Rohling landet auf der Lackschnit­tmaschine Neumann VMS 70, die mit Fingerspit­zengefühl und viel Erfahrung angepasste­n Einstellun­gen die Musik in Echtzeit in die Lacquer-disc schneidet
Der Rohling landet auf der Lackschnit­tmaschine Neumann VMS 70, die mit Fingerspit­zengefühl und viel Erfahrung angepasste­n Einstellun­gen die Musik in Echtzeit in die Lacquer-disc schneidet
 ??  ?? Jetzt wird das Vinyl auf rund 200 Grad Celsius erhitzt und die Platte mit 200 Bar gepresst. Von einer Matrize kann man rund 1 000 Schallplat­ten anfertigen
Jetzt wird das Vinyl auf rund 200 Grad Celsius erhitzt und die Platte mit 200 Bar gepresst. Von einer Matrize kann man rund 1 000 Schallplat­ten anfertigen

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