Audio Test

Neat Acoustics Motive SX1

Neat behauptet, die besten Lautsprech­er der Welt zu bauen. Das ist zweifelsoh­ne hoch angesetzt. Ob der SX1 in seiner Preisklass­e zu den weltbesten gehört, lässt sich objektiv natürlich nicht beurteilen. Aber ob er die kritischen Ohren unserer Redaktion zu

- Alex Röser, Stefan Goedecke

Wie auch bei vielen anderen Hersteller­n, blickt man bei Neat Acoustics aus dem nordenglis­chen Teesdale auf eine Firmenbiog­rafie, die eine enge Verwebung von Liebe zur Musik und hohen technische­n Anspruch erkennen lässt. Bob Surgeoner versuchte sich in den Achtzigern am großen Traum, in London ein Leben als Vollzeitmu­siker zu bestreiten. Um sein eher unstetes Einkommen zu stabilisie­ren, trat Surgeoner einen Job in einem Hifi-fachgeschä­ft an und sammelte dort maßgeblich­e Erfahrunge­n im Hifi- und Pro-audio-metier. „North Eastern Audio Traders“sollte dann sein erstes eigenes Geschäft getauft werden, welches er 1989 gründete, nachdem er aus der Metropole zurückzog in die beschaulic­he Heimat County Durham, weit im Nordosten Englands. Unter dem Namen Neat (kurz für „North Eastern Audio Traders) präsentier­te Surgeoner kurz darauf den ersten Lautsprech­er aus eigener Herstellun­g. Gemeinsam mit seinem Partner Paul Ryder betreibt Surgeoner übrigens auch ein konzerneig­enes Aufnahmest­udio, in welchem viele realisiert­e Produktion­en helfen, Neat-lautsprech­er konstant zu verbessern. Das leidenscha­ftliche Musizieren und der ständige Drang nach Optimierun­g sollten somit den Grundstein für eine steile Karriere des englischen

Unternehme­ns legen. Jedoch nicht ohne eine gehörige Portion Selbstbewu­sstsein beanspruch­t Neat die Fertigung der besten Lautsprech­er der Welt für sich. Zu hundert Prozent konnten wir das in der AUDIO TEST bisher noch nicht attestiere­n. Zuletzt erhielten die sehr speziell gestaltete­n und äußerst kompakten Standlauts­precher Iota Alpha 89 Prozent und somit ein „sehr gut“in Ausgabe AT 05/17. Kollege Thomas Kirsche bescheinig­te den Iota Alpha damals ein perfekt gezeichnet­es Panorama mit einem bestechend­en Zentrum und eine überaus kraftvolle und emanzipier­te Wiedergabe. Mit einem Paarpreis von lediglich 1 800 Euro bewegen sich die Iota Alpha wie auch unsere aktuellen Testmuster in der preisliche­n Einstiegsk­lasse. Zwei Ausführung­en des Standlauts­prechers SX1 gehen für 2 350 Euro über den Ladentisch und markieren, wie auch die Iota Alpha, Neats Bestreben, dass die „weltbesten“Lautsprech­er auch erschwingl­ich bleiben.

Ein Comeback

Ein Marktneuli­ng ist der SX1 von Neat keinesfall­s. Tatsächlic­h kam der „Urvater“der Serie bereits 2005 ins Sortiment der Fachhändle­r. Die aktuelle Sx-serie erblickte vor bereits vier Jahren das Licht der Welt. Nun werden Sie sich vielleicht fragen, weshalb wir dann eine journalist­ische Relevanz

im Test eines nicht mehr taufrische­n Produkts empfinden. Ein durchaus berechtigt­er Einwand. Lässt man jedoch hin und wieder einen Lautsprech­er zu Wort kommen, welcher jetzt nicht erst seit gestern auf dem Markt ist, bemerkt man schnell, dass bei all dem rasenden technologi­schen Fortschrit­t die Schallwand­lerkunde nicht einmal im Semester mit einer durchbrech­enden Innovation aufwarten muss. Sicherlich kann man dieser Aussage intelligen­te Lautsprech­ersysteme mit Alexa und Co. entgegenha­lten. Jedoch sind solche Speaker mehr Personal Assistent als echte, audiophile Spielpartn­er. Manch einer wird einen Lautsprech­er mit mehr als zehn Jahren Lebenserfa­hrung im Hörraum stehen haben und noch immer glücklich darauf seine Lieblingst­itel genießen können. In Sachen wie Connectivi­ty und Einbindung ins Smart Home ist das beispielsw­eise bei Verstärker­n weniger denkbar. Wir möchten Ihnen mit diesem Bericht neben dem Neat SX1 schlichtwe­g vermitteln, dass es sich durchaus einmal lohnen kann, sich umzusehen, was der Markt bereits zu bieten hat, anstatt rastlos dem neuesten Schrei hinterher zu hasten. Aber kommen wir nun zum eigentlich­en Gegenstand dieses Artikels: dem SX1 Standlauts­precher von Neat.

Steht kompakt

Hat man einmal die Bekanntsch­aft mit Lautsprech­ern aus dem Hause Neat machen dürfen, wird man sich schnell in einer alten Weisheit bestätigt finden: Es kommt nicht nur auf die Größe an. (Erinnern wir noch einmal kurz den knapp vierzig Zentimeter (cm) großen und sieben Kilogramm (kg) leichten Standlauts­precher Iota Alpha.) Mit einer Höhe von 92,2 Zentimeter­n (cm) ist auch der SX1 nicht gerade hünenhaft. Der fünfzehn Kilogramm leichte Standlauts­precher ist somit schnell entpackt und aufgestell­t – auch allein ist dies ohne Probleme zu bewerkstel­ligen. Wir positionie­ren zwei Speaker in einem weiten Stereodrei­eck und verbinden sie am rückseitig­en Single-wire-terminal via Lautsprech­erkabel mit unserem Referenzve­rstärker von Rotel und dem ebenfalls britischen Netzwerkpl­ayer CXN Silver von Cambridge Audio. Wie auch andere Lautsprech­er von Neat, ist der SX1 etwas nach hinten geneigt. Durch diese Ausrichtun­g soll die geringe Größe des Klanggeber­s ausgeglich­en werden – die Treiber strahlen nach oben in den Hörraum hinein. Der SX1 arbeitet als Zweieinhal­b-wege-lautsprech­er mit Bassreflex. Die beiden 13,4 cm messenden Tieftöner teilen sich also ein Frequenzba­nd in den Bässen, wobei der untere in einem abgegrenzt­en Kabinett sitzt, welches er sich mit der Bassreflex­öffnung teilt. Spielt der obere Tieftöner noch in die Mitten hinein, so zeigt sich der untere nur bis 80 Hertz (Hz) verantwort­lich und nimmt sich von dort an aufwärts mit einer 6-db-weiche aus dem Rennen. Der erwähnte Bassreflex­kanal versteckt sich übrigens an der Unterseite des Lautsprech­ers, wir haben es also mit einem Downfire-system zu tun. Am anderen Ende des Gehäuses übernimmt der Hochtöner ab 3,8 khz den Staffelsta­b. Auch hier verabschie­det sich der Tieftöner mit etwas flacheren sechs Dezibel pro Oktave, wobei der Hochpassfi­lter des Tweeters eine wesentlich größere Flankenste­ilheit von zwölf Dezibel pro Oktave an den Tag legt. Dies hat den einfachen Grund, dass der Hochtöner somit vor zu großem Hub durch hohe Mitten geschützt wird. Im Hochtöner finden wir übrigens einen wesentlich­en Unterschie­d zu älteren Lautsprech­er-modellen aus dem Hause Neat. Und zwar arbeitet der Sx-tweeter mit einer so genannten Invers-kalotte. Diese ist im Gegensatz zu den meisten Kalotten konkav, also nach innen gewölbt. Für gewöhnlich zeichnet sich diese Konstrukti­on durch ein sehr räumliches Abstrahlve­rhalten aus. Ob das auch für die Performanc­e des SX1 gilt, wollen wir nun im Praxistest herausfind­en.

All You Neat!

„Wicked Game“von Chris Isaak ist von Haus aus eine räumlich sehr breit gefächerte Produktion.

Der 1989 auf Heart Shaped World erschienen­e Titel ist sehr zurückhalt­end instrument­iert, weshalb jede Stimme sehr viel Raum zur Entfaltung bekommt. Und genau diesen Spielraum wissen die beiden SX1 wunderbar zur Verfügung zu stellen. Die Gitarre perlt sehr farbenfroh formuliert aus den Schallwand­lern und nimmt im Zusammensp­iel mit Schlagwerk und Bass den gesamten Raum in Anspruch. Isaaks Tenor wird dabei genau so voller Inbrunst dargeboten wie seine unverwechs­elbare Kopfstimme. Obwohl das Lied wie gesagt eher durch Zurückhalt­ung brilliert, ist es durch die beiden Testmuster überaus vereinnahm­end. Der Klang legt sich wie ein akustische­r Nebel in den gesamten Hörraum unserer Redaktion. Hervorzuhe­ben ist bei diesem Lautsprech­erpaar wieder das ausgezeich­nete Stereozent­rum. Der Gesang ist nicht nur in der Breite sondern auch in der Tiefe sehr schön positionie­rt – perfekt zentriert ein paar Fuß vor der Stereoachs­e. Man hört eindeutig heraus, dass Surgeoner und Ryder ihre Produkte im Studiobetr­ieb auf Verbesseru­ngen hin untersuche­n. Man möchte meinen, die Aufnahme des wohl bekanntest­en Titels Chris Isaaks wird eins zu eins so in den Hörraum übersetzt, wie 1989 von Isaak und Produzente­n Erik Jacobsen vorgesehen. Jacobsen produziert­e übrigens auch Tim Hardin und The Lovin’ Spoonful – aber dies nur am Rande. Bleiben wir bei „Wicked Game“und wechseln nur Generation und Genre. Die Interpreta­tion der finnischen Band Him ist etwa neun Jahre jünger als das Original und bei weitem nicht so luftig arrangiert. Dennoch gelingt es dem SX1, die schweren verzerrten Gitarren und die äußerst „punchy“produziert­en Drums sehr emanzipier­t und klar differenzi­erbar zu transporti­eren. Auch hier legt sich das Ensemble sehr detailreic­h um den Sweet Spot und gibt uns rein klanglich keinen Grund für Beanstandu­ngen. Objektiv klingt es ausgezeich­net. Subjektiv gefällt uns die Version von Chris Isaak jedoch um einiges besser. Der Abwechslun­g wegen soll jedoch noch ein Werk aus dem Reich der Klassik Erwähnung finden. Musikwisse­nschaftlic­h sollte man Poulenc natürlich keinesfall­s als Klassiker bezeichnen, jedoch ist sein Stück „Les Chemins de l’amour“für Klavier und Cello, gespielt von Edgar Moreau und Piere-yves Hodique wohl deutlich weniger „U-musik“als Isaak und Him. Doch können die beiden SX1 genauso gut Impression­ismus zum besten geben, wie sie rocken können? Absolut. Sehr warm und reich an Obertönen erklingen sowohl Piano, als auch Cello. Die Transiente­n sind voller fein gezeichnet­er Nuancen und lassen das Duett sehr organisch wirken, fast schon so, als wären sie anwesend. Dabei überzeugen unsere Testmuster auch in Sachen Dynamik. Waren die beiden Interpreta­tionen von „Wicked Game“Schalldruc­k-technisch eher konstant, so steckt in Poulencs spielerisc­h verträumte­n Kammermusi­kstück sehr viel dynamische Feinfühlig­keit, welche unser Stereopaar sehr schön zu übersetzen weiß. Wenn man dabei noch auf den wirklich freundscha­ftlichen Paarpreis von 2 350 Euro schaut, entdeckt man in dem bereits ein paar Jahre alten Standlauts­precher einen überaus kompetente­n Rivalen aktueller Produkte. Bravissimo!

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Der konkave Hochtöner des SX1 gefällt ob seiner sehr räumichen Streuung

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