Dr. Ton
Kennen Sie das? Sie kommen in eine andere Wohnung und Ihnen fällt zuerst auf, dass die Lautsprecher für eine Stereowiedergabe falsch stehen? Nein? Dann ist dieser Dr. Ton für Sie perfekt. Frei nach dem Motto „Back to Basics“widmen wir uns der Stereofonie.
Obwohl Lautsprecher-stereophonie wohl immer noch die am weitesten verbreitete Art ist, Musik oder Audiomaterial im Allgemeinen zu konsumieren, findet sich bei erschreckend wenigen Menschen ein fundiertes Grundverständnis, der ihr zugrunde liegenden Prinzipien. Höchste Zeit also, hier etwas akustische Aufklärung zu betrieben. Aber davor ist erst mal Begriffsklärung angesagt. Denn wenn man von Stereophonie spricht, können damit sowohl Aufnahmetechniken, also bestimmte Arten der Mikrofonierung, als auch bestimmte Arten der Wiedergabe von Schallereignissen gemeint sein. Gemein ist beidem, dass es darum geht, Schallereignisse so abzubilden, dass im Gegensatz zur Monophonie beim Rezipienten ein räumlicher Höreindruck entsteht. Aber da wir das Thema Recording im Normalfall lieber den entsprechend betitelten Fachmagazinen überlassen, soll es hier natürlich, um die stereofone Wiedergabe gehen. Sprich wir befassen uns mit der schon eingangs erwähnten Stereofonie mittels Lautsprechern. Diese Technik arbeitet, wie vielleicht bekannt ist, mit mindestens zwei Lautsprechern um den gewünschten räumlichen Höreindruck zu erzielen. Und ja, das mindestens stimmt so. Auch die Wiedergabe mit mehr als zwei Schallquellen und der entsprechenden Anzahl an Kanälen wird in der gängigen Literatur dem Begriff der Stereofonie untergeordnet. Im Folgenden soll es aber zum einfacheren Verständnis wirklich nur um Zweikanalstereofonie gehen. In jedem Fall unterscheidet sich das ganze grundsätzlich davon, wie Menschen es eigentlich gewohnt sind zu hören. Denn beim, wenn man so will, natürlichen Hören korreliert die Wahrnehmung, auch das Hörereignis genannt, immer mit dem verursachenden physikalischen Phänomen, dem Schallereignis. Die Lokalisation der Schallquelle bezüglich Richtung und Entfernung funktioniert hier sowohl über Laufzeit- und Pegelunterschiede zwischen beiden Ohren und den erlernten Frequenzabschottungen und -überlagerungen, die durch die Ohrmuscheln und die umliegenden Körperteile verursacht werden.
Phantomschallquellen
Bei der Stereofonie hingegen kommen de facto zwei getrennte Schallquellen, nämlich die verwendeten Lautsprecher zum Einsatz. Die Frage, die sich hier stellt ist, wieso dann – wie wir alle aus eigener Erfahrung wissen – nicht schlichtweg zwei getrennte
Schallquellen lokalisiert werden? Dazu müssen wir zunächst die Standard-konfiguration der beiden Lautsprecher in Relation zum Hörer betrachten, da diese als Grundnahme für die folgenden Betrachtungen zu verstehen ist. In dieser Standard-aufstellung bilden die beiden Lautsprecher und der Hörer idealerweise ein gleichschenkliges Dreieck, wobei die Lautsprecher um jeweils 30 Grad zur Mitte der Basis des Drei- ecks und somit zum Hörer eingedreht sind. Die Basis ist dabei gleichzusetzen mit der Strecke zwischen den Lautsprechern. Gibt man nun in diesem Szenario ein jeweils identisches Signal auf den linken und rechten Lautsprecher, so werden vom Hörer nicht zwei Schallquellen an den Standorten der Lautsprecher lokalisiert, sondern eine fiktive Schallquelle in der Mitte der Basis des Stereodreiecks. Dieses Phänomen nennt man auch eine Phantomschallquelle. Hörereignis und Schallquelle stimmen hier nicht mehr überein. Was hier passiert ist, dass sich die Signale beider Lautsprecher anteilig an den Ohren des Hörers überlagern. Wieso genau diese Überlagerung zwei identischer Signale in der Wahrnehmung einer fiktiven Schallquelle endet, ist bis heute nicht genau geklärt. In der Psychoakustik spricht man von Summenlokalisation. Soweit so
gut, mag die Eine oder der Andere jetzt denken, aber das könnte auch eine monophone Wiedergabe leisten. Doch weit gefehlt. Denn diese Phantomschallquelle kann unter den richtigen Voraussetzungen an jedem Punkt der Basis des Stereodreiecks lokalisiert werden.
Intensitätsstereofonie
Wie bereits erwähnt, lokalisiert das menschliche Gehör Schallquellen unter anderem über Pegel- und Laufzeitdifferenzen. In unserem vorherigen Beispiel sind die Signale aus beiden Lautsprechern identisch, was logischerweise auch bedeutet, dass sie den gleichen Pegel haben. Bleiben die Signale gleich hinsichtlich ihrer Phase, weisen aber eine Pegeldifferenz auf, so wandert die Phantomschallquelle aus der Mitte der Basis in Richtung des Lautsprechers, aus dem das Signal mit dem höheren Pegel erklingt. Hierbei ist schon bei der relativ geringen Pegeldifferenz von 3 Dezibel (db) eine Auslenkung der Phantomschallquelle um 25 Prozent wahrnehmbar. Von dort an steigt die prozentuale Auslenkung aus der Mitte mit dem Pegel weiter an. Es ist sinnvoll hier mit Prozenten zu arbeiten zumal die tatsächliche Auslenkung von der Breite der Basis des Stereodreiecks abhängt. Die maximale Auslenkung im Stereopanorama, also ganz auf den linken oder rechten Lautsprecher, wird bei einer Pegeldifferenz von 18 db erreicht. Manchmal taucht in diesem Kontext auch der Begriff der Interchannel-pegeldifferenz auf. Diese entspricht nicht der interauralen Pegeldifferenz, oder ILD. Letztere bezeichnet die Pegelunterschied zwischen den beiden Ohren des Hörers beim natürlichen Hören und würde für die Lokalisierung einer Schallquelle, äquivalent zu einer beliebige Auslenkung in unserem Beispiel, einen vielfach geringeren Wert annehmen.
Laufzeitstereofonie
Die Auslenkung der Phantomschallquelle lässt sich in unserem Beispiel jedoch genauso ausschließlich durch Unterschiede in der Laufzeit zwischen den Kanälen realisieren. In diesem Fall findet die Auslenkung der Phantomschallquelle immer in Richtung des früher eintreffenden Signals statt. Beispielsweise löst schon eine kleine Verzögerung des rechten Kanals um 0,23 ms eine Auslenkung um 25 Prozent in Richtung des linken Lautsprechers aus. Eine volle Auslenkung wird bei einer Laufzeitdifferenz von 1,5 ms erreicht.
Äquivalenzstereofonie
Wichtig ist es daran zu erinnern, dass in den bisherigen Szenarien exklusiv Pegel- oder Laufzeitunterschiede zwischen den Signalen bestanden. Weisen die Kanäle hingegen sowohl Pegel- als auch Laufzeitdifferenzen auf, welche eine Auslenkung in die gleiche Richtung hervorrufen, dann spricht man auch von Äquivalenzstereofonie. Zum Glück gestaltet sich die Vorhersagbarkeit der letztlichen Auslenkung in solchen Fällen unerwartet einfach. Dazu gilt es lediglich die prozentualen Auslenkungen, die die Pegel- und die Laufzeitdifferenz separat verursachen würden, zu addieren. Wenn also zum Beispiel das Signal im linken Kanal eine 6,5 db höheren Pegel aufweist und zusätzlich noch 0,23 ms früher eintrifft als das Signal des rechten Kanals, so resultiert daraus eine Auslenkung von 75 Prozent nach links. Simpel genug, oder?
Hier fehlt doch der Tiefgang!
Findige Leser werden jetzt natürlich bemerkt haben, dass wir uns bisher ausschließlich mit der Verteilung von Phantomschallquellen auf der Ebene zwischen den Lautsprechern beschäftigt haben. Für einen wirklich räumlichen Eindruck wäre natürlich noch das Entstehen der Empfindung von Nähe und Distanz bei der Stereophonie interessant. Dazu muss man jedoch sagen, dass die Zweikanalstereofonie leider konzeptionell bedingt nicht gerade als Experte für die Verteilung von Schallquellen in dieser Hinsicht zu sehen ist. Ein Surround-system kann hier ungleich bessere Ergebnisse liefern. Dennoch existiert selbstverständlich auch bei zwei Kanälen eine Tiefenstaffelung. Aber die Erläuterung der hier eingesetzten Techniken der Equalisierung und künstlichen Erzeugung von Hallräumen würde schlicht den verfügbaren Umfang dieses Artikels sprengen. Aber nichtsdestotrotz können Sie ab jetzt auch mitreden, wenn Ihre Mitmenschen Ihre Lautsprecher zu Hause nicht richtig aufstellen. Alles Weitere dann im nächsten Dr. Ton.