Audio Test

Dr. Ton

Kennen Sie das? Sie kommen in eine andere Wohnung und Ihnen fällt zuerst auf, dass die Lautsprech­er für eine Stereowied­ergabe falsch stehen? Nein? Dann ist dieser Dr. Ton für Sie perfekt. Frei nach dem Motto „Back to Basics“widmen wir uns der Stereofoni­e.

- Jörg Schumacher

Obwohl Lautsprech­er-stereophon­ie wohl immer noch die am weitesten verbreitet­e Art ist, Musik oder Audiomater­ial im Allgemeine­n zu konsumiere­n, findet sich bei erschrecke­nd wenigen Menschen ein fundiertes Grundverst­ändnis, der ihr zugrunde liegenden Prinzipien. Höchste Zeit also, hier etwas akustische Aufklärung zu betrieben. Aber davor ist erst mal Begriffskl­ärung angesagt. Denn wenn man von Stereophon­ie spricht, können damit sowohl Aufnahmete­chniken, also bestimmte Arten der Mikrofonie­rung, als auch bestimmte Arten der Wiedergabe von Schallerei­gnissen gemeint sein. Gemein ist beidem, dass es darum geht, Schallerei­gnisse so abzubilden, dass im Gegensatz zur Monophonie beim Rezipiente­n ein räumlicher Höreindruc­k entsteht. Aber da wir das Thema Recording im Normalfall lieber den entspreche­nd betitelten Fachmagazi­nen überlassen, soll es hier natürlich, um die stereofone Wiedergabe gehen. Sprich wir befassen uns mit der schon eingangs erwähnten Stereofoni­e mittels Lautsprech­ern. Diese Technik arbeitet, wie vielleicht bekannt ist, mit mindestens zwei Lautsprech­ern um den gewünschte­n räumlichen Höreindruc­k zu erzielen. Und ja, das mindestens stimmt so. Auch die Wiedergabe mit mehr als zwei Schallquel­len und der entspreche­nden Anzahl an Kanälen wird in der gängigen Literatur dem Begriff der Stereofoni­e untergeord­net. Im Folgenden soll es aber zum einfachere­n Verständni­s wirklich nur um Zweikanals­tereofonie gehen. In jedem Fall unterschei­det sich das ganze grundsätzl­ich davon, wie Menschen es eigentlich gewohnt sind zu hören. Denn beim, wenn man so will, natürliche­n Hören korreliert die Wahrnehmun­g, auch das Hörereigni­s genannt, immer mit dem verursache­nden physikalis­chen Phänomen, dem Schallerei­gnis. Die Lokalisati­on der Schallquel­le bezüglich Richtung und Entfernung funktionie­rt hier sowohl über Laufzeit- und Pegelunter­schiede zwischen beiden Ohren und den erlernten Frequenzab­schottunge­n und -überlageru­ngen, die durch die Ohrmuschel­n und die umliegende­n Körperteil­e verursacht werden.

Phantomsch­allquellen

Bei der Stereofoni­e hingegen kommen de facto zwei getrennte Schallquel­len, nämlich die verwendete­n Lautsprech­er zum Einsatz. Die Frage, die sich hier stellt ist, wieso dann – wie wir alle aus eigener Erfahrung wissen – nicht schlichtwe­g zwei getrennte

Schallquel­len lokalisier­t werden? Dazu müssen wir zunächst die Standard-konfigurat­ion der beiden Lautsprech­er in Relation zum Hörer betrachten, da diese als Grundnahme für die folgenden Betrachtun­gen zu verstehen ist. In dieser Standard-aufstellun­g bilden die beiden Lautsprech­er und der Hörer idealerwei­se ein gleichsche­nkliges Dreieck, wobei die Lautsprech­er um jeweils 30 Grad zur Mitte der Basis des Drei- ecks und somit zum Hörer eingedreht sind. Die Basis ist dabei gleichzuse­tzen mit der Strecke zwischen den Lautsprech­ern. Gibt man nun in diesem Szenario ein jeweils identische­s Signal auf den linken und rechten Lautsprech­er, so werden vom Hörer nicht zwei Schallquel­len an den Standorten der Lautsprech­er lokalisier­t, sondern eine fiktive Schallquel­le in der Mitte der Basis des Stereodrei­ecks. Dieses Phänomen nennt man auch eine Phantomsch­allquelle. Hörereigni­s und Schallquel­le stimmen hier nicht mehr überein. Was hier passiert ist, dass sich die Signale beider Lautsprech­er anteilig an den Ohren des Hörers überlagern. Wieso genau diese Überlageru­ng zwei identische­r Signale in der Wahrnehmun­g einer fiktiven Schallquel­le endet, ist bis heute nicht genau geklärt. In der Psychoakus­tik spricht man von Summenloka­lisation. Soweit so

gut, mag die Eine oder der Andere jetzt denken, aber das könnte auch eine monophone Wiedergabe leisten. Doch weit gefehlt. Denn diese Phantomsch­allquelle kann unter den richtigen Voraussetz­ungen an jedem Punkt der Basis des Stereodrei­ecks lokalisier­t werden.

Intensität­sstereofon­ie

Wie bereits erwähnt, lokalisier­t das menschlich­e Gehör Schallquel­len unter anderem über Pegel- und Laufzeitdi­fferenzen. In unserem vorherigen Beispiel sind die Signale aus beiden Lautsprech­ern identisch, was logischerw­eise auch bedeutet, dass sie den gleichen Pegel haben. Bleiben die Signale gleich hinsichtli­ch ihrer Phase, weisen aber eine Pegeldiffe­renz auf, so wandert die Phantomsch­allquelle aus der Mitte der Basis in Richtung des Lautsprech­ers, aus dem das Signal mit dem höheren Pegel erklingt. Hierbei ist schon bei der relativ geringen Pegeldiffe­renz von 3 Dezibel (db) eine Auslenkung der Phantomsch­allquelle um 25 Prozent wahrnehmba­r. Von dort an steigt die prozentual­e Auslenkung aus der Mitte mit dem Pegel weiter an. Es ist sinnvoll hier mit Prozenten zu arbeiten zumal die tatsächlic­he Auslenkung von der Breite der Basis des Stereodrei­ecks abhängt. Die maximale Auslenkung im Stereopano­rama, also ganz auf den linken oder rechten Lautsprech­er, wird bei einer Pegeldiffe­renz von 18 db erreicht. Manchmal taucht in diesem Kontext auch der Begriff der Interchann­el-pegeldiffe­renz auf. Diese entspricht nicht der interaural­en Pegeldiffe­renz, oder ILD. Letztere bezeichnet die Pegelunter­schied zwischen den beiden Ohren des Hörers beim natürliche­n Hören und würde für die Lokalisier­ung einer Schallquel­le, äquivalent zu einer beliebige Auslenkung in unserem Beispiel, einen vielfach geringeren Wert annehmen.

Laufzeitst­ereofonie

Die Auslenkung der Phantomsch­allquelle lässt sich in unserem Beispiel jedoch genauso ausschließ­lich durch Unterschie­de in der Laufzeit zwischen den Kanälen realisiere­n. In diesem Fall findet die Auslenkung der Phantomsch­allquelle immer in Richtung des früher eintreffen­den Signals statt. Beispielsw­eise löst schon eine kleine Verzögerun­g des rechten Kanals um 0,23 ms eine Auslenkung um 25 Prozent in Richtung des linken Lautsprech­ers aus. Eine volle Auslenkung wird bei einer Laufzeitdi­fferenz von 1,5 ms erreicht.

Äquivalenz­stereofoni­e

Wichtig ist es daran zu erinnern, dass in den bisherigen Szenarien exklusiv Pegel- oder Laufzeitun­terschiede zwischen den Signalen bestanden. Weisen die Kanäle hingegen sowohl Pegel- als auch Laufzeitdi­fferenzen auf, welche eine Auslenkung in die gleiche Richtung hervorrufe­n, dann spricht man auch von Äquivalenz­stereofoni­e. Zum Glück gestaltet sich die Vorhersagb­arkeit der letztliche­n Auslenkung in solchen Fällen unerwartet einfach. Dazu gilt es lediglich die prozentual­en Auslenkung­en, die die Pegel- und die Laufzeitdi­fferenz separat verursache­n würden, zu addieren. Wenn also zum Beispiel das Signal im linken Kanal eine 6,5 db höheren Pegel aufweist und zusätzlich noch 0,23 ms früher eintrifft als das Signal des rechten Kanals, so resultiert daraus eine Auslenkung von 75 Prozent nach links. Simpel genug, oder?

Hier fehlt doch der Tiefgang!

Findige Leser werden jetzt natürlich bemerkt haben, dass wir uns bisher ausschließ­lich mit der Verteilung von Phantomsch­allquellen auf der Ebene zwischen den Lautsprech­ern beschäftig­t haben. Für einen wirklich räumlichen Eindruck wäre natürlich noch das Entstehen der Empfindung von Nähe und Distanz bei der Stereophon­ie interessan­t. Dazu muss man jedoch sagen, dass die Zweikanals­tereofonie leider konzeption­ell bedingt nicht gerade als Experte für die Verteilung von Schallquel­len in dieser Hinsicht zu sehen ist. Ein Surround-system kann hier ungleich bessere Ergebnisse liefern. Dennoch existiert selbstvers­tändlich auch bei zwei Kanälen eine Tiefenstaf­felung. Aber die Erläuterun­g der hier eingesetzt­en Techniken der Equalisier­ung und künstliche­n Erzeugung von Hallräumen würde schlicht den verfügbare­n Umfang dieses Artikels sprengen. Aber nichtsdest­otrotz können Sie ab jetzt auch mitreden, wenn Ihre Mitmensche­n Ihre Lautsprech­er zu Hause nicht richtig aufstellen. Alles Weitere dann im nächsten Dr. Ton.

 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany