OSCARVERDÄCHTIG
Seriösität, Stabilität, Solidität im Verstärkerbau haben einen Namen: Accuphase. Klar gibt es andere gute Transistor-Amps. Doch wenn die Japaner Neuheiten präsentieren, stammt der mächtigste Gegner meist aus dem eigenen Stall. Das gilt auch für den Vollve
Der brandneue Vollverstärker Accuphase E-270 lieferte eine beeindruckende Performance in Hörraum und Labor
Normalerweise stolzieren sie Ende Februar auf dem Teppich vor dem Dolby Theatre in Los Angeles: die Stars und Sternchen der internationalen Filmbranche. Dieses Jahr findet die alljährliche Oscar-Verleihung für wahre und vermeintliche Bestleistungen im Kintopp voraussichtlich erst am 4. März statt, da sich vorher noch noch die olympischen Wintersportler Skihänge und Eiskanäle hinabstürzen müssen. Bis ungefähr dahin weiß AUDIO aber schon sicher, welche Geräte diesmal bei unserer Leserwahl das „Goldene Ohr“ gewonnen haben. Während der Test- Jahrgang 2017 noch der Auszählung zum Oscar der High Fidelity harrte, lief sich bereits ein ganz heißer Kandidat für dieses Jahr in Messlabor und Hörraum warm: der neue Vollverstärker E-270 der japanischen Nobelschmiede Accuphase. Accuphase, gegründet am 1. Juni 1972, und AUDIO, vom Stapel gelaufen mit der Ausgabe 1/ 78, verbindet eine über 40- jährige gemeinsame Geschichte. Der deutsche Vertrieb P.I. A. zählte von Beginn an zu den zuverlässigsten wie kritikfreudigsten Part-
nern des Blattes, und die von ihm betreuten Geräte mit gleicher Zuverlässigkeit zu den Highlights im Testbetrieb. Auch wenn es sich um den kleinsten Vollverstärker im Luxus- Lineup der Perfektionisten aus Yokohama handelte.
TECHNISCHE FEINARBEIT
Dementsprechend hoch war die Erwartungshaltung gegenüber dem E-270. Und auch die Skepsis: Was würde denn der mit knapp 5000 Euro in der Grundausstattung gleichteure Nachfolger besser machen können als der E-260 in AUDIO 2/13? Das ist die Krux bei Accuphase: Jede Gerätegeneration setzt Maßstäbe, die die nächste erst einmal übertreffen muss. Was trotz langer Produktzyklen gar nicht so einfach ist. Aber mit intensiver Feinarbeit versucht wird. Etwa am „Accuphase Analog Vari- gain Amplifier“, kurz AAVA. In jedem Vorverstärker bereitet die Lautstärkeregelung den Entwicklern Kopfzerbrechen, bildet sie doch für das Mu-
siksignal eine Art Nadelöhr, das ihm Dynamik nehmen, Rauschen zufügen, die Phase verschieben oder den Kanalgleichlauf versauen kann. Vom Horror antiker, simpler Kohleschichtschleifer hat sich das High- End inzwischen weit entfernt, doch der Weg von Accuphase ist besonders clever – und rein analog. Statt der Signalspannung mehr oder weniger viel Widerstand in den Weg zu legen oder ihr digital bestimmte Abschwächungen oder Verstärkungen zuzuschreiben, wandelt die aufwendige AAVA (siehe unten) sie erst einmal in einen Strom um, bestimmt dann mithilfe von 16 Stromschaltern den Verstärkungsfaktor und setzt schließlich den Strom wieder in eine Spannung um. Die mit Festwertwiderständen arbeitende Schaltung kennt keine Nicht- Linearitäten, keine Kanalungleichbehandlung, keine Laufzeitunterschiede und praktisch keine Verzerrungen. Diese Präzisionsmaschinerie ermöglicht unter anderem die neben den schön
illuminierten VU- Metern auch numerische Leistungsanzeige auf der champagnergüldenen, jetzt etwas abgesetzten und mit reichlich Schaltern bestückten Front. Aber auch eine analog- präzise Haptik am Lautstärkeregler, an den man trotz der schicken Metall- Fernbedienung gerne Hand anlegt. Schade, dass man bei Hochpegelquellen meist weniger als die Hälfte des Drehwegs überhaupt bis zur Vollaussteuerung nutzen kann.
KLANGLICHE FEINARBEIT
Unabhängig von der Abhörlautstärke entwickelt der E-270 schließlich eine unmittelbar fesselnde Liebe zum musikalischen Detail. Nur zu gerne nutzte der Autor ihn als Abhör-Verstärker aller analogen und digitalen Tonträger, die er in dieser Ausgabe zu rezensieren hatte – nicht wenige, wie der Musikteil zeigt. Denn erstens steckte in dem einen, zusätzlich geschirmten Optionsschacht (siehe großes Bild Seite 21 oben rechts) mit dem AD- 30 eine hauseigene Phonoplatine, die speziell bei MC ihresgleichen sucht in Bezug auf Feinauflösung und Dynamik. Zweitens vermittelte der „kleine“Accuphase an dynamischen wie elektrostatischen Lautsprechern eine Souveränität der Wiedergabe, dass man wesentlich teuere Vor- End- Kombis am Werke wähnte. Und drittens gab auch der Kopfhörerausgang um Welten mehr an Power und Durchzeichnung her als die üblichen 08/15- Headphone- Amps billigerer Vollverstärker. Viertens und eigentlich ganz vorne steht die ermüdungsfreie Langzeittauglichkeit. Und das heißt nicht schlappschwänzige Sanftmut. Im Gegenteil, den Thrash Metal von Metallica drosch der Japaner ganz schön vehement aus den Membranen. Großorchestrale Fortissimo- Attacken formte er tatsächlich zu musikalischem Donner und Doria, ein heftig geschlagenes Crashbecken zuckte wie ein Blitz aus dem Geschehen. Doch das alles mit einer ansatzlosen Unangestrengtheit, die einem schon mal die Nackenhaare aufstellte. Die blieben vollkommen in Habacht, wenn der Accuphase Stimmen zelebrierte. Ob klassisch oder folkloristisch, ob männlich oder weiblich, ob glockenhell oder brüllend intensiv: Alle kamen zu ihrem klanglichen Recht, alle wurden feinstmöglich und hochintensiv modelliert. Das vor allem konnte der neue Accuphase E-270 noch besser als sein Vorgänger. Weshalb ihm AUDIO nur zu gerne den roten Teppich ausrollt.