Test Bowers & Wilkins 740 S2
Der Beweis: Eine Standbox muss nicht groß sein, um groß zu klingen
Lassen Sie uns über Liebe sprechen; auch wir sind zu diesem Gefühl fähig. Regelmäßig verlieben wir uns in außergewöhnliche Lautsprecher. Hier ist wieder so ein Modell. Die 704 S2 von Bowers & Wilkins verfügt über eine enorme innere wie äußere Schönheit. Sie ist ein schlanker Standlautsprecher, der im Wohnraum nicht aufträgt. Die Verarbeitung ist perfekt. Allein für den Wohnwert wären schon 2400 Euro angemessen. Dazu die inneren Werte: Vieles stammt zum Beispiel aus der wesentlich teureren 800erSerie. So etwa der Mitteltöner aus Continuum, das ist das höchste Augenund Ohrenmerk. B&W hat dem Kevlar abgeschworen und für sich das Geflecht aus der Aramid- Faser entdeckt. Es geht den britischen Ingenieuren um optimierte und kontrollierte Nachgiebigkeit. Auch ist der Zinkkorb der Vorgängerserie entschwunden. Jetzt wird die Membran von einem Aluminiumkorb gehalten, der in Sachen Steifigkeit die deutlich besseren Werte mitbringt. Zudem ist der Korb mit einem „Tuned Mass Damper” ausgestattet, der letzte Resonanzreste in der Korbstruktur absorbieren soll.
MODERNSTES PAPIER
Auch in der Höhe kommt neueste B&WTechnologie zum Einsatz. Der sogenannte Carbon Dome besteht aus zwei Teilen: Im vorderen Bereich schwingt eine 30 Micron dünne Aluminiumkalotte, die B&W mit Kohlenstoff beschichtet. Als Verstärkung legen die Ingenieure noch einen 300 Micron dünnen Karbonring dahinter. Als Ziel soll eine besonders leichte, aber zugleich steife Konstruktion zum Schwingen gebracht werden. Interessant auch der Weg bei den Basslieferanten: Hier hat B&W abermals die Membran ausgetauscht. Statt des alten Karbongewebes gibt es nun klassisches Papier, veredelt im Kompositverfahren. Der Gedanke an einen technologischen Rückschritt liegt nahe, doch sollten wir die akustischen Eigenschaften des Papiers nicht unterschätzen. Hier wurde mit computerbasierten Modellierungstechniken gearbeitet. Die Bassmembran ist unterschiedlich stark, je nach idealem
Schwingungsverhältnis. Eigentlich egal, wir vermissen das Karbon nicht – diese Papierwandler sind fast so etwas wie der Wegbereiter der Moderne.
GEWALTIGE WUCHT
Gerade in der Tiefe liegt die Kraft des Klangs. Die 704 S2 vermag einen wuchtigen und ebenso knorrig tiefen Bass zu stemmen. Als Testmusik haben wir das Requiem von Giuseppe Verdi aufgelegt, in der Luxuseinspielung des Chicago Symphony Orchestra unter Georg Solti. Im „Dies Irae“bricht der Jüngste Tag an – mit der tiefen, Großen Trommel auf unbetontem Taktteil. Schreckenseinflößender kann Musik kaum sein. Vor allem in dieser Aufnahme, in der die Große Trommel eine gewaltige Wucht entfacht. Manch anderer, gleichfalls kompakter Standlautsprecher würde tot nach hinten umfallen, doch die 704 S2 hielt Stand. Das war wirklich eine dramatisch große Bassausbeute für die Bauform. Über mangelnde Tiefenpräsenz wird sich hier niemand beschweren können. Was gleich danach auffiel, war dieses gewaltige Panorama: Der Chor des Requiems wuchs deutlich über die Front der Lautsprecher hinaus. Das war ein gewaltiges, hochpräzises Klangbild, das die 704 S2 da entwarf. Das hätte man so nur einer weit baugrößeren Standbox zugetraut. Schummelt die 704 S2 etwa? Nein. Zwei Dinge sprechen dagegen. Erstens würden wir uns nicht so leicht über den Tisch ziehen lassen, und zweitens sind die Messergebnisse aus unserem Labor eindeutig. Dieser Lautsprecher bereitet einfach Freude; nicht nur sein Panorama gefällt, auch die Präsenz von Einzelerlebnissen ist eine Wucht. Etwa Bob Dylans Singstimme auf seinem Album „Triplicate“. Was dieser Mann an der 704 S2 für eine Präsenz hatte – das war wunderbar. Alles schien diesem Lautsprecher leicht zu fallen. Wenn die Elektronik davor das richtige Tempo aufbringt. So erschien auch Bob Dylan weit vor der Lautsprecherachse. Das hatte eine Gegenwart, als würde der Meister wenige Zentimeter vor uns direkt zu uns sprechen. Magisch fast. Zudem scheint die 704 S2 keine Grenzen zu kennen. Wir haben legendäre Auf-
DAS CEMBALO KLANG ULTRAPRÄZISE UND NIE SCHARF
nahmen der Klaviermusik von Johann Sebastian Bach aufgelegt. Zuzana Ružicková sitzt an den Tasten eines Cembalos, sie war die Großmeisterin dieses Genres. Erst kürzlich sind ihre sämtlichen Bach-Aufnahmen bei Erato erschienen – inklusive eines Downloads in 24 Bit und 96 Kilohertz. Das ist ein Kosmos des Besonderen. Es klingt grandios.
EIN TRAUM IN 24/ 96
Wenn denn der Lautsprecher mitspielt. Er muss die schnellen Impulse der angerissenen Saiten können, zudem die feine Körperlichkeit eines Cembalos. Die 704 S2 herrschte über diese Vorraussetzungen wie eine Königin. Das war ultrapräzise und nie scharf. Die 24/ 96er Aufnahme ist ein Traum, und die 704 S2 war ihr mehr als nur gewachsen. Herrlich, wie schnell das Saitenspiel das Ohr erreichte, stattlich dazu der Korpus, den die 704 S2 dem Cembalo angedeihen ließ. In diesen Lautsprecher darf man sich mit bestem Gewissen verlieben.