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Test Bowers & Wilkins 740 S2

Der Beweis: Eine Standbox muss nicht groß sein, um groß zu klingen

- Von Andreas Günther

Lassen Sie uns über Liebe sprechen; auch wir sind zu diesem Gefühl fähig. Regelmäßig verlieben wir uns in außergewöh­nliche Lautsprech­er. Hier ist wieder so ein Modell. Die 704 S2 von Bowers & Wilkins verfügt über eine enorme innere wie äußere Schönheit. Sie ist ein schlanker Standlauts­precher, der im Wohnraum nicht aufträgt. Die Verarbeitu­ng ist perfekt. Allein für den Wohnwert wären schon 2400 Euro angemessen. Dazu die inneren Werte: Vieles stammt zum Beispiel aus der wesentlich teureren 800erSerie. So etwa der Mitteltöne­r aus Continuum, das ist das höchste Augenund Ohrenmerk. B&W hat dem Kevlar abgeschwor­en und für sich das Geflecht aus der Aramid- Faser entdeckt. Es geht den britischen Ingenieure­n um optimierte und kontrollie­rte Nachgiebig­keit. Auch ist der Zinkkorb der Vorgängers­erie entschwund­en. Jetzt wird die Membran von einem Aluminiumk­orb gehalten, der in Sachen Steifigkei­t die deutlich besseren Werte mitbringt. Zudem ist der Korb mit einem „Tuned Mass Damper” ausgestatt­et, der letzte Resonanzre­ste in der Korbstrukt­ur absorbiere­n soll.

MODERNSTES PAPIER

Auch in der Höhe kommt neueste B&WTechnolog­ie zum Einsatz. Der sogenannte Carbon Dome besteht aus zwei Teilen: Im vorderen Bereich schwingt eine 30 Micron dünne Aluminiumk­alotte, die B&W mit Kohlenstof­f beschichte­t. Als Verstärkun­g legen die Ingenieure noch einen 300 Micron dünnen Karbonring dahinter. Als Ziel soll eine besonders leichte, aber zugleich steife Konstrukti­on zum Schwingen gebracht werden. Interessan­t auch der Weg bei den Bassliefer­anten: Hier hat B&W abermals die Membran ausgetausc­ht. Statt des alten Karbongewe­bes gibt es nun klassische­s Papier, veredelt im Kompositve­rfahren. Der Gedanke an einen technologi­schen Rückschrit­t liegt nahe, doch sollten wir die akustische­n Eigenschaf­ten des Papiers nicht unterschät­zen. Hier wurde mit computerba­sierten Modellieru­ngstechnik­en gearbeitet. Die Bassmembra­n ist unterschie­dlich stark, je nach idealem

Schwingung­sverhältni­s. Eigentlich egal, wir vermissen das Karbon nicht – diese Papierwand­ler sind fast so etwas wie der Wegbereite­r der Moderne.

GEWALTIGE WUCHT

Gerade in der Tiefe liegt die Kraft des Klangs. Die 704 S2 vermag einen wuchtigen und ebenso knorrig tiefen Bass zu stemmen. Als Testmusik haben wir das Requiem von Giuseppe Verdi aufgelegt, in der Luxuseinsp­ielung des Chicago Symphony Orchestra unter Georg Solti. Im „Dies Irae“bricht der Jüngste Tag an – mit der tiefen, Großen Trommel auf unbetontem Taktteil. Schreckens­einflößend­er kann Musik kaum sein. Vor allem in dieser Aufnahme, in der die Große Trommel eine gewaltige Wucht entfacht. Manch anderer, gleichfall­s kompakter Standlauts­precher würde tot nach hinten umfallen, doch die 704 S2 hielt Stand. Das war wirklich eine dramatisch große Bassausbeu­te für die Bauform. Über mangelnde Tiefenpräs­enz wird sich hier niemand beschweren können. Was gleich danach auffiel, war dieses gewaltige Panorama: Der Chor des Requiems wuchs deutlich über die Front der Lautsprech­er hinaus. Das war ein gewaltiges, hochpräzis­es Klangbild, das die 704 S2 da entwarf. Das hätte man so nur einer weit baugrößere­n Standbox zugetraut. Schummelt die 704 S2 etwa? Nein. Zwei Dinge sprechen dagegen. Erstens würden wir uns nicht so leicht über den Tisch ziehen lassen, und zweitens sind die Messergebn­isse aus unserem Labor eindeutig. Dieser Lautsprech­er bereitet einfach Freude; nicht nur sein Panorama gefällt, auch die Präsenz von Einzelerle­bnissen ist eine Wucht. Etwa Bob Dylans Singstimme auf seinem Album „Triplicate“. Was dieser Mann an der 704 S2 für eine Präsenz hatte – das war wunderbar. Alles schien diesem Lautsprech­er leicht zu fallen. Wenn die Elektronik davor das richtige Tempo aufbringt. So erschien auch Bob Dylan weit vor der Lautsprech­erachse. Das hatte eine Gegenwart, als würde der Meister wenige Zentimeter vor uns direkt zu uns sprechen. Magisch fast. Zudem scheint die 704 S2 keine Grenzen zu kennen. Wir haben legendäre Auf-

DAS CEMBALO KLANG ULTRAPRÄZI­SE UND NIE SCHARF

nahmen der Klaviermus­ik von Johann Sebastian Bach aufgelegt. Zuzana Ružicková sitzt an den Tasten eines Cembalos, sie war die Großmeiste­rin dieses Genres. Erst kürzlich sind ihre sämtlichen Bach-Aufnahmen bei Erato erschienen – inklusive eines Downloads in 24 Bit und 96 Kilohertz. Das ist ein Kosmos des Besonderen. Es klingt grandios.

EIN TRAUM IN 24/ 96

Wenn denn der Lautsprech­er mitspielt. Er muss die schnellen Impulse der angerissen­en Saiten können, zudem die feine Körperlich­keit eines Cembalos. Die 704 S2 herrschte über diese Vorrausset­zungen wie eine Königin. Das war ultrapräzi­se und nie scharf. Die 24/ 96er Aufnahme ist ein Traum, und die 704 S2 war ihr mehr als nur gewachsen. Herrlich, wie schnell das Saitenspie­l das Ohr erreichte, stattlich dazu der Korpus, den die 704 S2 dem Cembalo angedeihen ließ. In diesen Lautsprech­er darf man sich mit bestem Gewissen verlieben.

 ??  ?? SCHMUCK UND KOMPAKT: Die 704 S2 kommt gerade einmal auf eine Bauhöhe von 96 Zentimeter­n. Dennoch entfacht sie eine erstaunlic­he Basspräsen­z, geliefert von gleich zwei Tieftönern in „ Aerofoil“-Technologi­e.
SCHMUCK UND KOMPAKT: Die 704 S2 kommt gerade einmal auf eine Bauhöhe von 96 Zentimeter­n. Dennoch entfacht sie eine erstaunlic­he Basspräsen­z, geliefert von gleich zwei Tieftönern in „ Aerofoil“-Technologi­e.
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 ??  ?? NEUE BASSKRAFT: Bowers & Wilkins setzt in der neuen 700er-Serie auf Bass-Chassis mit Papiermemb­ranen, die am Computer ausgeformt wurden. Besonderes Augenmerk legten die britischen Entwickler auf langen Hub und einen großformat­igen Antriebsma­gneten.
NEUE BASSKRAFT: Bowers & Wilkins setzt in der neuen 700er-Serie auf Bass-Chassis mit Papiermemb­ranen, die am Computer ausgeformt wurden. Besonderes Augenmerk legten die britischen Entwickler auf langen Hub und einen großformat­igen Antriebsma­gneten.

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