Canton A 55�
DIESER LAUTSPRECHER KENNT KEINE SCHWÄCHEN
Nein, das geht so nicht. Das darf man nicht. Es gibt Grenzen, an denen auch ein Testredakteur scheut. Hier ist die Grenze überschritten: Canton stellt die A 55 vor – und wird unsittlich. So ein Lautsprecher braucht neben der perfekten Verarbeitung auch den perfekten Preis. Und genau den hat Canton dramatisch verpasst. Würden wir nur nach unseren Ohren gehen und unsere Bestenliste dazu flankieren – dann müsste dieser Lautsprecher irgendwo um 8000 Euro liegen. Tut er aber nicht. Canton listet ihn auf seiner Homepage mit 4400 Euro. Sind die Herrschaften aus dem Taunus leichtsinnig geworden? Oder gar verrückt? Verbirgt sich hier ein Tippfehler? Weder noch. Canton hat nur scharf kalkuliert. Zwei Faktoren bestimmen die Rechnung: Canton ist stolzer Besitzer der Produktionsmittel – man sitzt an der Quelle, alle Chassis stammen aus eigener Fertigung. Zudem wurde mit den Spielregeln des deutschen Marktes aufgeräumt, denn hier sitzt kein Vertrieb als Finanzfaktor zwischen dem Hersteller und dem Endkunden: Man kann diesen Lautsprecher nur direkt bei Canton erwerben, über die Webseite.
Über Jahre gefeilt
Zugegeben: 4400 Euro sind noch viel Geld. Aber der klangliche Gegenwert ist enorm. Uns ist seit langem kein Lautsprecher begegnet, der so perfekt, so unangreifbar geformt war. Hier treffen höchste audiophile Werte auf eine wunderbare Spielfreude. Doch langsam, schauen wir zuerst in die Tiefen der Konstruktion. Hier hat sich Canton recht deutlich an der Meisterklasse orientiert – der Reference 3K zum Beispiel. Im Vergleich dazu verzichtet Canton jedoch auf die rasant teure Bugform, die aus dem Vollen gefräst wird. Also wirklich die kleine Schwester mit ähnlichen Tugenden. So gibt es die hauseigene KeramikWolfram-Technologie für die Membranen. Hieran hat Canton über Jahre, wenn nicht sogar über Jahrzehnte gefeilt. Das muss man sich so vorstellen: An der Spitze der Entwicklung sitzt Frank Göbl – er ist das Mastermind des Klangs. Was wir an diesem Mann so mögen: Er entwirft seine Laut- sprecher mit allen Sinnen, aber auchganz unaufgeregt am Rechner. Und tatsächlich, die A 55 misst sich wie ein Ideal: der Frequenzgang geht schnurstracks durch unser Testdiagramm. Zudem weiß Göbl, wie es klingen soll – er setzt lange Hörsitzungen mit seinen Lieblingen an. Musik geht vor. So perfekt sich diese Lautsprecher messen, sie klingen nie blutleer. In der höchsten Ausbaustufe schließlich wacht Frank Göbl auch über die Fertigung im Hause Canton. Er kann bestimmen, welches Chassis welche Klangcharakteristik tragen soll. In der Tiefe wie im Mittelton schwingen Membranen aus Keramik, Aluminiumoxid und Wolfram. In der Höhe wiederum setzt Canton auf pures Aluminiumoxid. In der Summe also eine zutiefst verwandte Materialversammlung. Was sich auch jeder Nicht- Kenner denken kann: Das sollte harmonisch klingen, aufeinander abgestimmt. Und tatsächlich: Bei den meisten Lautsprechern hören wir irgendwann die Chassis, können mit dem Finger etwa auf den Mitteltöner zeigen und sagen, dass er das Klanggeschehen bestimmt. Bei der Canton A 55 gab es diesen Effekt nicht. Alle Chassis verschmolzen zu einem einheitlichen Klanggebilde. Das war perfekt, fast auf dem Niveau eines Flächenstrahlers – wenn man sich vorstellt, dass sich hier im Stereo- Duo zehn Wandler zu einer Einheit koppeln. Großartig, wie die A 55 eine Harmonie und Geschlossenheit erzauberte.
Das Beste des Katalogs
Dahinter muss ein Trick stecken. Tut uns leid, aber diesen Trick gibt es nicht. Hier hat Canton nur das Beste des Katalogs vereint. Die A 55 ist das Ergebnis von jahrelangem Know-how. Und wir dürfen sie abgreifen. Freude ist angebracht. Wir haben lange in die Tiefen der A 55 gelauscht. Zuerst legten wir eine Premiere auf: Erstmals ist Wagners Parsifal unter Solti in HiRes erschienen. Die Decca hat ihr Master in 24 Bit/ 96 Kilohertz veröffentlicht. Die Aufnahme selbst stammt aus den frühen 70er- Jahren. Jeder noch so gute Lautsprecher muss hierfür sein Bestes aufbieten. Da sind zum Beispiel die schweren Glockenschläge der Gralsrit-
Es ist bekannt, dass Canton gute Lautsprecher baut. Doch die Finesse reicht bis in die Königsklasse. Hier kommt die große A 55 und überflügelt die Konkurrenten reihenweise. Zu einem humanen Preis.
ter, dazu kommt die leuchtende Stimmkraft des Parsifal-Sängers René Kollo. So eine Aufnahme muss ein Maximum an emotionaler Ergriffenheit ausstrahlen, sonst ist sie nur eine Opernaufnahme wie viele andere. Solti und die Wiener Philharmoniker inszenieren hier einen Klangrausch – ein Lautsprecher muss sich da auch auf die feinen dynamischen Werte verstehen. Und es war wirklich atemberaubend, wie die Canton A 55 diese Herausforderung meisterte. Das klang so natürlich wie hochkomplex.
Der Superlativ
Da holen wir sogar den Superlativ heraus – besser haben wir diese Aufnahme noch nie erlebt, obwohl wir auch deutlich teuere Lautsprecher zurate gezogen haben. Das war ergreifend, wie die A 55 das Klangbild mit einer Wucht und dynamischen Präsenz uns entgegen warf – ein beglückendes, audiophiles Erlebnis, wie es leider viel zu selten vorkommt. Selbst in unserem Tester- Leben. Wie gesagt: Das hätten wir in dieser Preisklasse nie erwartet. In solchen Momenten taucht bei einem HiFi- Redakteur ein gepflegtes Misstrauen auf. Da will man wissen, ob sich dieser Klangrausch nur einer glücklichen Fügung verdankt. Da will man dem Lautsprecher auf den Zahn, bis auf sein Skelett fühlen. So haben wir das Härteste unserer Testmusik zusammengetragen. Wir prüften die Basspräsenz – perfekt. Wir streamten brachialen Rock – sie nahm es ganz gelassen. Wir stemmten das größte vorstellbare Orchesterbild – die A 55 führte es mit jedem noch so winzigen Detail auf. Es ist also wahr: Dieser Lautsprecher kennt keine Schwächen. Es gibt hier keine Geschmacksfragen, sondern nur das ganz große Klangerlebnis. Für einen Preis, der jedes Gefüge eines Superschnäppchens sprengt.