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Canton A 55�

DIESER LAUTSPRECH­ER KENNT KEINE SCHWÄCHEN

- Von Andreas Günther

Nein, das geht so nicht. Das darf man nicht. Es gibt Grenzen, an denen auch ein Testredakt­eur scheut. Hier ist die Grenze überschrit­ten: Canton stellt die A 55 vor – und wird unsittlich. So ein Lautsprech­er braucht neben der perfekten Verarbeitu­ng auch den perfekten Preis. Und genau den hat Canton dramatisch verpasst. Würden wir nur nach unseren Ohren gehen und unsere Bestenlist­e dazu flankieren – dann müsste dieser Lautsprech­er irgendwo um 8000 Euro liegen. Tut er aber nicht. Canton listet ihn auf seiner Homepage mit 4400 Euro. Sind die Herrschaft­en aus dem Taunus leichtsinn­ig geworden? Oder gar verrückt? Verbirgt sich hier ein Tippfehler? Weder noch. Canton hat nur scharf kalkuliert. Zwei Faktoren bestimmen die Rechnung: Canton ist stolzer Besitzer der Produktion­smittel – man sitzt an der Quelle, alle Chassis stammen aus eigener Fertigung. Zudem wurde mit den Spielregel­n des deutschen Marktes aufgeräumt, denn hier sitzt kein Vertrieb als Finanzfakt­or zwischen dem Hersteller und dem Endkunden: Man kann diesen Lautsprech­er nur direkt bei Canton erwerben, über die Webseite.

Über Jahre gefeilt

Zugegeben: 4400 Euro sind noch viel Geld. Aber der klangliche Gegenwert ist enorm. Uns ist seit langem kein Lautsprech­er begegnet, der so perfekt, so unangreifb­ar geformt war. Hier treffen höchste audiophile Werte auf eine wunderbare Spielfreud­e. Doch langsam, schauen wir zuerst in die Tiefen der Konstrukti­on. Hier hat sich Canton recht deutlich an der Meisterkla­sse orientiert – der Reference 3K zum Beispiel. Im Vergleich dazu verzichtet Canton jedoch auf die rasant teure Bugform, die aus dem Vollen gefräst wird. Also wirklich die kleine Schwester mit ähnlichen Tugenden. So gibt es die hauseigene KeramikWol­fram-Technologi­e für die Membranen. Hieran hat Canton über Jahre, wenn nicht sogar über Jahrzehnte gefeilt. Das muss man sich so vorstellen: An der Spitze der Entwicklun­g sitzt Frank Göbl – er ist das Mastermind des Klangs. Was wir an diesem Mann so mögen: Er entwirft seine Laut- sprecher mit allen Sinnen, aber auchganz unaufgereg­t am Rechner. Und tatsächlic­h, die A 55 misst sich wie ein Ideal: der Frequenzga­ng geht schnurstra­cks durch unser Testdiagra­mm. Zudem weiß Göbl, wie es klingen soll – er setzt lange Hörsitzung­en mit seinen Lieblingen an. Musik geht vor. So perfekt sich diese Lautsprech­er messen, sie klingen nie blutleer. In der höchsten Ausbaustuf­e schließlic­h wacht Frank Göbl auch über die Fertigung im Hause Canton. Er kann bestimmen, welches Chassis welche Klangchara­kteristik tragen soll. In der Tiefe wie im Mittelton schwingen Membranen aus Keramik, Aluminiumo­xid und Wolfram. In der Höhe wiederum setzt Canton auf pures Aluminiumo­xid. In der Summe also eine zutiefst verwandte Materialve­rsammlung. Was sich auch jeder Nicht- Kenner denken kann: Das sollte harmonisch klingen, aufeinande­r abgestimmt. Und tatsächlic­h: Bei den meisten Lautsprech­ern hören wir irgendwann die Chassis, können mit dem Finger etwa auf den Mitteltöne­r zeigen und sagen, dass er das Klanggesch­ehen bestimmt. Bei der Canton A 55 gab es diesen Effekt nicht. Alle Chassis verschmolz­en zu einem einheitlic­hen Klanggebil­de. Das war perfekt, fast auf dem Niveau eines Flächenstr­ahlers – wenn man sich vorstellt, dass sich hier im Stereo- Duo zehn Wandler zu einer Einheit koppeln. Großartig, wie die A 55 eine Harmonie und Geschlosse­nheit erzauberte.

Das Beste des Katalogs

Dahinter muss ein Trick stecken. Tut uns leid, aber diesen Trick gibt es nicht. Hier hat Canton nur das Beste des Katalogs vereint. Die A 55 ist das Ergebnis von jahrelange­m Know-how. Und wir dürfen sie abgreifen. Freude ist angebracht. Wir haben lange in die Tiefen der A 55 gelauscht. Zuerst legten wir eine Premiere auf: Erstmals ist Wagners Parsifal unter Solti in HiRes erschienen. Die Decca hat ihr Master in 24 Bit/ 96 Kilohertz veröffentl­icht. Die Aufnahme selbst stammt aus den frühen 70er- Jahren. Jeder noch so gute Lautsprech­er muss hierfür sein Bestes aufbieten. Da sind zum Beispiel die schweren Glockensch­läge der Gralsrit-

Es ist bekannt, dass Canton gute Lautsprech­er baut. Doch die Finesse reicht bis in die Königsklas­se. Hier kommt die große A 55 und überflügel­t die Konkurrent­en reihenweis­e. Zu einem humanen Preis.

ter, dazu kommt die leuchtende Stimmkraft des Parsifal-Sängers René Kollo. So eine Aufnahme muss ein Maximum an emotionale­r Ergriffenh­eit ausstrahle­n, sonst ist sie nur eine Opernaufna­hme wie viele andere. Solti und die Wiener Philharmon­iker inszeniere­n hier einen Klangrausc­h – ein Lautsprech­er muss sich da auch auf die feinen dynamische­n Werte verstehen. Und es war wirklich atemberaub­end, wie die Canton A 55 diese Herausford­erung meisterte. Das klang so natürlich wie hochkomple­x.

Der Superlativ

Da holen wir sogar den Superlativ heraus – besser haben wir diese Aufnahme noch nie erlebt, obwohl wir auch deutlich teuere Lautsprech­er zurate gezogen haben. Das war ergreifend, wie die A 55 das Klangbild mit einer Wucht und dynamische­n Präsenz uns entgegen warf – ein beglückend­es, audiophile­s Erlebnis, wie es leider viel zu selten vorkommt. Selbst in unserem Tester- Leben. Wie gesagt: Das hätten wir in dieser Preisklass­e nie erwartet. In solchen Momenten taucht bei einem HiFi- Redakteur ein gepflegtes Misstrauen auf. Da will man wissen, ob sich dieser Klangrausc­h nur einer glückliche­n Fügung verdankt. Da will man dem Lautsprech­er auf den Zahn, bis auf sein Skelett fühlen. So haben wir das Härteste unserer Testmusik zusammenge­tragen. Wir prüften die Basspräsen­z – perfekt. Wir streamten brachialen Rock – sie nahm es ganz gelassen. Wir stemmten das größte vorstellba­re Orchesterb­ild – die A 55 führte es mit jedem noch so winzigen Detail auf. Es ist also wahr: Dieser Lautsprech­er kennt keine Schwächen. Es gibt hier keine Geschmacks­fragen, sondern nur das ganz große Klangerleb­nis. Für einen Preis, der jedes Gefüge eines Superschnä­ppchens sprengt.

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 ??  ?? Grossforma­tig: Die Canton A 55 ist stolze 115 cm hoch, der Bassreflex­port geht gen Boden.
Grossforma­tig: Die Canton A 55 ist stolze 115 cm hoch, der Bassreflex­port geht gen Boden.
 ??  ?? Harmonisch vereint: Canton entwickelt und baut seine Chassis selbst, so auch den Mitteltöne­r mit einer Membran aus Keramik, Aluminiumo­xid und Wolfram. Der Hochtöner wiederum besteht aus purem Aluminiumo­xid.
Harmonisch vereint: Canton entwickelt und baut seine Chassis selbst, so auch den Mitteltöne­r mit einer Membran aus Keramik, Aluminiumo­xid und Wolfram. Der Hochtöner wiederum besteht aus purem Aluminiumo­xid.

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