„Die neue Freiheit der Technik“
„Planet Jarre“heißt die neue Werkschau des visionären Elektronik-Großmeister Jean-Michel Jarre (70). Der produktive Franzose blickt zuversichtlich in die Zukunft.
Ist „Planet Jarre“Ihr Vermächtnis?
Jean-Michel Jarre: Nun, ich distanziere mich damit von üblichen Compilations. Es ist ein subjektiver Ansatz. Ich habe mich bemüht, eine Struktur aus vier Teilen zu entwickeln, die Sinn ergibt.
Haben Sie dabei auch Songs wiederentdeckt?
Ja, etwa das Demo zu „Music For Supermarkets“von 1983. Ich hatte nur ein Exemplar pressen lassen und auktioniert. Dann ließ ich die Matrizen vernichten – ein Statement gegen die Musikindustrie, die Musik zur Verkaufsförderung in Supermärkten missbrauchte. Ich wollte zeigen, dass ein Song ein Unikat ist wie ein Gemälde. Jetzt ist das wieder aktuell. Ich freue mich über das Copyright-Urteil des Europäischen Gerichtshofes – ein erster Schritt zur Internetkontrolle.
Wie hat das Internet Ihre Arbeit verändert?
Erheblich, aber es gibt zwei Seiten. Die freundliche Seite ist, dass jeder auf der Welt Musik machen und per Internet verbreiten kann. Fantastisch! Die dunkle Seite ist die Unkontrollierbarkeit des Webs, das nur durch unsere Inhalte besteht. Aber die Künstler werden dafür nicht entsprechend bezahlt.
Sie haben einst gesagt „Elektronische Musik zu machen ist wie Kochen“. Was heißt das?
Elektronische Musik verhält sich zu traditioneller Musik wie abstrakte Malerei zu figürlicher bzw. symbolischer Malerei. Abstrakte Malerei repräsentiert nichts, hat aber mit dem intensiven Umgang mit Bildern, Farben und deinen Händen zu tun und resultiert in einer grafischen Emotion. Auch bei elektronischer Musik kocht man etwas zusammen, mixt Loops – nach Rezept oder improvisiert.
Wie haben Sie sich über die 50 Jahre immer wieder motiviert?
Musste ich nie, weil Musik für mich Hingabe und Leidenschaft ist. Ein kreativer Prozess ist immer wie ein obsessiver Traum. Man will das perfekte Album, aber man wird es nie erreichen. Also macht man weiter. Fehler helfen einem dabei, die Kreativität weiter zu pushen. Kunst kann ohne Fehler nicht bestehen.
Welches Ziel haben Sie?
Ich habe gerade mein neues Album „Equinoxe Infinity“fertig, das sich mit künstlicher Intelligenz befasst; es erscheint am 16. November. Es geht um die Zukunft, die aber nicht greifbar ist. Eine Gegenwart exi stiert nicht, da sie morgen bereits Vergangenheit ist. Die Zukunft mag beängstigend wirken, aber sie wird uns viel Positives bringen.
Hat das Internet Ihre Arbeit an „Equinoxe Infinity“erleichtert?
Eine interessante Frage. Ich habe ein Stück in Shanghai aufgenommen, einen Partikel in L.A. und einen während der „Coachella“-Tour. Auf einem Flug in den Nahen Osten hörte ich mir die finale Version an und war unzufrieden. Also machte ich – während alle schliefen – mit Laptop und Kopfhörer über den Wolken einen neuen Mix und sandte ihn meinem Ingenieur. Er hat ihn dann ins Mastering eingebaut und unserem Produktionsassistenten in Kanada übermittelt. Als ich ausstieg, hatte ich die neue Version schon auf meinem Laptop. Früher wäre das unmöglich gewesen. Das ist die neue Freiheit der Technik und der Kommunikation, der Vorteil des Internets.