CAMBRIGDE AUDIO EVO 75
Die Edge-Serie von Cambridge Audio hat gezeigt: Die britische Marke kann richtig edel. Aber gegen den bemerkenswerten All-in-One-Verstärker Evo 75 ist deren Design eher konventionell.
Die Briten holen High-End-Technik in die Mittelklasse. Dieser StreamingAmp ist so stilsicher wie funktional
Es gibt viele gute HiFi- Komponenten. Der technische Fortschritt hat dafür gesorgt, dass man die schlechten inzwischen fast schon suchen muss. Doch nur wenige Neuheiten lösen einen Wow- Effekt aus. Eine davon findet sich fraglos in diesem Test. Als dem Autor die Neuheitenmeldung zum Cambridge Audio Evo 75 hereinflatterte, ließ er einen Moment seine Arbeit ruhen, um sie sich näher anzuschauen. Erster Gedanke: Den sollten wir testen. Soll heißen, den wollte er testen. Mit diesem Gedanken im Hinterkopf wandte er sich wieder seiner unterbrochenen Arbeit zu, in der festen Absicht, das der Redaktion vorzuschlagen. Es verging keine halbe Stunde, da regte der aufmerksame Kollege Christian Möller einen Test an. Wohlgemerkt, wir reden hier nicht von einem unbezahlbaren Exoten. Und wir reden auch nicht von der Neuerfindung des Rades. Der Evo 75 ist kein sprachgesteuertes smartes Etwas, das einem Sachen bei Amazon bestellt, Fernsehserien auf den Bildschirm bringt oder einem die neuesten Corona- Regeln aufsagen kann. Der Cambridge Audio Evo 75 ist einfach eine unheimlich gelungene Neuinterpretation von Geräten, wie wir sie von den Briten schon jahrelang kennen, sodass er meilenweit aus dem allgemeinen Angebot an Streaming-Verstärkern heraussticht.
NEUER ANSATZ
Diese Sonderstellung geht nicht nur auf das bildschöne, sehr hochwertige Gehäuse zurück, das einen gelungenen Materialmix aus mattem Aluminium und Holz bietet. Statt der üblichen Mischung aus technisch geprägter Frontplatte und Blechdeckel gibt es hier massive Aluplatten mit Schattenfugen und einem 6,8 Zoll großes Farbdisplay, das sich fast über die ganze Front erstreckt. Besonders sticht jedoch der große, aus dem
Vollen gearbeitete, zweiteilige und konzentrische Doppelregler für die Lautstärke und die Quellenauswahl heraus. Dessen Riffelung am hinteren, farblich abgesetzten Ring weckt Erinnerungen an Vintage- Spiegelreflexkameras oder Uhrmacherkunst. Doch das Beste daran: Man sieht dem Cambridge Evo 75 an, dass hier nicht einfach ein Designer das Gehäuse eines bestehenden Gerätekonzepts ein bisschen aufgehübscht hat. Man spürt stattdessen, dass hier die Form der Funktion folgt. So werden dann selbst ganz alltägliche Aktionen wie die Veränderung der Lautstärke fast schon ein sinnlicher Genuss, der einen zum Strahlen bringen kann.
Die Cambridge- App hat nicht nur einen kreisrunden virtuellen Regler. Wer ihn betätigt, sieht am rechten Rand des Front- Displays eine virtuelle Scheibe mit Zahlen, die vergleichbar mit dem Datumsrad einer mechanischen Armbanduhr nach oben oder unten gedreht wird. Das ist nicht nur viel übersichtlicher als eine sich schnell verändernde, ansonsten statische digitale Zahlenangabe. Der analoge Touch knüpft beim typi
schen, technikaffinen Mann sofort an andere Leidenschaften an. Gleichzeitig ist diese Lösung aber auch um Welten schöner und praktischer für alle Arten von Genießenden (M/ W/ D). Damit weckt der eigentlich sehr vernünftig gemachte Streaming- Amp jene großen Emotionen, die sonst in aller Regel vorwiegend von sündhaft teuren, unvernünftigen und bisweilen nutzlosen Luxus- Artikeln ausgehen.
MARTINS GANZHEITLICHES DESIGN
Kaum zu glauben, dass im Hause Cambridge Audio nichts weiter geschehen ist, als Produktdesigner Ged Martin im Londoner Studio eine zeitlose, lifestylekompatible Verpackung für einen zugekauften „Hypex NCore“- Class- D- Amp mit innovativer Impedanzanpassung für das Tiefpassfilter und das bewährte StreamMagic- Modul von Cambridge Audio kreieren zu lassen. Und weil selbst innerhalb eines gängigen Lifestyles die Geschmäcker bekanntlich verschieden sind, lassen sich die magnetisch gehaltenen Walnuss- Seitenwangen abnehmen und durch beiliegende schwarze Blenden mit Wellenmuster ersetzen. Wer die Steuerung über die StreamMagic App durch die gute alte InfrarotFernbedienung ersetzen möchte, der entdeckt einen edlen Zauberstab, den man eher bei Bang & Olufsen als bei den puristisch geprägten, mehr an Value for Money als an Design orientierten Engländern vermuten würde.
Auf der Rückseite finden sich zwei S/ PDIF- Eingänge sowie ein USB- A- Anschluss. So lässt sich der ESS Sabre ES9016K2M DAC auch für weitere Digitalquellen oder zur Wiedergabe von USB-Speichermedien mit einer maximalen Auflösung von 32 Bit/ 384 kHz nutzen. Zur Verwendung mit AV-Systemen ist der HDMI-Anschluss mit ARC, dem
Audio- Rückkanal für TV- Geräte prädestiniert. In diesem Umfeld bewähren sich auch der Vorverstärker- und der Subwoofer- Ausgang bestens. Und um schnell mal vom Smartphone oder Tablet zu streamen gibt es Bluetooth samt aptX HD. Zur Verständigung mit der alten Welt sitzt auf der Rückseite ein analoger Audioeingang mit Cinch- Buchsen.
DA GEHT NOCH WAS
Wer auf symmetrische XLR-Verbindungen Wert legt, der muss zum großen Bruder Cambridge Audio Evo 150 greifen, für den dann bei insgesamt größerer Anschlussvielfalt und doppelter Ausgangsleitung 500 Eure mehr fällig werden. Er bietet auch einen integrierten Phono-Vorverstärker, einen noch hochwertigeren DAC- Chip und zwei Lautsprecherzonen, während sich der 75er mit einem Paar massvier Schraubklemmen für ein Boxenpaar begnügt.
Zur Einbindung ins Netzwerk verfügt der 5 Kilogramm schwere Beau über einen LAN- Anschluss und Dual- BandWLAN. In diesem Zusammenhang sei erwähnt, dass er sowohl Apple AirPlay 2 als auch das Google- Pendant Chromecast unterstützt – ebenso wie Internetradio, Spotify Connect, Tidal und Qobuz. Zudem schmückt sich der Brite mit dem an Bedeutung weiter gewinnenden Zusatz „Roon Ready.“
KLINGT WIE ER AUSSIEHT
Musik! Im AUDIO- Hörraum begeisterten nicht nur die erwähnten visuellen Effekte. Schließlich kauft man bei aller Affinität zu ästhetischem, anspruchvollem Design auch in den 20er- Jahren des 21. Jahrhunderts HiFi- Geräte noch immer nach ihrem Klang. Und in dieser Hinsicht überzeugte der Cambridge Audio mindestens genauso wie mit seinem geschliffenen Äußeren. Dabei zeigte der erschwingliche Streaming-Amp keinerlei Scheu vor kostspieligen Lautsprechern und lieferte sogar an unserer Bowers & Wilkins 802 D3 eine solide Vorstellung mit trockenem, kontrolliertem Bass. Er profilierte sich dabei trotz beachtenswerter dynamischer Fähigkeiten besonders in den leisen Tönen. Gerade über sein Streaming- Modul punktete er mit einem perfekten Fokus, der wie schon sein Kombi- Knopf an eine teure Spiegelreflexkamera erinnerte.
Der Cambridge Audio bildete auf seiner breiten, dreidimensional wirkenden Bühne Instrumente an jeder beliebigen Stelle extrem präzise ab. Die Klangfarbentreue wirkte so wohldosiert wie die Farbzusammenstellung seines edlen Gehäuses. So reproduzierte der Evo 75 zum Beispiel akustische Gitarren mit akribischer Präzision, Detailverliebtheit und Authentizität. Das war wahrlich eine starke Vorstellung.