Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Wer hält noch zu ihr?
Koalition Als erster Minister stellt der CSU-MANN Alexander Dobrindt sich in der Flüchtlingsfrage offen gegen die Kanzlerin. Auch in der CDU rumort es. Ein Überblick über Merkels Gegner und ihre Verbündeten
Berlin Horst Seehofer konnte sich nicht mehr bremsen. Mit dieser Kanzlerin, schwärmte er beim Parteitag der CSU vor gut einem Jahr, könne die Union Historisches erreichen – nämlich die absolute Mehrheit bei der nächsten Bundestagswahl. Inzwischen ist die in ähnlich weite Ferne gerückt wie eine europäische Lösung der Flüchtlingskrise, und nicht nur die ersten Boulevardzeitungen fragen sich, ob Angela Merkel überhaupt so lange durchhält. Nach zehn Jahren im Amt steht sie an einem Scheideweg, politisch wie persönlich. Wer hält da noch zu ihr – und wer arbeitet gegen sie?
● Der harte Kern Fraktionschef Volker Kauder ist im Moment der wichtigste Verbündete der Kanzlerin. Obwohl immer mehr Abgeordnete murren und motzen, hat er eine Palastrevolution gegen Angela Merkels liberale Asylpolitik bisher vermeiden können. So schrumpfte eine schlagzeilenträchtige Unterschriftenaktion gegen die Regierungschefin binnen eines Tages zu einem Brief zusammen, in dem 44 der 310 Abgeordneten ihr von ihren Sorgen berichten. Im Cdu-vorstand am Montag faltete Kauder einige der Abweichler dann derart zusammen, dass es seiner Duzfreundin Angela eine Freude gewesen sein dürfte. Nicht minder loyal verhalten sich Generalsekretär Peter Tauber und Kanzleramtschef Peter Altmaier. Auch die stellvertretenden Parteivorsitzenden Armin Laschet und Julia Klöckner gelten als ausgewiesene Merkelianer. Die 43-Jährige mahnt zwar etwas lauter als die anderen eine rasche Reduzierung der Flüchtlingszahlen an – das aber lässt ihre Mentorin Merkel ihr durchgehen, schließlich steckt die frühere Weinkönigin in Rheinlandpfalz mitten im Wahlkampf.
● Die möglichen Nachfolger An der Berliner Gerüchtebörse fällt hier vor allem der Name von Finanzminister Wolfgang Schäuble. Der werde aktiv zwar keinen Sturz der Regierungschefin betreiben, sagt ein Cdu-präside, für den Fall der Fälle aber stünde der 73-Jährige vermutlich bereit – zumindest für eine Übergangszeit. Wie Innenminister Thomas de Maizière, der gelegentlich ebenfalls noch als Kronprinz gehandelt wird, passt Schäu- ble im Moment die ganze Richtung nicht – beide hüten sich aber davor, sich offen gegen die Kanzlerin und ihre Politik der offenen Grenzen zu stellen. Dass Schäuble gerade sein umstrittenes Bild von der Lawine noch einmal gebraucht hat, die über Deutschland hinwegzurollen drohe, war so gesehen schon das Maximum an Aufsässigkeit. Ursula von der Leyen wäre unter anderen Umständen, in einer anderen Zeit wahrscheinlich die erste Aspirantin auf die Merkel-nachfolge. Im Moment hat sie jedoch ein Problem: Die Verteidigungsministerin denkt in der Flüchtlingsfrage wie die Kanzlerin.
● Der neutrale Block Er ist, wie so oft, die stärkste Gruppe. Zu ihr gehören praktisch die kompletten Ministerriegen von SPD und CDU, die stellvertretenden Parteivorsitzenden Thomas Strobl und Volker Bouffier sowie Entwicklungsminister Gerd Müller von der CSU, der schon kraft Amtes weit über die nationalen Grenzen hinaus denken muss. Anders als in der gemeinsamen Bundestagsfraktion der beiden C-parteien, wo praktisch in jeder Sitzungswoche heftige Kritik an der Flüchtlingspolitik der Kanzlerin laut wird, geht es im Kabinett deutlich harmonischer zu. „Als Minister“, sagt ein langjähriges Mitglied, „sind wir ihr gegenüber ja zur Loyalität verpflichtet.“Die SPD betrachtet Angela Merkel ohnehin mehr als Verbündete denn als Gegnerin – vor allem, wenn es gegen den Innenminister geht, der den Familiennachzug von Flüchtlingen etwas stärker einschränken will als sie.
● Die schärfsten Kritiker Die Opposition in der Koalition besteht aus zwei Fraktionen. Auf der einen Seite stehen Abgeordnete aus der zweiten Reihe der CDU wie der Innenpolitiker Wolfgang Bosbach, der Wirtschaftsexperte Christian von Stetten oder Finanzstaatssekretär Jens Spahn, die schon früh ihre Zweifel hatten, ob Angela Merkels Weg der richtige ist – auf der anderen Seite stellt Horst Seehofer ihr im Namen der CSU ein Ultimatum ums andere. Mit Verkehrsminister Alexander Dobrindt, dem früheren Generalsekretär der Christsozialen, hat sich jetzt der erste Minister aus Merkels Kabinett gegen die Kanzlerin gestellt. Es reiche nicht mehr aus, der Welt ein freundliches Gesicht zu zeigen, warnt er im Münchner Merkur. Deutschland werde um Grenzschließungen nicht herumkommen. Dobrindt wörtlich: „Die Belastungsgrenze in Deutschland ist objektiv vorhanden – und erreicht.“