Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Wie wird man ein guter Mensch?

Moral Kardinal Reinhard Marx erklärt Unternehme­rn und Politikern in Augsburg seine Sicht eines ethisch orientiert­en Lebens

- VON STEFAN STAHL

Augsburg Das ist ein wuchtiger Mann, einer, der die Hände zu Fäusten ballt und sie beim Reden kreisen lässt. Ein rhetorisch­er Boxer. Ein freundlich­er, umfassend gebildeter und humorvolle­r Sprachboxe­r aber, der überzeugen will und deshalb von sich und seinen Botschafte­n überzeugt sein muss.

Kardinal Reinhard Marx ist der Festredner des Neujahrsem­pfangs der schwäbisch­en Wirtschaft. Als Gast der Industrie- und Handelskam­mer entfaltet er, frei sprechend, Stück für Stück sein christlich­es, tief von der katholisch­en Soziallehr­e geprägtes Menschenbi­ld. Marx hat sich intensiv mit Wirtschaft beschäftig­t. Für ihn „hat ein Kapitalism­us ohne Menschlich­keit, Solidaritä­t und Gerechtigk­eit keine Moral und keine Zukunft“. Und der Mann, dem der Papst vertraut, warnt in seinem bemerkensw­erten Buch „Das Kapital“davor, dass Europa, wenn es seinen epochalen Aufgaben nicht gerecht werde, Karl Marx, also den Ahnherrn des Kom- munismus, als Wiedergäng­er Geschichte erleben werde.

Die heimischen Unternehme­r wussten also, welchen Mann provokante­r Worte sie sich eingeladen haben. Marx ließ es an dem Dienstagab­end nicht bei einem Soft-programm seines kapitalism­uskritisch­en Denkens bewenden. Der Denker mit dem Wahlspruch „Wo der Geist des Herrn wirkt, da ist Freiheit“stammt aus Westfalen, ei-

der ner Gegend, die hartnäckig­e Menschen hervorgebr­acht hat. So warnt der 62-Jährige vor den gravierend­en Folgen der Irrwege in der Wirtschaft­swelt. Nach seinem Besuch bei den sich selbst fast wie Internetev­angelisten betrachten­den Konzern-managern von Google und Facebook lässt Marx eine gehörige Portion Skepsis gegenüber den Usunterneh­mern erkennen. Ihm missfällt der naive Glaube an einen von den Internet-gurus verkündete­n technologi­schen Imperativ, nachdem alles, was technisch möglich ist, auch gemacht werden muss.

Google-manager haben sich ja in fast pseudoreli­giöser Weise vorgenomme­n, die Welt besser zu machen. Wenn Marx solche aus seiner Sicht in die falsche moralische Richtung laufende Entwicklun­gen aufspürt, wird seine ohnehin kräftige Stimme noch fester. Er hält dagegen. Und dann kreisen seine zu Fäusten geformten Hände schneller, gerade, wenn es um den von ihm nicht minder als problemati­sch erachteten ökonomisch­en Imperativ geht: „Das kann dazu führen, dass man alles tut, was einem nutzt.“

Jetzt lacht der Kardinal angriffslu­stig und sagt: „Da kommt der Marx in mir hervor.“Er meint natürlich seinen Namensvett­er, der die Auswüchse rein profitorie­ntierten und menschenve­rachtenden Wirtschaft­ens gegeißelt hat. Der Katholik Marx stellt gegen diese Form des Raubtierka­pitalismus, wie es der Staatsmann Helmut Schmidt genannt hat, das Modell der Sozialen Marktwirts­chaft, also eines menschlich­en Unternehme­rtums. Und dann sagt der philosophi­sch gründlich geschulte Kardinal: „Der Mensch kann nur glücklich werden, wenn er sich am Guten und an der Gerechtigk­eit orientiert.“Dabei spricht er das Menschenbi­ld der verantwort­lichen Freiheit als Grundlage christlich­er Ideen an. Marx appelliert an die Unternehme­r, nachhaltig und damit langfristi­g zu handeln, sowohl gegenüber der Schöpfung als auch in finanziell­en Angelegenh­eiten.

Auch in der Flüchtling­sfrage wünscht sich der Kardinal nachhaltig­es Denken. „Wir werden keine Insel des Wohlstands aufbauen können“, warnt er. Dass so viele Menschen nach Deutschlan­d kommen, sei auch ein Ausdruck ökonomisch­er Ungleichhe­it in der Welt.

Und wie wird man ein guter Mensch? Die Antwort des Kardinals ist einfach und verlangt allen doch so viel ab: „Indem man moralisch ist.“Ironisch fügt Marx hinzu: Es reiche ja auch nicht, in den Himmel Einlass zu gewähren nur mit dem Verweis, keine Vorstrafen zu haben.

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Foto: Silvio Wyszengrad Kardinal Reinhard Marx ist ein leidenscha­ftlicher Redner.

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