Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Wie wird man ein guter Mensch?
Moral Kardinal Reinhard Marx erklärt Unternehmern und Politikern in Augsburg seine Sicht eines ethisch orientierten Lebens
Augsburg Das ist ein wuchtiger Mann, einer, der die Hände zu Fäusten ballt und sie beim Reden kreisen lässt. Ein rhetorischer Boxer. Ein freundlicher, umfassend gebildeter und humorvoller Sprachboxer aber, der überzeugen will und deshalb von sich und seinen Botschaften überzeugt sein muss.
Kardinal Reinhard Marx ist der Festredner des Neujahrsempfangs der schwäbischen Wirtschaft. Als Gast der Industrie- und Handelskammer entfaltet er, frei sprechend, Stück für Stück sein christliches, tief von der katholischen Soziallehre geprägtes Menschenbild. Marx hat sich intensiv mit Wirtschaft beschäftigt. Für ihn „hat ein Kapitalismus ohne Menschlichkeit, Solidarität und Gerechtigkeit keine Moral und keine Zukunft“. Und der Mann, dem der Papst vertraut, warnt in seinem bemerkenswerten Buch „Das Kapital“davor, dass Europa, wenn es seinen epochalen Aufgaben nicht gerecht werde, Karl Marx, also den Ahnherrn des Kom- munismus, als Wiedergänger Geschichte erleben werde.
Die heimischen Unternehmer wussten also, welchen Mann provokanter Worte sie sich eingeladen haben. Marx ließ es an dem Dienstagabend nicht bei einem Soft-programm seines kapitalismuskritischen Denkens bewenden. Der Denker mit dem Wahlspruch „Wo der Geist des Herrn wirkt, da ist Freiheit“stammt aus Westfalen, ei-
der ner Gegend, die hartnäckige Menschen hervorgebracht hat. So warnt der 62-Jährige vor den gravierenden Folgen der Irrwege in der Wirtschaftswelt. Nach seinem Besuch bei den sich selbst fast wie Internetevangelisten betrachtenden Konzern-managern von Google und Facebook lässt Marx eine gehörige Portion Skepsis gegenüber den Usunternehmern erkennen. Ihm missfällt der naive Glaube an einen von den Internet-gurus verkündeten technologischen Imperativ, nachdem alles, was technisch möglich ist, auch gemacht werden muss.
Google-manager haben sich ja in fast pseudoreligiöser Weise vorgenommen, die Welt besser zu machen. Wenn Marx solche aus seiner Sicht in die falsche moralische Richtung laufende Entwicklungen aufspürt, wird seine ohnehin kräftige Stimme noch fester. Er hält dagegen. Und dann kreisen seine zu Fäusten geformten Hände schneller, gerade, wenn es um den von ihm nicht minder als problematisch erachteten ökonomischen Imperativ geht: „Das kann dazu führen, dass man alles tut, was einem nutzt.“
Jetzt lacht der Kardinal angriffslustig und sagt: „Da kommt der Marx in mir hervor.“Er meint natürlich seinen Namensvetter, der die Auswüchse rein profitorientierten und menschenverachtenden Wirtschaftens gegeißelt hat. Der Katholik Marx stellt gegen diese Form des Raubtierkapitalismus, wie es der Staatsmann Helmut Schmidt genannt hat, das Modell der Sozialen Marktwirtschaft, also eines menschlichen Unternehmertums. Und dann sagt der philosophisch gründlich geschulte Kardinal: „Der Mensch kann nur glücklich werden, wenn er sich am Guten und an der Gerechtigkeit orientiert.“Dabei spricht er das Menschenbild der verantwortlichen Freiheit als Grundlage christlicher Ideen an. Marx appelliert an die Unternehmer, nachhaltig und damit langfristig zu handeln, sowohl gegenüber der Schöpfung als auch in finanziellen Angelegenheiten.
Auch in der Flüchtlingsfrage wünscht sich der Kardinal nachhaltiges Denken. „Wir werden keine Insel des Wohlstands aufbauen können“, warnt er. Dass so viele Menschen nach Deutschland kommen, sei auch ein Ausdruck ökonomischer Ungleichheit in der Welt.
Und wie wird man ein guter Mensch? Die Antwort des Kardinals ist einfach und verlangt allen doch so viel ab: „Indem man moralisch ist.“Ironisch fügt Marx hinzu: Es reiche ja auch nicht, in den Himmel Einlass zu gewähren nur mit dem Verweis, keine Vorstrafen zu haben.