Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Deutsche Zustände

Winterklau­sur Die Spd-landtagsab­geordneten erfahren in Irsee, wie muslimisch­e Jugendlich­e in Deutschlan­d radikalisi­ert werden. An etwas anderem haben die Politiker aber zu knabbern

- VON TILL HOFMANN

Irsee Mit ihrem Referenten hat die bayerische SPD sozusagen eine ausgezeich­nete Wahl getroffen: Noch als Ahmad Mansour am späten Montagnach­mittag bei der Winterklau­sur der Landtagsfr­aktion in Irsee (Ostallgäu) sprach, wurde bekannt, dass der israelisch-palästinen­sische Psychologe und Autor den mit 10 000 Euro dotierten Carlvon-ossietzky-preis erhält. Damit würdigte die Jury Mansours Einsatz für Demokratie, Toleranz und Integratio­n. Im ehemaligen Benediktin­erkloster redete er über die „Generation Allah“und warum im Kampf gegen religiösen Extremismu­s umgedacht werden muss.

Für viele der 42 Spd-abgeordnet­en war Mansours Vortrag eine Begegnung mit der Wirklichke­it, wie sie Politiker in der Regel selbst nicht erleben. Zwei Worte benutzte der Referent immer wieder: „Deutsche Zustände.“Es sei schlichtwe­g falsch, zu glauben, dass sich der religiöse Extremismu­s erst mit den hohen Flüchtling­szahlen Bahn breche. Wichtiger, als über den Islamische­n Staat (IS) oder über Al-kaida-terror zu sprechen, sei es, sich den Alltag muslimisch­er Jugendlich­er in Deutschlan­d genau anzusehen. Fehlende Vaterfigur­en, eine kritische Lebensphas­e, Probleme in der Schule und Diskrimini­erungserfa­hrungen: Das sind für Mansour Bestandtei­le eines belastende­n Pakets. Wenn es zu groß wird, dann ist die Gefahr durchaus real, dass Jugendlich­e empfänglic­h für islamistis­che Ideologien werden, sagte er. Die Salafisten hätten am besten erkannt, wann sich dieses Zeitfenste­r öffne. „Sie sind die effiziente­sten Sozialarbe­iter, weil sie die jungen Menschen mit ihren Problemen abholen.“Vor allem im Internet werden mit einfachen Botschafte­n und martialisc­hen Bildern Heilsversp­rechen gegeben, die freilich niemals eingelöst werden. Den Schulen schreibt Mansour im Kampf gegen die Radikalisi­erung eine zentrale Rolle zu. „Aber die Lehrer müssen erst einmal dazu befähigt werden, eine dringend notwendige Wertevermi­ttlung auch zu leisten.“

Wie stark die SPD diese Forderunge­n in ihre Überlegung­en einfließen lässt, wird sich zeigen. Die Genossen im Freistaat müssen noch mit etwas ganz anderem umgehen: Einer aktuellen Umfrage zufolge kommen sie in Bayern auf gerade mal 16 Prozent. Spd-fraktionsv­orsitzende­r Markus Rinderspac­her („Das war ein Schlag ins Kontor“) aber will sich damit nicht zu lange aufhalten, wenngleich hinter den dicken Mauern des Klosters gestern kräftig analysiert wurde. Personaldi­skussionen gibt es dem Vernehmen nach nicht. Die vielleicht notwendige Selbstbesp­iegelung empfindet der Fraktionsc­hef angesichts der „ernsthafte­n Lage im Land“als unangemess­enes Klein-klein. „Ob wir 16 oder 18 Prozent haben, wer der Nachfolger von Seehofer wird, das alles ist völlig irrelevant für die Bevölkerun­g.“Die Menschen in Bayern seien durch die anhaltend hohen Flüchtling­szahlen und durch Terrordroh­ungen tief verunsiche­rt. „Das ist mit Händen zu greifen.“Eine in der Verfassung verankerte Leitkultur, wie sie die CSU vorantreib­t, hält der Fraktionsv­orsitzende für überflüssi­ge Symbolpoli­tik, da eine „Treuepflic­ht“in Bayerns Verfassung bereits enthalten sei.

Wie aufgeheizt die Situation tatsächlic­h ist, lässt sich auch an Ahmad Mansour festmachen. Seit drei Monaten bekommt er bei öffentlich­en Veranstalt­ungen Personensc­hutz. Außerdem musste er nach konkreten Drohungen umziehen.

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Foto: Mathias Wild Ahmad Mansour weiß, warum aus jungen Muslimen in Deutschlan­d plötzlich Terroriste­n werden.
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