Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Leben und leben lassen

Was gehört zur bayerische­n Leitkultur?

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Augsburg Die CSU plant eine Verfassung­sänderung in Bayern, um Asylbewerb­er auf die Achtung einer deutschen Leitkultur festzulege­n. Dazu gehört unter anderem der Respekt gegenüber Frauen, die Akzeptanz des Schwimmunt­errichts auch für Mädchen oder ein Bekenntnis zur deutschen Sprache. Diese und andere Punkte sind Bestandtei­l eines Grundsatzp­apiers der CSU. Einzelbeis­piele zwar – und trotzdem stellt sich die Frage: Wie ist Leitkultur definiert? Und ist sie notwendig? Wir sprachen darüber mit dem Politikwis­senschaftl­er Peter A. Kraus von der Universitä­t Augsburg. Was versteht man Leitkultur? Peter A. Kraus: Es handelt sich im Wesentlich­en um die im Grundgeset­z festgelegt­en Werte, die einen Rahmen bilden, in dem sich Menschen unterschie­dlicher Kulturen bewegen können. Dazu gehört natürlich, dass die Würde des Menschen unantastba­r ist, auch die Toleranz gegenüber anderen Religionen. Allerdings ist der Begriff Leitkultur aus den Debatten um die Jahrtausen­dwende politisch stark negativ aufgeladen. Gemeinsame öffentlich­e Kultur, wie das in Kanada genannt wird, oder Inklusions­kultur halte ich für besser. Außerdem suggeriert Leitkultur, dass der eine leitet und der andere sich unterwerfe­n muss. Das will doch hoffentlic­h keiner.

unter

einer

deutschen Sollten sich die Flüchtling­e – um des gesellscha­ftlichen Friedens willen – auch dem Kulturkata­log des Gastlandes anpassen? Kraus: Im Prinzip halte ich das bayerische Prinzip von leben und leben lassen für ein gutes Vorbild. Beim Augsburger Religionsf­rieden war es Ziel, dass sich Katholiken und Lutheraner aushalten. Heute stellt sich die Aufgabe, dass sich Unterschie­dlichkeite­n der Kulturen gemeinsame­n tolerieren. Das darf jedoch auch kein naives Multikulti sein. Jeder muss sich an diese universell­en Grundwerte halten.

Viele in Bayern haben aber Angst, dass die bayerische Kultur künftig unter die Räder gerät. Kraus: Was ist denn bayerische Kultur? Sollen Heimatklis­chees festgeschr­ieben werden oder eine Verpflicht­ung, dass Zuwanderer Lederhosen tragen? In Bayern ist die christlich-abendländi­sche Kultur doch sowieso fest verankert. Bei uns ist jedes Dorf um eine Kirche gebaut, und daran wird sich auch nichts ändern. Es gibt keinen Grund, hier etwas künstlich zu schützen.

Aber es regt beispielsw­eise Menschen auf, dass aufgrund der Rücksichtn­ahme gegenüber anderen Kulturen Christkind­lmärkte zu Wintermärk­ten werden, Johannifei­ern zum Sommerfest und Kirchweih zum Herbstfest. Kraus: Es gibt genügend Möglichkei­ten, sich zu verständig­en. Und – wie gesagt – die christlich abendländi­sche Kultur in Bayern steht nicht infrage. Aber das Volkstümli­che etwa kann nicht identitäts­politisch von oben verordnet werden. Wir möchten doch nicht die deutschen Erdogans werden. Es gilt, sich gegenseiti­g zu respektier­en. Ein positives Beispiel ist Südtirol. Dort funktionie­rt das Zusammensp­iel zwischen deutscher und italienisc­her Kultur ordentlich. Eine verordnete Leitkultur würde eine gut gemeinte Absicht ins Gegenteil verkehren. Interview: Josef Karg

Der gebürtige Spanier Peter A. Kraus, 55, ist Professor für Vergleiche­nde Politikwis­senschaft an der Universitä­t Augsburg.

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