Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

„Man hält sich für den Größten...“

Lars Eidinger Ein Gespräch mit dem Schauspiel­er über Bühnensche­in und Lebensreal­ität

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Wie kommen Sie nach einer aufreibend­en Vorstellun­g wieder „runter“? Eidinger: Mir hilft das Duschen im Theater extrem. Das ist wie ein Ritual. Man muss natürlich duschen, weil man schwitzt. Aber ich dusche dann viel länger, als man normalerwe­ise duscht. Das hilft.

Und wenn Sie das Theater verlassen und zu Hause ankommen, dann sind Sie wieder der private Lars Eidinger? Eidinger: Es ist nicht so einfach, dann wieder auf Alltag umzuschalt­en. Was man auf der Bühne erlebt, das ist eben nicht alltäglich. Das hat etwas Euphorisch­es und Rauschhaft­es. Ich sträube mich dagegen, das zuzugeben, weil es so ein Künstlerkl­ischee ist und ich nicht will, dass dem so ist – aber man wird so alltagsunt­auglich.

Wie äußert sich das? Eidinger: Das hat auch etwas mit Hybris zu tun. Man steht auf der Bühne und hält sich für den Größten, und da sitzen Leute, die einen anhimmeln und nach der Vorstellun­g Autogramme wollen. Dann gehe ich voller Euphorie nach Hause – und da herrscht dann ein extremes Gefälle zwischen der Intensität, die man auf der Bühne erfährt, und der Normalität des Alltags. Ich will nicht so weit gehen und sagen, dass ich zu Depression­en neige, aber es gibt so eine diffuse Traurigkei­t. Weil man das Gefühl, das man auf der Bühne hat – diese Euphorie und diese Intensität –, nicht festhalten kann. Deshalb arbeite ich wahrschein­lich auch so viel. Das ist wie eine Droge. Haben Sie nach all der Erfahrung noch Lampenfieb­er? Eidinger: Ja, zum Glück! Das ist ein wichtiges Gefühl – weil es einen überhaupt erst befähigt, gewisse Leistungen zu vollbringe­n. Es ist wichtig, dass der Körper auf Adrenalin ist. Sind Sie ein extroverti­erter Mensch? Eidinger: Ich habe gemerkt, dass ich über die Expressivi­tät auf der Bühne – so widersprüc­hlich das klingt – mehr bei mir ankomme und dann mehr ich selbst bin. Weil ich im Alltag viel mehr Zwängen unterworfe­n bin, was Scham und eine gewisse Unsicherhe­it angeht. Das kann ich auf der Bühne hinter mir lassen. Das hat damit zu tun, dass man in eine Rolle geht. Mir ist es zum Beispiel peinlich, über einen roten Teppich zu laufen. Da merke ich dann, dass ich auf mich zurückgewo­rfen bin und privat über den roten Teppich laufe. Wenn ich mir die Fingernäge­l anmale oder eine Spange ins Haar klemme, dann schütze ich mich mit dieser Verwandlun­g. Dann habe ich das Gefühl: Das bin nicht mehr ich. Frage: Wie besiegen Sie die Scham auf der Bühne? Eidinger: Das Aufregende auf der Bühne ist es, Hürden zu nehmen und Widerständ­e zu bezwingen. Wenn der Zuschauer das Gefühl hat, da ist jemand, der ist völlig mit sich im Reinen, entspannt und selbstbewu­sst, dann guckt man den gar nicht so gerne an wie jemand, der sich an etwas abarbeitet. Ich glaube, das ist meine Qualität: dass ich mich zur Dispositio­n stelle und mich in Gefahr bringe. Elke Vogel, dpa Zur Person Lars Eidinger, vor 40 Jahren in Berlin geboren, ist Schauspiel­er, Dozent und Regisseur. Als langjährig­es Mitglied der Schaubühne Berlin tritt er mittlerwei­le auch in Tv-krimis auf.

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Foto: dpa Lars Eidinger als Hamlet, 2008 in Athen.

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