Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Eine Liebeserklärung an die Menschen
Kirche Das Lehrschreiben „Amoris Laetitia“von Papst Franziskus kommt bei Priestern und Laien in der Region Augsburg gut an: Sie fühlen sich in ihrer täglichen Arbeit bestärkt – aus unterschiedlichen Gründen
Region Mit dem Schreiben „Amoris Laetitia“hat der Papst zwar keine Revolution angezettelt, aber in Sachen Barmherzigkeit und Güte neue Maßstäbe gesetzt. Was er über Ehe, Familie, Scheidung und Sexualität sagt, klingt offen und menschennah. Die Auslegung vor Ort, in den Pfarreien und Gemeinden, ist den Pfarrern und den katholischen Funktionären selbst überlassen. Wir haben nach der Stimmung und dem Wirken an der Basis gefragt. Tenor: barocke Lebensfreude statt theologischer Rigorismus.
● Thomas Schwartz, 51, Pfarrer in Mering Es geht nicht länger um Gebote und Verbote; vielmehr erteilt der Papst der individuellen, vor der pauschalen Lösung den Vorzug, was heißt, den Einzelnen mit seiner konkreten Biografie ernst zu nehmen, sodass er sich angesprochen und nicht übergangen fühlt. Das ist die Sprache des Papstes – unverkrampft und lebensfroh, in erster Linie an den Menschen, nicht an den Theologen gewandt. Das muss Kirche leisten: Umarmen, nicht ausschließen, den Menschen bestärken, nicht verurteilen. Es ist richtig, dass geschiedene Wiederverheiratete, wieder zur Kommunion zugelassen werden, wenn sie glauben, bereit dazu zu sein und der Pfarrer das genauso sieht. ● Maria Tyroller, 64, Vorsitzende des Frauenbunds im Stadtverband Augsburg Das Idealbild von der Ehe gibt es in der Wirklichkeit nicht, also muss auch die Möglichkeit des Scheiterns gesehen werden. Jesus ist ja auch stets zu den Gescheiterten gegangen und hat niemanden ausgeschlossen, weil er wusste, wie das Leben spielt: Es lässt den Menschen erfolgreich sein, aber genauso oft stolpern. Franziskus schafft eine neue Atmosphäre, die nicht auf Paragrafen, sondern auf Menschlichkeit setzt. Das ist entscheidend. Veränderung beginnt im Kopf, es ist keine Frage von Dogmen. Gleichzeitig ermutigt er die Frau, den Lebensentwurf zu wählen, der zu ihr passt und für Gleichberechtigung einzutreten. Das bestärkt mich in meiner täglichen Arbeit.
● Wilhelm Imkamp, 64, apostolischer Protonotar der Diözese Augsburg und Mitglied der päpstlichen römischen Theologenakademie Die „Amoris Laetitia“ist überschäumende Schöpfungsfreude in poetischer Lebendigkeit! Ein Hymnus auf die katholische Genuss- und Le-
Maria Tyroller
bensfreude, eine Absage an jede Art von Rigorismus, der den Menschen einengt, ja versklavt. Franziskus zeigt, dass Moral kein Mittel der Unterdrückung, sondern ein Mittel der Befreiung ist. Das jesuitische Ideal dieser Seelenführung war immer lebensnah, am Einzelfall orientiert, den Blick auf die Wirklichkeit der Menschen gerichtet, auch die häufig von Sünde gekennzeichnete Wirklichkeit. Barmherzigkeit ist aber nichts, was ich jemandem überstülpe. Nur der kann eingeschlossen werden, der auch eingeschlossen werden will. Der Papst schärft das Sakrament der Beichte, der Buße und der individuellen Seelsorge. ● Ursula Schell, 58, Geistliche Begleiterin des Frauenbund Diozösarenverbands Augsburg Wir im Frauenbund gehen seit jeher auf geschiedene und wieder verheiratete Frauen zu, weil wir ihnen das Gefühl geben wollen, dass sie immer noch zur Gemeinschaft gehören, trotz Scheitern. Der Papst setzt hier das richtige Signal: Katholizismus als gelebte Güte und Barmherzigkeit. Dahin geht die Reise, unumkehrbar. Deshalb findet dieser Papst auch so viel Gehör;
Wilhelm Imkamp
Menschen ohne Bezug zur Kirche diskutieren plötzlich wieder heiß über sie. Ein französischer Freund berichtete mir von einer einstündigen Radiosendung über die Lehrschrift des Papstes, sofort nach Erscheinen, bei einem ganz herkömmlichen Sender. Wann gab es zuletzt so viel Aufmerksamkeit für den Katholizismus? Und das im streng laizistischen Frankreich!
● Konrad Bestle, 31, Jugendseelsorger an der katholischen Jugendstelle in Augsburg Was der Papst sagt, ist zwar nicht neu, er tut es aber in anderem Ton. Seine Sprache ist schön zu lesen, einladend, auffordernd, und konkret. Zum Beispiel schreibt er davon, das Handy auszuschalten, wenn man mit anderen am Tisch sitzt – aus Höflichkeit. Damit trifft er einen Nerv bei den Jugendlichen, die die Ideale von Partnerschaft, Treue und Familie wieder hoch halten. Franziskus’ Worte zur Sexualität interpretiere ich nicht als ein „Alles geht“. Wenn ich beobachte, wie mächtig das Thema Pornografie unter den Jugendlichen ist, glaube ich, dass Lust und Erotik auch leicht kippen können. Wird der Mensch
Konrad Bestle
zum Sklaven seiner Triebe, ist er letztlich nicht freier, nicht beziehungsreicher, sondern -ärmer.
● Hans Fischer, 60, Pfarrer in Diedorf Die Worte sind eine Liebeserklärung an die Menschen, trotz oder gerade wegen aller Mängel. Man sitzt eben nicht am Schreibtisch über theoretischen Wunschvorstellungen, sondern arbeitet mit den Menschen, sieht das wirkliche Leben. Da geht es doch gar nicht anders, als das Einzelschicksal zu sehen und dabei zu helfen, die bestmögliche Lösung in der jeweiligen Situation zu suchen. Der Papst ist Realist, er überhöht die Ehe nicht. Sie ist ein schwieriges Unternehmen, das viel Einsatz erfordert. Daran zu scheitern, ist möglich, es ist menschlich, es passiert. ● Thomas Rauch, 47, Stadtpfarrer in Bobingen Der Papst ist Rückenwind für die Seelsorge, für die pastorale Barmherzigkeit, nämlich jedem Menschen dabei zu helfen, den eigenen Weg zu finden, und ihn an der kirchlichen Gemeinschaft teilhaben zu lassen – einfach so, ohne Bedingung, ohne Gegenleistung. Eine
Thomas Rauch
wunderbare Botschaft wider jede Schreibtischmoral! Ich spüre bei diesem Papst, dass er über Jahrzehnte lang nah dran an den Menschen war, mit und für sie gearbeitet hat, sonst würde er nicht so sehr das Gewissen als höchste Instanz betonen. Franziskus macht möglich, dass Menschen Vorurteile gegenüber der Kirche wieder abbauen und neu zum Glauben finden.
● Pavel Jerabek, 47, Vorsitzender des Familienbunds der Katholiken im Bistum Augsburg Der Papst singt hier ein Loblied auf das Geschenk der Liebe, auf eine einfühlsame, einladende, ermutigende Weise. Er macht den besonderen Wert von Ehe und Familie klar, die wesentlichen Säulen von Gesellschaft und Kirche, der Idealfall für die Kinder, um die Polarität der Geschlechter, die verschiedenen Rollen von Mann und Frau kennenzulernen. Das ermutigt mich weiter dafür einzusetzen, dass Familien-, Erziehungsund Pflegearbeit gesellschaftlich aufgewertet und entlohnt werden. Familien muss die finanzielle Möglichkeit gegeben werden, tatsächlich zu wählen.