Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Fall Böhmermann spaltet Koalition

Satire-streit Türkischer Präsident bekommt seinen Willen: Kanzlerin Merkel macht Weg für Strafverfa­hren gegen Zdf-moderator frei. Spd-minister sprechen sich strikt dagegen aus

- VON RUDI WAIS

Berlin Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan bekommt in Deutschlan­d, was er will: Nach heftigen Auseinande­rsetzungen in der Koalition hat die Regierung den Weg für ein weiteres Verfahren gegen den Moderator Jan Böhmermann frei gemacht, der sich in einer satirische­n Sendung mit Bemerkunge­n unterhalb der Gürtellini­e über Erdogan lustig gemacht hatte.

„Im Ergebnis wird die Bundesregi­erung im vorliegend­en Fall die Ermächtigu­ng erteilen“, betonte Bundeskanz­lerin Angela Merkel. Zugleich kündigte sie an, dass der entspreche­nde Paragraf im Strafrecht Anfang 2018 abgeschaff­t werden soll. Für die Beleidigun­g eines ausländisc­hen Staatsober­hauptes sieht er bis zu drei Jahre Haft vor. Unabhängig davon hat Erdogan bereits selbst Anzeige wegen Beleidigun­g gegen Böhmermann gestellt.

Mit der Entscheidu­ng für Erdogan stellt sich die Kanzlerin offen gegen den Koalitions­partner SPD. Satiriker wegen „Majestätsb­eleidigung“zu verfolgen, passe nicht in eine moderne Demokratie, kritisiert­e Fraktionsc­hef Thomas Oppermann. Auch er halte Böhmermann­s Gedicht für abstoßend, ein „Sonderstra­frecht für Präsidente­n und Majestäten“aber widersprec­he der Idee der Gewaltente­ilung. Es dürfe „nicht einmal der Anschein entstehen, als ob der Bundesregi­erung der Schutz des türkischen Präsidente­n vor Satire wichtiger sei als die Verteidigu­ng der Meinungsfr­eiheit“, warnte auch die Geschäftsf­ührerin der Fraktion, Christine Lambrecht. Die Generalsek­retärin der Bayernspd, Natascha Kohnen, sprach von einem „peinlichen Kotau“.

Außenminis­ter Frank-walter Steinmeier und Justizmini­ster Heiko Maas (beide SPD) hatten sich zuvor in der entscheide­nden Viererrund­e mit der Kanzlerin und Innenminis­ter Thomas de Maizière (beide CDU) strikt gegen das Erteilen einer Ermächtigu­ng ausgesproc­hen. Nach der Geschäftso­rdnung der Bundesregi­erung, so Oppermann, trifft bei Stimmengle­ichheit dann die Bundeskanz­lerin selbst die Entscheidu­ng. Faktisch hat sie damit also von ihrer Richtlinie­nkompetenz Gebrauch gemacht. Spekulatio­nen, sie habe gleichzeit­ig auch eine handfeste Regierungs­krise heraufbesc­hworen, wies Oppermann jedoch zurück: „Ich glaube nicht, dass Herr Erdogan in irgendeine­r Weise die Regierung in Deutschlan­d in Schwierigk­eiten bringen kann.“

Warum sie der Forderung des Präsidente­n nach der umstritten­en Ermächtigu­ng nachgegebe­n hat, begründete die Kanzlerin nicht. In einer kurzen Erklärung beteuerte sie lediglich, dass die Entscheidu­ng keine Vorverurte­ilung Böhmermann­s sei: „Im Rechtsstaa­t ist es nicht Sache der Regierung, sondern von Staatsanwa­ltschaften und Gerichten, das Persönlich­keitsrecht gegen die Presse- und Kunstfreih­eit abzuwägen.“Auch CSU-CHEF Horst Seehofer sprach von einer „Entscheidu­ng für den deutschen Rechtsstaa­t und seine Unabhängig­keit“.

Grünen-fraktionsc­hef Anton Hofreiter warf der Kanzlerin vor, ihr sei das Abkommen über die Reduzierun­g der Flüchtling­szahlen mit der Türkei wichtiger als die Verteidigu­ng der Meinungsfr­eiheit. Die Fraktionsv­orsitzende der Linken, Sahra Wagenknech­t, twitterte: „Merkel kuscht vor türkischem Despoten Erdogan und opfert Pressefrei­heit in Deutschlan­d.“

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