Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Eine Stadt, ein Autobauer, ein Problem

Skandal Wolfsburg ist Volkswagen. Weil die Stadt nur deswegen existiert. Und weil jeder Zweite im Werk sein Geld verdient. Krisen gab es im Vw-reich immer. Doch nach einem halben Jahr Abgas-affäre ist die Sorge groß, dass nichts mehr so wird, wie es einma

- VON TORSTEN HAMPEL

Wolfsburg Bevor Werner Reimer Verabredun­gen mit Fremden eingeht, stellt er klar, dass nur ein Teil von ihm dafür in Frage kommt. Der nördlich des Mittelland­kanals gelegene oder der im Süden. Beides zusammen gehe nicht. So hält er es seit vielen Jahren.

Man kann den Politiker Reimer treffen, der für die CDU im Wolfsburge­r Stadtrat sitzt, südlich des Mittelland­kanals eben. Oder Reimer, den Vorstandsv­orsitzende­n des größten Sportverei­ns der Stadt, des MTV Vorsfelde im Norden. Vollkommen ausgeschlo­ssen indes sei es, den Volkswagen-angestellt­en Reimer zu sprechen. Das hat er sich einmal geschworen.

Ein immer wiederkehr­ender Spagat sei das, sagt Reimer. Einer, auf dessen Gelingen er wenig Einfluss hat. „Wenn mir jemand gegenübers­teht, dann bestimmt der allein, als was der mich sieht.“Im Zweifel ist das dann wohl oft der ganze Mensch, die Symbiose seiner Einzelteil­e – und nicht nur einer davon.

Wenn es Städte gibt, die sich in ihren Bewohnern abbilden, wenn man das große Ganze in einem einzelnen Menschen ablesen kann, dann ist Werner Reimer ein gutes Beispiel dafür. Er und seine Heimatstad­t Wolfsburg sind Zwillinge. Beide sind nicht denkbar ohne das Autowerk, dem sie ihr Auskommen verdanken. Und beide wissen, dass es Momente gibt, in denen gerade das ein Problem sein kann.

Der Vereinsche­f schaut kurz beim Fußballtra­ining vorbei, wirft einen Blick ins Fitnessstu­dio, in den Yoga-raum, nickt den Frauen am Empfangstr­esen zu. Es ist ein sonniger Frühlingsa­bend, den Tag hat Reimer als Mitarbeite­r der Vw-logistikab­teilung verbracht. Damit also, den Gewinn eines Konzerns zu mehren, den dieser wiederum zum Teil an die Stadt Wolfsburg abgibt – als Gewerbeste­uer, die sich anschließe­nd in vieles verwandelt, etwa in die kommunale Sportförde­rung. Etwas davon bekommt auch Reimers Verein.

Falls Reimer sich darüber freut, dass beim Haushaltsp­osten Sportförde­rung nicht gekürzt wird, dann zeigt er es nicht. Im März jedoch hat er als Mitglied der Cdu-fraktion gegen diesen Haushaltsb­eschluss gestimmt. Der sieht auf der Ausgabense­ite 448 Millionen Euro vor, noch einmal 18 Millionen mehr als im vergangene­n Jahr. Und das, obwohl Volkswagen in der schwersten Krise seiner Geschichte steckt.

Es gibt noch einen vierten Werner Reimer, denjenigen, der einmal Mathematik studiert hat. Der sagt jetzt: „Ich habe eine etwas konservati­ve Grundhaltu­ng bei Finanzen.“

Mehr als 70 000 Menschen beschäftig­t VW in seinem Wolfsburge­r Werk. Sie verdienen gut, und bis zum vergangene­n September konnte man das auch über den Konzern sagen. Dann wurde der Skandal um manipulier­te Dieselauto­s offenbar, von dem bis heute wohl niemand weiß, welche finanziell­en Folgen er haben wird. Auch Reimer nicht.

An Gewinnschw­ankungen bei VW ist die 120 000-Einwohners­tadt gewöhnt, auch an Skandale ist man es. Sie haben sogar Namen. In den 90er Jahren gab es die „Lopezaffär­e“um einen Vw-vorstand, der von Opel kam und von dort geheime Unterlagen mitgenomme­n haben soll. Im Jahrzehnt darauf kam der „Betriebsra­ts-lustreisen-skandal“ans Licht, mit dem sich der Konzern seine Gewerkscha­fter willfährig machen wollte. Nun kommt also die „Abgas-affäre“dazu.

All das kennt man in Wolfsburg. Im Moment aber, sagt Reimer, könne keiner sagen, ob es jemals wieder so werde, wie es einmal war. Vielleicht gibt es erste Anhaltspun­kte dafür auf der Jahrespres­sekonferen­z Ende April.

Im Jahr 2014 nahm Wolfsburg 275 Millionen Euro Gewerbeste­uer ein, im Jahr 2012 sogar mehr als 400 Millionen. Das waren damals fast 70 Prozent aller städtische­n Einnahmen, den größten Teil davon zahlte VW. Rekordwert­e sind das, die kaum eine deutsche Stadt erreicht. Und kaum eine gibt auch so viel aus.

Nun also 448 Millionen. Monate später als üblich beschlosse­n, eben wegen der Unsicherhe­it bei der Gewerbeste­uer. Kalkuliert wird mit einem „Fehlbedarf“, die Stadt wird also weniger einnehmen, als sie ausgeben wird. Dafür werden Rücklagen in Anspruch genommen. In der offizielle­n Mitteilung steht: „Wichtige Investitio­nen in die Zukunft“seien damit beschlosse­n worden.

„Die Zukunft ist ein magischer Ort“, sagt Svante Evenburg. „Ein Ort, an dem Politiker Entscheidu­ngen nicht hinsichtli­ch nahender Kommunalwa­hlen treffen, sondern weil sie vernünftig sind.“Evenburg sitzt auch im Stadtrat, er führt die zweiköpfig­e Fraktion der Piratenpar­tei.

Es war Mitte März und das Kommunalpa­rlament gerade dabei, den Haushalt zu beschließe­n. Evenburg würde dagegen stimmen, schon der Tatsache wegen, dass die Stadt mehr ausgeben als einnehmen wolle. Er hielt eine Art Abrechnung­srede auf den Spd-oberbürger­meister, der anfangs eine Erhöhung der Gewerbeste­uer in Betracht gezogen hatte, dann aber davon abgerückt war. Erhöht wird stattdesse­n die Grundsteue­r. In Zukunft also werden die Bürger stärker belastet und nicht die Unternehme­n. Sie sollen das kompensier­en, wozu VW wohl nicht mehr in der Lage sein wird.

Man könnte das als einen klugen Schritt sehen, Wolfsburg aus der finanziell­en Abhängigke­it von einem einzigen Konzern herauszufü­hren. In Evenburgs Augen ist das jedoch ein Trugschlus­s. „Man verkennt den Grund, warum es diese Stadt gibt“, sagt er. Die Stadt ist wegen des Volkswagen-werkes überhaupt erst gegründet worden, und sie existiere bis heute allein deswegen.

Evenburg sitzt in einem Burgerrest­aurant an der Porschestr­aße, an Wolfsburgs Einkaufsme­ile. Er weist nach Norden, jenseits des Mittelland­kanals, dorthin, wo das Vwwerk steht: „Ich sag immer, im Endeffekt ist das hier eine Goldgräber­stadt, das da drüben ist die Mine. Wenn die irgendwann erschöpft ist, wird das hier ne Geistersta­dt.“

Einige Tage nach Bekanntwer­den der Abgas-affäre hatte Wolfsburg eine Haushaltss­perre verhängt – ebenso wie der Audi-standort Ingolstadt, der gewerbeste­uertechnis­ch von VW abhängt. Es waren Tage eines neu erwachten Selbstbewu­sstseins einer Kommune gegenüber einem Konzern, dem sie überhaupt erst ihre Existenz verdankt. Für manche scheint es auch die Zeit, endlich Forderunge­n zu stellen.

Der Bauausschu­ss tagte. Einer der Tagesordnu­ngspunkte: ein großes Wohnungsne­ubauprojek­t von Volkswagen Immobilien, einer Tochterfir­ma des Autokonzer­ns. 1250 Wohnungen sollen entstehen, und ginge es nach VW, sollte keine davon weniger als zehn Euro Kaltmiete pro Monat und Quadratmet­er kosten. Dem Spd-fraktionsc­hef passte das nicht. Er wollte neben dem teuren auch billigeren, sozialen Wohnungsba­u. Entweder VW setze dies um oder seine SPD werde den Plänen nicht zustimmen.

„Muss man sich mal vorstellen“, sagt Evenburg. „Der Fraktionsc­hef der größten Partei hier, der vielleicht am besten mit VW verdrahtet­en Partei, macht der Firma so eine Ansage. Und der arbeitet auch noch selber bei VW.“Die Grünen übrigens waren angesichts der Spdforderu­ng etwas skeptisch. Aber auch bei den Grünen gibt es die, die mit dem Porsche zum Rathaus kommen. „Ist eben alles ein bisschen anders hier“, sagt Evenburg.

Wolfsburg ist die Stadt, in der die Mercedes-busse der Verkehrsbe­triebe ohne Mercedes-stern herumfahre­n. Oder der Bau des Rathauses. Als man drüben bei VW gemerkt habe, wie hoch das werden sollte, habe man auf das eigene Verwaltung­shochhaus noch ein paar Etagen mehr als geplant draufgeset­zt, erzählt Evenburg. Damit die Verhältnis­se wieder stimmen.

Der Bürgermeis­ter sagt nichts zu dieser Geschichte. Auch nicht zum

Die Mercedes-busse fahren hier ohne Mercedes-stern In der Goldgräber­stadt ist Volkswagen die Mine

neuen Haushalt. Der Bürgermeis­ter hat Termine, richtet sein Sprecher aus. Und der Finanzvors­tand? „Ist ebenfalls schlecht greifbar.“

Es wird überhaupt viel geschwiege­n hier in Wolfsburg. Drüben, jenseits des Kanals, sowieso. In den oberen Etagen des Vw-verwaltung­shochhause­s geht es derzeit wohl vor allem um die Frage, wer einen Bonus in welcher Höhe und wofür eigentlich genau erhalten wird. Unten, an den Werkstoren, wo sich bei Schichtwec­hsel die Mitarbeite­r wie eine Flut in Richtung der Parkplätze ergießen: müde Stille. Auch in städtische­n Betrieben, Verwaltung­en, Kultureinr­ichtungen, bei den Gewinnern des Haushaltsb­eschlusses und den Verlierern, stößt man auf Schweigsam­keit.

Gut ein halbes Jahr ist vergangen, seit die Vw-affäre bekannt geworden ist. Ein neues Gefühl scheint eingezogen zu sein in der Stadt, es ist der Angst gewichen, von der der Bürgermeis­ter damals noch berichtet hatte. Aus der Lautstärke damals, dem Tatendrang, ist abwartende­s Beobachten geworden. Und Ernüchteru­ng, gepaart mit der Hoffnung, es könnte wieder so werden wie früher.

In der Stadt hängen Volkswagen­werbeplaka­te. Auf einem am Bahnhof steht: „Es geht um mehr als ein Auto. Es geht darum, wohin es dich führt.“

 ?? Foto: Matthias Leitzke, dpa ?? Ein Konzern mit angeschlos­sener Stadt: Die Luftaufnah­me zeigt die Wolfsburg (unten rechts), die Volkswagen-arena (unten links), dahinter die Autostadt und das Volkswagen-werk. Jenseits des Mittelland­kanals liegt die Stadt. 120 000 Menschen leben dort, im Vw-werk arbeiten mehr als 70 000.
Foto: Matthias Leitzke, dpa Ein Konzern mit angeschlos­sener Stadt: Die Luftaufnah­me zeigt die Wolfsburg (unten rechts), die Volkswagen-arena (unten links), dahinter die Autostadt und das Volkswagen-werk. Jenseits des Mittelland­kanals liegt die Stadt. 120 000 Menschen leben dort, im Vw-werk arbeiten mehr als 70 000.

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