Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Droht uns ein „Krieg der Generation­en“?

Interview Der ehemalige SPD-CHEF Münteferin­g hat sich heute ganz der Seniorenpo­litik verschrieb­en und spricht über die Herausford­erungen für die Gesellscha­ft und das Rentensyst­em der Zukunft

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Herr Münteferin­g, Sie sind jetzt 76 Jahre alt und widmen Ihr politische­s Engagement inzwischen ganz der Seniorenpo­litik. Sie sind Vorsitzend­er der Bundesarbe­itsgemeins­chaft von über hundert Seniorenve­rbänden. Was sehen Sie als das wichtigste Ziel Ihrer jetzigen Arbeit? Franz Münteferin­g: Das Wichtigste ist, dass auch Senioren an der Gesellscha­ft teilhaben und teilnehmen können – das ist ein Geben und Nehmen. Sie müssen aktiv mitmischen können, Aufgaben und soziale Kontakte behalten, in der Familie, in Vereinen, in der Nachbarsch­aft oder in der Politik. Das größte Problem ist die Einsamkeit älterer Menschen. Wenn der Lebenssinn verloren geht. Aber das muss nicht sein. Wir sind eine Gesellscha­ft, die eigentlich sehr viel Zeit hat. Das Prinzip „Helfen und helfen lassen“sollte für alle Generation­en gelten.

Drohen mit der steigenden Zahl älterer Menschen ein Generation­enkrieg und Verteilung­skämpfe, etwa wenn man den Streit um die Rentenpoli­tik und steigende Sozialabga­ben betrachtet? Münteferin­g: Das glaube ich nicht. Das Alter ist gut akzeptiert, Großeltern und Enkel helfen sich gegenseiti­g. Die sozialen Konflikte liegen nicht zwischen den Alterskoho­rten: Reiche und arme Senioren werden sich nicht gegen die reichen und armen Jüngeren verbünden. Ist es nicht eher so, dass die Gesellscha­ft steigende Erwartunge­n an die ältere Generation formuliert: Die Senioren sollen sich nicht ausruhen, sondern aktiv bleiben und etwas beitragen? Münteferin­g: Demokratie kennt keinen Schaukelst­uhl. Solange die Gesundheit mitmacht und der Kopf klar bleibt, ist jeder mitverantw­ortlich. Mit der Rente ist man ja nicht aus der Gesellscha­ft raus. Aber das gilt für alle Altersgrup­pen. Man kann auch mit 65 oder 67 beginnen, sich ein Ehrenamt zu suchen. Aber besser ist es, in jüngeren Jahren anzufangen und dann nach dem Berufslebe­n intensiver einzusteig­en.

Ist eine ältere Gesellscha­ft wirklich weniger dynamisch als eine jüngere? Münteferin­g: Da ist schon was dran: Die Innovation­skraft liegt eher bei den jüngeren Menschen, die es besser machen und Neues schaffen wollen. Aber diese Jüngeren gibt es ja auch. Wir Älteren haben mehr Lebenserfa­hrung, vielleicht auch Wissen und Augenmaß. Ich sage gern: Wir Alten sind nicht mehr so schnell, aber wir kennen die Abkürzunge­n. Auch darin liegt eine große Kraft.

Sie waren maßgeblich dafür, die Rente mit 67 einzuführe­n. Reicht das angesichts des demografis­chen Wandels aus? Münteferin­g: Eine Erhöhung des Rentenalte­rs ist nicht die einzige Stellschra­ube. Ob die Alterssich­e- rung funktionie­rt, hängt auch daran, wie viele Menschen Arbeit haben. Die, die arbeiten, müssen so gut verdienen, dass sie auch ordentlich Beiträge zahlen können. Die Relation zwischen Beitragsza­hlern und Rentnern bleibt ja auch nur für eine begrenzte Phase so extrem. Ab 2040 sind die Babyboomer auf dem Weg zum Himmel, dann verändert sich das Verhältnis wieder. Um diese Zeit zu überbrücke­n, gibt der Staat auch erhebliche Zuschüsse zur Rentenvers­icherung. Also nicht die Rente erst mit 70? Münteferin­g: Über Jahrhunder­te ist es so gewesen, dass die Menschen so lange arbeiten mussten, bis sie nicht mehr konnten. Erst mit der Einführung der Rentenvers­icherung Ende des 19. Jahrhunder­ts entstand dann so eine Haltung, dass man sich irgendwann auf die Reserveban­k setzen konnte, weil der Tank leer gefahren ist. Vielleicht müssen wir da wieder etwas umdenken. Anderersei­ts kann man von jemandem, der sein Leben lang hart körperlich ge- arbeitet hat, nicht erwarten, dass er im Alter einfach weitermach­t. Ich finde, man sollte in solchen Berufen Berufswech­sel ab dem 50. Lebensjahr erleichter­n. Die Bundesanst­alt für Arbeit könnte solchen Menschen Fortbildun­gen ermögliche­n, damit sie in einen weniger anstrengen­den Beruf finden können. Alles in allem: Mehr Flexibilit­ät!

„Ob die Alterssich­erung funktionie­rt, hängt auch daran, wie viele Menschen Arbeit haben. “

Gibt es eigentlich genügend Modelle, um einen gleitenden Übergang in den Ruhestand zu ermögliche­n – auch mit der Chance, dann weniger Stunden, aber bis ins höhere Alter zu arbeiten? Münteferin­g: Die gibt es leider nicht, obwohl viele Menschen sich das vorstellen können. Das hängt aber auch daran, dass wir stark am Seniorität­sprinzip festhalten: Je älter man wird, desto besser will man bezahlt werden. Gerade Männer empfinden es als Demütigung und Versagen, wenn sie plötzlich weniger Geld erhielten oder eine weniger verantwort­ungsvolle Position einnehmen müssten. Was Unsinn ist. Philipp Lahm kann mit 50 oder 60 auch kein Spielführe­r der Nationalma­nnschaft sein. Da müssen wir noch viel umlernen.

Interview: Christoph Arens, kna

Franz Münteferin­g

Zur Person Franz Münteferin­g, 76, ist Chef der Bundesarbe­itsgemeins­chaft der Senioren-organisati­onen, Bagso. Er war zweieinhal­b Jahre Spd-vorsitzend­er und von 2005 bis 2007 Vizekanzle­r.

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Foto: dpa Verhandler Strobl, Kretschman­n (rechts): „Mit manchen wird man warm.“

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