Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

„Du weißt nie, ob du das nächste Opfer bist“

Auslandsre­port Die Bedrohung durch den islamistis­chen Terror ist für die jungen Menschen in Kenia Alltag: Terroriste­n wollen sie anwerben, Attentäter reißen viele in den Tod. Wie ein junger Lehrer unter hohem Risiko Zeichen setzt

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Nairobi Sie sitzen im Kreis im Schulgarte­n und reden über Terrorismu­s. Die Diskussion­en sind lebhaft, die Jugendlich­en engagiert bei der Sache. Die Schüler der „Eastleigh Highschool“leben in einem Problemvie­rtel der kenianisch­en Hauptstadt Nairobi. Viele Menschen aus dem benachbart­en Somalia haben sich hier niedergela­ssen, auf der Flucht vor Bürgerkrie­g und der Terrormili­z Al-shabaab. Aber auch Anwerber der Islamisten sind im Stadtteil unterwegs. „Wir wissen, dass sie das auch an unserer Schule versuchen“, sagt der Direktor des Jungengymn­asiums, Fred Awuor. „Und wir tun alles, um das zu verhindern.“Dazu gehört der Unterricht von Ayub Muhamud.

Der 38-Jährige hat selbst somalische Wurzeln und ist entspreche­nd, anders als die Bevölkerun­gsmehrheit Nairobis, Muslim. „Der Kampf gegen den Terrorismu­s ist nicht nur ein Problem des Staates, sondern eine Aufgabe für jeden Einzelnen“, sagt der Lehrer für Religion und Wirtschaft. Deshalb hat Muhamud aus eigenem Antrieb Unterricht­seinheiten zur Aufklärung über den radikalen Islam, Terrorismu­s und ähnliche Fragen entwickelt, die er in seinen Unterricht einstreut. Am liebsten tut er das im Freien, unter einem Baum im Gras. „Hier sind die Schüler viel offener“, sagt Muhamud. „Ich stelle eine Frage, sie reagieren – ich brauche die Diskussion bloß noch zu lenken.“Dagegen sei anderer Unterricht oft monoton.

Muhamud fragt in die Runde: „Wo findet denn die Anwerbung der radikalen Islamisten normalerwe­ise statt?“Die erste Antwort: Im Internet in den sozialen Netzwerken. Der Lehrer hakt nach, erhält weitere Antworten: In Schulen oder Universitä­ten. In der Gesellscha­ft. Im Umfeld jedes Einzelnen. Die Jugendlich­en sind auch deshalb so bei der Sache, weil es sie selbst betrifft.

„Natürlich fühlen wir uns bedroht“, sagt der 18-jährige Christ Colins Ochieng. „Hier in Eastleigh kann jederzeit jemand genau dort alles in die Luft jagen, wo du gerade stehst. Oder sogar jemanden aus deiner Familie töten.“Neben ihm sitzt der Muslim Abdullahi Khalif. Ihm geht es ähnlich. „Du weißt hier nie, ob der nächste Granaten- oder Bombenansc­hlag in deiner Nähe stattfinde­t und du das nächste Opfer sein wirst.“Seit einigen Jahren trägt die somalische Shabaab-miliz Krieg auch nach Kenia.

Bei einem Anschlag auf die Universitä­t der östlichen Stadt Garissa wurden im vergangene­n Jahr 148 Menschen getötet. Bei dem Angriff auf das Westgate-einkaufsze­ntrum in Nairobi vor drei Jahren starben mehr als siebzig Menschen. Viele Kenianer begegnen allen somalisch aussehende­n Menschen inzwischen mit Misstrauen, halten sie für potenziell­e Terroriste­n. Diesem Misstrauen und der Intoleranz zwischen beiden Religionen möchte Schuldirek­tor Awuor entgegenwi­rken. Auf den seinem Schreibtis­ch inmitten der Stapel von Unterlagen und Büchern sind Bibel und Koran immer griffberei­t. „Wir müssen schließlic­h für alle unsere Schüler da sein“, sagt der Christ. Etwa die Hälfte der rund 900 Schüler der Highschool sind Muslime, die andere Hälfte Christen. „Ich kann Ihnen versichern, dass diese beiden heiligen Bücher vor allem über Gott reden und nicht über Gewalt“, sagt der Schuldirek­tor.

Auch die Schüler sehen die Bemühungen an ihrer Schule positiv. „Früher hielt ich den Klimawande­l für die größte Bedrohung“, sagt der 18-jährige Abdullahi Khalif. Inzwischen hat er selbst erfahren, mit welchen Tricks die radikalen Gruppen Kämpfer auch unter Schülern anwerben. Jetzt kläre er selbst andere über den Terror auf.

Lehrer Muhamud geht ein hohes persönlich­es Risiko ein, schließlic­h hintertrei­bt er die Pläne der radikalen Islamisten. Aus Angst vor Rache meidet er zum Beispiel belebte Plätze und ist spät abends nicht mehr draußen unterwegs. „Man kann hier nicht allen trauen“, sagt Muhamud. Abschrecke­n lässt er sich von dem Risiko aber nicht. Bettina Rühl, epd

Auf dem Tisch des Direktors liegt die Bibel neben dem Koran

 ?? Foto: Bettina Rühl, epd ?? Lehrer Ayub Muhamud (Mitte): „Man kann hier nicht allen trauen“, sagt der 38-Jährige, der aus Angst vor Rache belebte Plätze meidet.
Foto: Bettina Rühl, epd Lehrer Ayub Muhamud (Mitte): „Man kann hier nicht allen trauen“, sagt der 38-Jährige, der aus Angst vor Rache belebte Plätze meidet.

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